Europe's Far Right.Research Network
30. November 2018

Die unheilige Allianz

Wie sich christliche FundamentalistInnen, radikale AbtreibungsgegnerInnen und rechte Parteien verbünden, um an die Macht in Europa zu gelangen

Verona, 4. Oktober 2018. Im Palazzo Barbieri, der mit seinen neoklassischen Säulen an einen römischen Tempel erinnert, tagt der Stadtrat. Antrag 434 steht auf der Tagesordnung, „Zur Verhinderung von Abtreibung und zur Unterstützung der Mutterschaft“. Eingebracht hat ihn Alberto Zelger, Stadtrat der rechtsextremen Lega, die seit Juni gemeinsam mit der populistischen 5-Sterne-Bewegung das Land regiert. Das Abtreibungen in Italien legalisiert wurden, ist auf den Tag genau 40 Jahre her.

Von den Rängen des Saales aus verfolgen rund zwanzig Frauen die Sitzung. Sie tragen rote Umhänge und weiße Kopfbedeckungen. Es ist die Kluft der Frauen aus dem dystopischen Roman „Die Geschichte der Magd“ der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood. Der Roman zeigt eine Zukunft, in der Frauen als Gebärmaschinen versklavt werden. Seit er im letzten Jahr große Erfolge als Fernsehserie feierte, ist das Kostüm zum Symbol des Kampfs für Frauenrechte geworden und wird von AktivistInnen weltweit getragen.

Denn der Möglichkeit, dass Frauen sich gegen ein Kind und für eine Abtreibung entscheiden können, hat nicht nur die italienische Lega den Kampf angesagt. Abtreibungsrechte einzuschränken ist ein Ziel der radikal rechten Parteien insgesamt. Und nicht nur das: Egal ob es um Mutterrolle oder Familienbild, um Sexual- oder Gleichstellungspolitik geht – die Rechten verfolgen eine strikt antifeministische Agenda. Neben dem Ziel, das mehr einheimische, weiße Kinder geboren werden, steckt dahinter auch eine strategische Überlegung: Mit dem so genannten Lebensschutz werden fundamentalistische christliche Gruppen an die Parteien gebunden. Der Angriff auf das, was beispielsweise die AfD gern „Gender-Gaga“ nennt, soll dem Sprung ins bürgerliche Milieu erleichtern. Die Bandbreite der gesellschaftlichen Gruppen, in denen WählerInnen gewonnen werden können, wird so größer.

Einig im Kampf gegen das liberale Europa: Matteo Salvini von der Lega, Beatrix von Storch von der AfD, Stephen Bannon, neuer Berater von Viktor Orbán. Verona, bekannt unter anderem für sein römisches Amphitheater, ist die Arena, in der ihre Politik zusammengeführt werden soll ILLUSTRATION: Eléonore Roeder

Mit ihren Protesten in Verona erregen die Aktivistinnen der Gruppe „Non una di meno“ („Nicht eine weniger“) Aufmerksamkeit in ganz Italien. Doch die Verabschiedung des Antrags im Stadtrat können sie nicht verhindern: Er wird mit 21 zu 6 Stimmen angenommen.

Verona nennt sich nun offiziell „Stadt für das Leben“. Katholische Organisationen wie das Gemma Projekt, die Frauen daran hindern wollen, ihre Schwangerschaft abzubrechen, werden mit öffentlichen Geldern unterstützt. Zudem wird ein regionales Projekt ins Leben gerufen, das ungewollt schwangere Frauen ermutigt, die Kinder auszutragen und zur Adoption frei zu geben. Vor allem aber befürchten AktivistInnen und GynäkologInnen, dass die öffentlichen Krankenhäuser weiter unter Druck geraten, keine Abtreibungen mehr vorzunehmen. In vielen Gegenden des Landes weigern sich ÄrztInnen, Abtreibungen durchzuführen. Nach der jüngsten Studie des Gesundheitsministeriums sind es bereits 70 Prozent aller ÄrztInnen, in einigen Regionen mehr als 90 Prozent.

