Konflikt zwischen Israel und Hisbollah: Die letzte Hoffnung
Zwei Dinge könnten eine Eskalation noch verhindern: Die schwächelnde Wirtschaft sowie die Einschätzung der israelischen Militärs. Ob Netanjahu zuhört?
H underte Tote, Tausende Verletzte. Zehntausende fliehen vor israelischen Bomben und Raketen. Die Bilder aus dem Süden des Libanon gleichen jenen in Gaza, wo das technologisch überlegene israelische Militär zivile Opfer produziert.
Der rechtsradikale israelische Finanzminister Smotrich fordert die „Kapitulation der Hisbollah oder Krieg“. Das bedeutet wohl eine Invasion in den Südlibanon mit Bodentruppen. Der israelische Außenminister sekundiert, man werde „mit aller Kraft bis zum Sieg“ kämpfen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu droht: „Jedem, der versucht, uns zu schaden, schaden wir noch mehr.“ Auch in der Wortwahl sind kaum mehr Unterschiede zwischen Rechtsextremen und Moderateren in der israelischen Regierung erkennbar. Seit Gaza weiß man, dass diese Ankündigungen keine Rhetorik, sondern blutiger Ernst sind.
Die Frage von Schuld ist komplex
Die USA und die EU, Katar und Saudi-Arabien fordern eine Waffenruhe in Gaza und dem Südlibanon, um diese Eskalationsdynamik zu bremsen. Denn im Hintergrund droht ein großer Brand, ein Krieg zwischen Israel und Iran, den weder Iran noch die USA wollen. Die Netanjahu-Regierung aber setzt auf Sieg. Egal, was Washington will, egal, was die Weltöffentlichkeit sagt. Egal, zu welchem Preis.
Die Frage von Schuld und Unschuld in dem sich anbahnenden Krieg im Südlibanon ist komplex. Die Hisbollah feuert seit dem 8. Oktober Raketen auf israelisches Staatsgebiet. Seitdem gibt es einen niedertourigen militärischen Konflikt. Zehntausende haben auf beiden Seiten der Grenze ihre Häuser verlassen. Aber weder die Hisbollah noch Israel haben die Gewalt bis zum Point of no Return gesteigert – bis jetzt.
Die falsche Art der Terrorbekämpfung
Die israelische Logik lautet: Wenn der Raketenbeschuss der Hisbollah aufhört, gibt es Frieden an der Nordfront. Die Logik der Hisbollah lautet: Wenn Israel den Krieg in Gaza beendet, gibt es Frieden an der Nordfront. Doch das will die Netanjahu-Regierung nicht. Bloß keinen Waffenstillstand in Gaza.
Israel verfolgt das legitime Ziel, den Geflüchteten die Rückkehr in ihre Häuser im Norden des Landes zu ermöglichen. Allerdings mit Mitteln, die Zehntausende Unschuldige das Leben kosten wird. Netanjahu setzt auf Gewalt. Eskalation zur Deeskalation, so soll diese Strategie heißen. Wie in Gaza soll im Südlibanon wohl erst viel kaputt gebombt werden. Dann will man mit Bodentruppen den Feind zerstören. Das ist keine politische Strategie, sondern Reflex. Der Terrorbekämpfung dient es nicht. Vertreibung und Flucht, Tod und Elend sind der Nährboden, auf dem Terror wächst.
Nach fast einem Jahr Krieg und Zehntausenden Toten haben die IDF, das israelische Militär, die Hamas nicht aus Gaza vertrieben. Jetzt sollen die IDF das, was in Gaza scheitert, im Südlibanon wiederholen – gegen einen militärisch von Iran hochgerüsteten Gegner, der über 150.000 Raketen verfügt. Netanjahus Logik hat etwas Irrwitziges: Wenn wir die Hamas nicht ausradieren können, versuchen wir das Gleiche mit der Hisbollah. Anstatt einen Waffenstillstand in Gaza auszuhandeln und eine Nachkriegsordnung zu etablieren, eskaliert man im Südlibanon.
Zwei Dinge könnten die Eskalation noch verhindern
Die politische Elite in Israel scheint seit dem 7. Oktober lernblockiert zu sein. Netanjahus Projekt war das Abraham-Abkommen – Israel wollte mit allen antiiranischen Staaten in der Region eine Aussöhnung ohne Lösung der Palästinafrage. Will sagen: mit einer faktischen Annexion Palästinas. Denn das bedeutet Netanjahus Nein zu einer Zweistaatenlösung. Dieser Plan hatte etwas Finsteres. Aber es war immerhin ein politischer Plan, der veränderbar, verhandelbar gewesen wäre. Jetzt setzt Israel nur noch auf Feuerkraft. Das fatale Anreizsystem ist dabei: Solange der Krieg weitergeht, so lange wird Netanjahu regieren.
Der Westen steht dabei hilflos an der Seitenlinie. Die USA haben keinen Einfluss mehr auf die Regierung in Jerusalem. Deren Kalkül lautet, dass die USA an ihrer Seite stehen werden, wenn es zum großen Krieg kommt.
Zwei Faktoren könnten die Entgrenzung des Kriegs verhindern. Die Wirtschaft ist in Israel seit dem 7. Oktober um mehr als 4 Prozent geschrumpft. Ein großer Krieg kann Israel ruinieren. Und israelische Militärs könnten doch noch begreifen, dass ein Krieg gegen die Hisbollah extrem riskant ist. Denn die verfügt über effektive Tunnel, stabile Befestigungsanlagen und ein Waffenarsenal, das Israels Antiraketenschirm überwinden kann.
Auf politische Ratio der israelischen Rechten ist nicht zu hoffen, vielleicht auf wirtschaftliche und militärische Kosten-Nutzen-Kalküle. Wenn diese Bremsen nicht greifen, droht ein Krieg, der schlimmer als in Gaza werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren