Kommentar Rechte Intellektuelle: Heroismus mit Wurstplatte

Wir haben ein Faszinationsproblem mit den Neurechten: Ihr heldenhafter Habitus ist nichts weiter als eine Pose, auf die keiner reinfallen sollte.

Eine Wurstplatte mit Gabel

Adelt man sie als böse Geisteselite, erfüllt man ihnen ihren innigsten Wunsch Foto: Wesual Click / Unsplash

Die Kinder des Kulturwissenschaftlers Helmut Lethen und der Identitären Caroline Sommerfeld sind einer Waldorfschule verwiesen worden und natürlich habe ich alles dar­über gelesen, das bewegende Interview mit Lethen im Freitag, den voraussehbaren Einwurf von Harald Martenstein und zuletzt die Gegendarstellung von Volker Weiß in der FAS. Helmut Lethen ist vielen ein wissenschaftliches Idol, und das mag die Irritation und Faszination erklären, mit denen wir ein Wiener Familiendrama verfolgen.

Doch wenn man an die Homestorys über den rechten Verleger Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza denkt, die immer gleich funktionieren und trotzdem von allen gelesen werden, kann man auch zu dem Schluss kommen, dass das Problem tiefer sitzt – dass wir ein Faszinationsproblem mit den Rechten haben. Auch deshalb habe ich kürzlich „Tristesse Droite“(Antaios 2015) ausgeliehen, einen Gesprächsband von Autoren der neurechten Sezession.

Bei frisch gebackenem Brot, Wurstplatte und anderen deutschen Köstlichkeiten trifft man sich an vier Abenden bei den Kubitscheks, trinkt „schweren Rotwein“ und sinniert. Geladen sind zum Beispiel die „heilig ergriffene“ Edelfeder Martin Lichtmesz oder „der Raskolnikow“, ein ehemaliger Bundeswehrsoldat mit philosophischen Ambitionen. Sechs Männer, eine Frau.

Wer sind wir, woher kommen wir, was steht an. Jeder darf seine biografische Rechtswerdung erzählen, Kubitschek dirigiert, Kositza fragt nach: „Wie war’s bei Ihnen?“ Es sind Geschichten vom Anders- und Unverstandensein, von Ausgrenzung und Diskriminierung, Ungerechtigkeit und trotzigem „Standhalten“.

Schutz vor der kalten Moderne

Der pubertäre Weltekel, die Verachtung der Massen- und Konsumkultur und das Bedürfnis nach Tiefe und Authentizität führen mithilfe der Klassiker auf den rechten Pfad, aber auch in die Isolation. Es ist nicht leicht, als Einziger „nicht geblendet, verblendet zu sein“, alles „durchschaut“ zu haben, von allen gehasst zu werden und nicht zu weinen:

„Es soll jetzt nicht in Lobhudelei ausarten und kein Emo-Rumgeflenne werden, und wenn doch, dann schlagt mich“, fordert Nils Wegner (mit 26 Jahren der jüngste Teilnehmer) todesmutig und erzählt dann von seinen Leiden, seiner Einsamkeit, und wie schön es war, endlich Martin (Lichtmesz) kennenzulernen. „Weiß nicht, ob man das irgendwie als Kameradschaft bezeichnen kann, aber irgendwas ist halt da, was man sonst nicht findet.“

Die eigene Verzweiflung korrespondiert mit der Schlechtigkeit der Welt, dem Niedergang von allem

Die Gemeinschaft der Kameraden bietet Schutz vor der kalten Moderne, hat therapeutische Funktion und befreit von dem Verdacht, dass man falschliegen könnte. Klar bist du nicht normal, du bist sogar Elite – sprich dich aus! Die eigene Verzweiflung korrespondiert mit der Schlechtigkeit der Welt, dem allgemeinen Niedergang von allem.

Für nichts kann man sich opfern, das ist aus Heldenperspektive ärgerlich: Staat, Familie, „Geschlechter“, Kirche, Schule und Militär sind nicht mehr, was sie einmal waren; sogar dem lieben Volk tropft mittlerweile „die Gülle aus dem Maul“. Die Steuern werden ja auch immer höher (und gehen an „die drei verrotteten Kinder hier im Dorf“). Woran das alles liegen mag? Am Liberalismus ging die Welt zugrunde, an der Amerikanisierung, der Dekonstruktion, der Aufklärung, der Reformation – ein bunter Strauß für ein weites Feld.

„Femen-Muschis“ und „Busendummies“ (Lichtmesz)

Dass der faschistische Mann zur Sentimentalität neigt, weiß man seit Theweleits „Männerphantasien“. Doch zuweilen schlägt die Larmoyanz in vulgäre Aggression um. Femen-Aktivistinnen heißen dann „Femen-Muschis“ und „Busendummies“ (Lichtmesz), Kubitschek betrauert das „wehrbereite Volk“ der weißen Südafrikaner, das „alles hätte niederkartätschen können, was da irgendwie hochkommt“.

Die Identifikation mit dem Apartheidsregime zeigt, dass sich am völkischen Rassismus der Rechten rein gar nichts geändert hat, Ethnopluralismus hin oder her.

Das handfeste Problem besteht darin, dass diese Leute regelmäßig „Akademien“ für Schüler und Studenten ausrichten und dass Männer, die der Pubertät nie recht entwachsen sind, vielleicht einen besseren Draht zu Teenagern haben als Erwachsene.

Erhobenen Hauptes, von Tragik umweht, subversiv, allwissend und stählern schauen sie von dem verlorenen Posten einer Ritterburg auf die kaputte Welt herab, Arm in Arm, mit einer Träne im Auge und einem menschenfeindlichen Spruch auf den Lippen. All der Lächerlichkeit zum Trotz hätte ich das mit 17 vielleicht cool gefunden.

2015 waren die Rechten noch allein und unglücklich

Mittlerweile kursiert das von einigen Publizisten gestreute Gerücht, das neue rechte Denken sei vielleicht spannender als das linke oder liberale. Das viel diskutierte und kluge „Mit Rechten reden“ von Per Leo und Co. bezog sich vor allem auf die Sezessionisten.

Der Respekt, den die Autoren den rechten Querdenkern zollten und der auch Thomas Wagners Buch über die „Angstmacher“ durchzieht, weckte das Interesse des Feuilletons, das daraufhin das Gegenbuch „Mit Linken leben“rezensierte, und es ist wohl nur eine Frage von Wochen, bis Kubitschek einen Gastbeitrag in der FAZ veröffentlichen darf, was wir natürlich sehr kontrovers diskutieren werden. Wie man hört, hat die Zeit schon ein Pro & Contra dazu geplant, wobei die Wahrheit wie immer in der Mitte liegen wird.

2015 waren die Rechten aber noch allein, unglücklich und ziemlich unbekannt. Kubitschek beklagt sich bitterlich, dass seine Bücher nicht in der FAZ besprochen werden, weil er „keine schwule Lyrik aus Brasilien“ verlegt: „Es ist objektiv ungerecht. […] Und mit dieser ganzen Zurücksetzung haben wir zu leben, und vielleicht sind wir die, die wir sind, auch gerade deshalb.“

Ersteres ist objektiv falsch, Letzteres wahrscheinlich richtig und fein beobachtet. Wenn man die Kubitscheks als böse Geisteselite adelt, erfüllt man ihnen ihren innigsten Wunsch. „Tristesse Droite“ bezeugt dagegen eindrucksvoll „die dünne Substanz der viel diskutierten Rechtsintellektualität“ (Volker Weiß). Der heroische Habitus ist nichts weiter als Pose, auf die wir nicht länger hereinfallen sollten.

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