Abtreibung ist kein Recht, es ist ein abscheuliches Verbrechen.

Alberto Zelger, Lega-Stadtrat von verona

So begründet der Lega-Stadtrat seinen Antrag. „Es bedeutet, ein Kind im Bauch der Mutter zu töten“. Eine Position, die er sich mit dem italienischen Familienminister Lorenzo Fontana teilt. Fontana, 38, ist Vize-Chef der Lega, Trauzeuge von Innenminister Matteo Salvini – und stammt aus Verona.

Wie stellt sich Europas Rechte für die EU-Wahl im Mai 2019 auf? Dieser Frage wird sich die taz in den nächsten Monaten schwerpunktmäßig widmen. Dafür hat sie gemeinsam mit fünf Partnermedien den Rechercheverbund „Europe’s Far Right“ gegründet: Libération (Frankreich), Falter (Österreich), HVG (Ungarn), Gazeta Wyborcza (Polen) und Internazionale (Italien). Wir recherchieren gemeinsam und veröffentlichen die Ergebnisse dann gleichzeitig in Beiträgen, die auf die LeserInnenschaft der einzelnen Länder zugeschnitten sind. Online finden Sie das Projekt unter taz.de/efr. Für die grafische Umsetzung und die Online-Präsentation arbeiten wir mit den Agenturen Infotext Berlin und Zoff Collective zusammen.

Verona: Das Labor der Reaktionäre

Die 250.000-Einwohnerstadt in Norditalien, nahe Venedig, ist traditionell besonders eng mit der katholischen Kirche verbunden. Und mit dem Faschismus: Mussolini wählte die Stadt 1943 für die Neugründung seiner Partei, in den 1970er und 1980er Jahren waren rechtsterroristische Gruppen in Verona zuhause.

Die venezianische Lega, Keimzelle der Partei, die ein ehemaliger Bürgermeister von Verona lange Zeit führte, hatte stets enge Beziehungen sowohl zur extremen außerparlamentarischen Rechten als auch zu katholischen TraditionalistInnen. Es gibt ein Bild von einer „Demonstration für die Familie” in Verona aus dem Jahr 2015, das diese Nähe sehr gut zeigt: Hinter dem Demobanner steht der heutige Minister Fontana zusammen mit dem Gründer der katholischen Organisation Christus Rex, die eng mit der neofaschistischen Forza Nuova verbunden ist.

Italiens Lega-Familienminister und Salvini-Freund Lorenzo Fontana (1. Reihe, 4. von links) bei der "Demonstration für die Familie", zusammen mit Neofaschisten der Forza Nuova, 2015 in Verona

Kein Wunder also, dass sich ausgerechnet Verona an die Spitze eines Anti-Abtreibungskreuzzugs in ganz Italien stellt. Die Debatte beschäftigt seit Oktober das ganze Land. Während tausende Frauen demonstrierten, kopierten rechte Politiker in Rom, Mailand oder Ferrara den Antrag aus Verona und versuchen nun, ihn in ihren Städten ebenfalls verabschieden zu lassen. Was in Verona funktioniert, lässt sich exportieren – zumindest dorthin, wo Rechte in Stadtparlamenten sitzen.

Oder in der Regierung in Rom. In seinem ersten Interview, nachdem er im Mai Familienminister wurde, sagte der Lega-Mann Fontana, eines seiner Hauptanliegen sei, die Geburtenrate in Italien zu erhöhen und den Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche zu verstärken.

Ich bin katholisch, ich glaube, dass die natürliche Familie aus Vater, Mutter und Kindern besteht.

Lorenzo Fontana, Lega-Familienminister von Italien

Fontana widmete dem Thema sogar ein ganzes Buch: „Die leere Wiege der Zivilisation. An den Ursprüngen der Krise“ wurde beim sogenannten „Festival des Lebens“ präsentiert, das im Februar in Verona statt fand und das die Stadtverwaltung finanziell förderte.

22. Mai 2018: Im Palazzo Marino, dem Rathaus von Mailand, diskutiert der Stadtrat über eine Reform des Abtreibungsrechts, draußen protestieren AktivistInnen der Bewegung "Non una di meno". FOTO: Maule/Fotogramma/ROPI

Speerspitze der globalen Lebensschutzbewegung

Jetzt will Verona diesen Kampf auf die nächste Stufe heben. Ende März 2019 wird der „World Congress of Families“ in Verona statt finden – und AbtreibungsgegnerInnen weltweit motivieren, in die Offensive zu gehen. Der World Congress of Families versteckt seine Agenda hinter einem harmlos klingenden Namen. Was sollte an Familien bedrohlich sein? Doch „Familie“, das bedeutet in diesem Fall: Die einzig wahre besteht aus Mann, Frau und möglichst vielen Kindern. Schwangerschaftsabbrüche? Teufelszeug. Die Frau, die kein Recht auf den eigenen Körper hat: Beim World Congress of Families ist sie das Ideal.

Die jährlich stattfindende Zusammenkunft ist die weltweit wichtigste Veranstaltung religiöser Rechter und konservativer AntifeministInnen, die globale Speerspitze der VerteidigerInnen der „traditionellen Ehe und Familie“. Zum ersten Mal fand er 1997 statt, seitdem tourt er durch die Welt, um jeweils vor Ort Kontakte zu knüpfen, Strategien zu entwickeln und sein Netzwerk auszudehnen. Veranstalter ist die „International Organisation for the Family“ mit Sitz im US-Bundesstaat Illinois, seinen Ursprung hat er in der US-amerikanischen religiösen Rechten.

Doch die TeilnehmerInnen kommen, wie der Name schon sagt, aus aller Welt: Es sind religiöse Würdenträger, VertreterInnen privater Organisationen, der Zivilgesellschaft aber auch offizieller staatlicher Stellen. Parteipolitisch gibt sich der Kongress pragmatisch:

Wer unsere Werte vertritt, ist uns willkommen.

Brian Brown, Präsident des World Congress of Families

Spätestens seit 2017 sucht der Kongress offen die Nähe zu rechten Regierungen in Europa. Denn es gibt Schnittstellen, an beide dieselben Positionen vertreten, an denen Religion und Biopolitik Hand in Hand gehen: Keine Einwanderung, vor allem keine muslimische – um den christlichen Glauben nicht zu gefährden. Die Beschneidung der Rechte von LGBTI. Und der Zugriff auf den weiblichen Körper, um dem Land Kinder zu schenken und es wehrhaft zu machen.

Das Denkmal für "alle, die Kinder großziehen". Väter gehören offensichtlich nicht dazu. Die Statue ist nicht aus dem letzten Jahrhundert, sondern wurde im Oktober 2018 in Budapest von Katalin Novák (2. v. links), ungarische Ministerin für Familie und Jugend sowie Vizevorsitzende der Fidesz, enthüllt. FOTO: MTI

Die erste Station, bei der die Nähe zwischen dem Kongress und den europäischen Rechtsparteien offenbar wurde, war im Mai 2017 Budapest. Zwar fanden auch zuvor schon Kongresse in europäischen Städten statt. Doch nie zuvor war die Verflechtung zwischen Kongress und Regierung so eng wie in Ungarn.

Auf Kontaktsuche zu Europas rechten Parteien

Denn die Stadt war nicht nur Gastgeber: Die Fidesz-Regierung sponsorte den Kongress, das ungarische Sozialministerium organisierte ihn zusammen mit der "International Organisation for the Family“. MinisterInnen der Fidesz-Partei hielten Ansprachen, Präsident Victor Orbán persönlich die Eröffnungsrede

Orbán positionierte sich damals als Verteidiger christlicher Werte – und rechtfertigte so seine Politik gegen Flüchtlinge und MigrantInnen. Er beschwor ein Untergangsszenario: 2015, sagte Orbán, sei Europa „belagert“ worden – von hunderttausenden illegalen MigrantInnen, die über die Balkanroute kamen. Nun, 2017, sei die Maschinerie, die diese Fluten in Bewegung gehalten haben, vorerst gestoppt: „Uns wurde ein wenig Zeit gegeben, unsere Politik zu reorganisieren.“ Sein Ziel, um das, wie er sagte, alte, schwache Europa gegen die jungen Einwanderer stark zu machen:

So viele ungarische Kinder wie möglich.“

Viktor Orbán, Präsident von Ungarn

Wo Männer noch echte Männer sein dürfen: In Ungarn. Präsident Viktor Orbán posiert am 27. November 2018 mit Chuck Norris und postet das Bild auf Facebook. "Die Liberalen hassen mich", ließ Orbán seinen Gast wissen.

Nun also Verona, ein strategischer Coup für den Kongress. Zum ersten Mal wird er hier in einem westeuropäischen Land stattfinden, dessen Regierung gemeinsame Sache mit der globalen Lebensschutzbewegung macht: Dem letzten World Congress, im September 2018 in Moldau, schickte Matteo Salvini eine Grußbotschaft: »Ihr Kampf für die natürliche Familie ist für das Überleben der Menschheit unerlässlich.«

An dem Tag dann, als in Veronas Stadtparlament Frauen in roten Kutten demonstrieren, trifft sich Salvini in Rom mit dem Präsidenten des Kongresses, Brian Brown, einem ehemaligen Quäker, der zum katholischen Christentum konvertiert ist. Salvini sichert die Unterstützung der italienischen Regierung für den Kongress zu. Gemeinsam präsentieren sie das Logo des Kongresses, das stilisiert Mann und Frau zeigt. Der Mann blau, die Frau rot.

Pro Russland, contra Frauenrechte

Der Kongress und die dahinterstehende Organisation, sie wollen Einfluss auf Europa, nicht nur im Osten. Die rechten Parteien sind ihnen dabei willkommener Partner. Und diese sind der Verbindung ihrerseits nicht abgeneigt: Spätestens seit dem Kongress in Budapest zeigen rechte PolitikerInnen aus ganz Europa bei den Kongressen Präsenz.

Da war, mehrfach, der Franzose Fabrice Sorlin, der 2007 als Kandidat für den Front National im südfranzösischen Pessac antrat. Zu jener Zeit war er auch Anführer von Dies Iræ, einer mittlerweile aufgelösten nationalistisch-katholischen Gruppe in Bordeaux. Heute lebt er in Moskau und ist Präsident der Alliance France-Europe Russie, einer Lobbyorganisation, die an der Annäherung von russischem Staat und der europäischen Rechten arbeitet. Da war die AfD-Spitzenfrau Beatrix von Storch, erzkonservative Katholikin und Bundestagsabgeordnete, die einst erklärte, Abtreibung sei „kein Menschenrecht“.

Der "Marsch für das Leben", September 2017. Der jährliche Protestzug von AbtreibungsgegnerInnen wurde in der Vergangenheit von Beatrix von Storch angeführt FOTO: Stefan Boness/Ipon

Da war ihr Cousin Paul von Oldenburg, Lobbyist der katholischen Organisation „Tradition, Familie und Privateigentum“. Als das polnische Parlament 2016 in erster Lesung für ein fast vollständiges Verbot von Abtreibungen stimmte, schrieb von Oldenburg: "Die TFP Polen war federführend an dieser Initiative beteiligt. Auf dem Weg zurück zu einer Kultur des Lebens."

Und da waren Tobias Teuscher und seine Frau Maria Teuscher-Hildingsson – er Geschäftsführer der AfD-Gruppe innerhalb der ECR-Fraktion im Europaparlament, sie Generalsekretärin der Föderation der katholischen Familienverbände in Europa und Mitglied des antifeministischen, europaweiten Netzwerks Agenda Europe.

"Im Ausnahmezustand": Der Brückenschlag in die außerparlamentarische Rechte

Sie und noch viele weitere, parteipolitisch Aktive nahmen an den Kongressen teil. Und auch im kommenden März in Verona werden viele PolitikerInnen dabei sein. Doch die ideologische und strategische Verbindung zwischen den Parteien und den AbtreibungsgegnerInnen, an der auf den Kongressen gearbeitet wird, reicht noch weiter: bis in die außerparlamentarische extreme Rechte.

Auch das lässt sich in Verona beobachten. Die für ihre Schönheit weltberühmte Stadt ist in diesen Monaten der Ort, an dem katholischer Traditionalismus und radikale Rechte sich für den Weg an die Macht in Europa verbünden.

Am einem Freitag, Ende November 2018, fällt milder Regen auf die Stadt. Verona, steht an diesem Tag in der lokalen Monopolzeitung L‘Arena, sei im „Ausnahmezustand“: Die neofaschistische Partei „Forza Nuova“ will am Samstag einen Anti-Abtreibungskongress abhalten und anschließend zur „Arena di Verona“ marschieren, dem weltberühmten Amphitheater. Nachdem den NeofaschistInnen ihr Veranstaltungsort durch massive Proteste abhanden gekommen war, hat die Stadtregierung schnell und unbürokratisch eine Immobilie als Ersatz zur Verfügung gestellt: das etwas abgelegene, aber prestigeträchtige Stadttor Porta Palio.

Auf dem bekiesten Vorplatz steht ein Kleinbus der „Kotleba – Volkspartei Unsere Slowakei“. Der rustikale Vorsitzende der filonazistischen Gruppierung, Marian Kotleba, wird ebenso auf dem Kongress sprechen wie der alerte Damian Kita vom polnischen neofaschistischen und antisemitischen „Nationalradikalen Lager“ (ONR). Beim von dem ONR mitorganisierten rechten Massenaufmarsch am 11. November in Warschau war Forza Nuova schließlich auch dabei.

Der Saal füllt sich am Samstagvormittag. Gut hundert Leute steigen die knarzenden Holztreppen hoch, zwei Drittel Männer, jenseits der sechzig, ein Dutzend Skins in schwarzen Bomberjacken. Einer davon, ein mittelalter Hüne, schaut während der Reden gern mal gelangweilt auf sein Handy. Auf dem Startbildschirm ist ein Hakenkreuz.

Zu Gast bei den Neofaschisten der "Forza Nuova": Abtreibungsgegner aus verschiedenen europäischen Ländern bei einer Versammlung in der Porta Palio, dem Stadttor von Verona, am 24. November 2018 FOTO: ROPI/Vincenzo Amato

Zu den ZuhörerInnen spricht unter anderem der Vorsitzende der Forza Nuova, Roberto Fiore. Die Reden zeigen, wie gut antifeministische Inhalte zu einem rechtsextremen Programm passen: Das Recht auf Abtreibung, die Homo-Ehe und die „Genderideologie“ zusammen mit einer angeblich bewusst herbeigeführten „Masseneinwanderung“ aus Afrika – das sei ein Projekt, um die ItalienerInnen, die SlowakInnen, den Katholizismus, ja die weiße Rasse schlechthin auszurotten, heißt es.

Doch der Ausnahmezustand bleibt aus: Zum rechten und ultrakatholischen Aufmarsch am Nachmittag kommen gerade einmal gut 50 Menschen. Sie würden mit ihren Papst-und Marienbildern, den Anti-Abtreibungsslogans und den christlich-leiernden Gesängen im samstäglichen Trubel völlig untergehen, wäre nicht massiv Polizei vor Ort. Bei der Abschlusskundgebung mit Blick auf die Arena stehen vorn die Anzugträger, dahinter und in der sehr überschaubaren Zuschauermenge verteilt das inzwischen nur noch halbe Dutzend Schläger. Als ihr Anführer Roberto Fiore spricht, steigern sie sich kurz zu „Fiore, Fiore“-Rufen, die nicht nur in ihrer Zweisilbigkeit an die alten „Duce, Duce“ -Rufe gemahnen. Kurze Zeit später ist der Spuk vorbei.

Für den Duce, für das Leben: Der Marsch von italiens Neofaschisten und christlichen AbtreibungsgegnerInnen, am 24. November 2018 in Verona FOTO: Vincenzo Amato/ROPI

Die Zivilgesellschaft in Verona hat all das nicht unwidersprochen gelassen. Nach dem Ende der FaschistInnenversammlung in der Porta Palio warten auf der anderen Seite des Flusses Alioscia Antinori und Andrea Nicolini beim Espresso in der „Osteria dei Preti“. Die Osteria im mulikulturellen Stadtteil Veronetta ist der Treffpunkt der Jugend und der Linken, abends ist sie voll, dann gibt es Livemusik. Die beiden Männer sind Mitglieder der „Assemblea 17 dicembre“, einem breiten Bündnis von linken Gruppen, die LGBT und MigrantInnen unterstützen. Am Nachmittag um vier hatten sich mehr als 400 Leute auf der Piazza Iseo hier im Viertel versammelt, um das Recht auf Abtreibung zu verteidigen und gegen eine Stadtverwaltung zu demonstrieren, die mit den FaschistInnen unter einer Decke stecke – deutlich mehr als die NeofaschistInnen auf der anderen Seite der Stadt.

Stephen Bannon und das "Dignitates Humanae Institute"

Alles halb so wild also, in Verona, im Laboratorium der Rechten? Vorsicht, sagen Antinori und Nicolini. Viele „Kameraden“ hätten schlicht keine Lust gehabt, mit den langweilig-leiernden UltrakatholikInnen singend durch die Stadt zu wandern und seien gar nicht erst nach Verona gekommen. Fiore, der Forza Nuova-Anführer, der in Italien dafür bekannt ist, dass er bei aller ideologischen Radikalität immer zuerst auf Bereicherung aus ist, müsse gute Gründe gehabt haben, die Sache durchzuziehen: Geld und Einfluss ist es, was sich die NeofaschistInnen von der Allianz mit den UltrakatholikInnen erhoffen.

Denn die Lebensschutzbewegung hat finanzstarke und einflussreiche Fürsprecher. Einige hundert Kilometer südlich von Verona, ganz in der Nähe von Rom inmitten einer idyllischen Berglandschaft, liegt die Abtei von Trisulti. Über Jahrhunderte lebten hier zurück gezogen Mönche. Nun beherbergt die Abtei einen rechtskatholischen Thinktank: Das Dignitatis Humanae Institute.

Die Abtei von Trisulti, östlich von Rom, hat Italiens Regierung an das Dignitatis Humanae Institute vermietet KARTE: INFOTEXT

Der italienische Staat hat das Klostergebäude an die rechte Denkfabrik vermietet, die gegen Abtreibung und für den "Schutz des Christentums“ aktiv ist. Ihre führenden Figuren sind gleichzeitig wichtige Akteure des World Congress of Families. Gründer des spendenfinanzierten Instituts ist der Brite Benjamin Harnwell, eine Art Götz Kubitschek Italiens.

Bis 2010 war der zum Katholizismus konvertierte Brite Harnwell Mitarbeiter des EU-Parlaments, schon dort machte er sich gegen Abtreibung stark. 2008 gründete er das Dignitates Humanae Institute.

Das DIH versucht die Politik zu beeinflussen, in dem es die breitest mögliche Koalition an der Achse von Lebensschutz und traditioneller Familie aufbaut.

Benjamin Harnwell, Dignitatis Humanae Institut

Gegen den DIH-Vorsitzenden, den Italiener Luca Volonté, ermittelt die Staatsanwaltschaft Mailand, weil er in seiner Zeit im Europarat 2,7 Millionen Euro Bestechungsgeld angenommen haben soll. Das Geld nutzte er, wie das italienische Wochenmagazin L’Espresso jüngst herausfand, vor allem dazu, um weltweit reaktionäre katholische Vereine von „LebensschützerInnen“ zu unterstützen. Unter ihnen auch das Dignitates Humanae Institute.

Das prominenteste Aushängeschild des Instituts: Stephen Bannon, Katholik, ehemaliger Berater von US-Präsident Donald Trump und Ex-Chef der rechtsextremen Propagandaseite Breitbart News. Sein Konterfei prangt groß auf der DIH-Homepage. „Harnwell ist der klügste Mann in Rom“, wird Bannon dort zitiert. Seit Jahren, sagt Harnwell, helfe Bannon dabei, das Institut aufzubauen, Spenden einzutreiben und ein Trainingsprogramm für katholisch-politische AktivistInnen zu entwerfen.

Trump wollte ihn nicht mehr, Orbán hat ihn noch genommen: Stephen Bannon will jetzt Europs Rechte vereinen FOTO: Jane Barlow /dpa

Nach seiner Entlassung durch Trump im August 2017 kündigte Bannon an, „die globale Infrastruktur der globalen populistischen Bewegung“ werden zu wollen. Ein Ausgangspunkt für ihn ist dabei offenbar das Institut – und dessen Verbindungen zum World Congress of Families und den sich dort tummelnden Politikern. Kürzlich hat Bannon angekündigt, den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán im anstehenden EU-Wahlkampf „beraten“ zu wollen. Gemeinsam wollen sie „konservatives Denken statt liberaler Werte“ verbreiten – und die europäische Rechte im neuen EU-Parlament einen.

Davon träumen RechtspopulistInnen in vielen Ländern, in Deutschland zum Beispiel. AfD-Chef Jörg Meuthen, jüngst zum Spitzenkandidaten seiner Partei für die EU-Wahl nominiert, setzt auf die Allianz mit Anführern der Lega, FPÖ und Fidesz:

Salvini, Strache und Orbán sind "unsere natürlichen Verbündeten"

Jörg Meuthen, Vorsitzender und Spitzenkandidat der AFD für die EU-Wahl

„Wir streben natürlich eine Kooperation mit diesen Partnern an“, sagte Meuthen vor seiner Nominierung. Und schob nach: „Das geht.“

Genau das will auch die Lega.

In Fontanas Heimatstadt Verona, diesem Ort, der wie kein anderen in Italien für eine Verschmelzung von religiöser, bürgerlicher und extremer Rechte steht und in dem im März der World Congress of Families statt finden soll, wollen die Rechten bald das Totenglöckchen für die Europäische Union, wie wir sie kennen, läuten. Denn noch eine Veranstaltung soll hier statt finden: Fontana hat verkündet, im "Februar, spätestens im März“ in Verona eine Konferenz aller „souveränistischen“ Parteien Europas abzuhalten. „Souveränistisch“, das ist ein von der Lega bevorzugter Terminus für das ordinäre "nationalistisch". Und er macht klar, wem man Macht nehmen will: Brüssel. Eingeladen fühlen dürften sich vom französischen Rassemblement National, wie der Front National inzwischen heißt, über Orbáns Fidesz bis zur AfD alle rechten Parteien Europas. AfD-Chef Meuthen würde sich über eine Einladung freuen. Und wohl nach Verona reisen, wie er der taz sagte.

Das Ziel der Konferenz sei es, „gemeinsame Programmpunkte für die EU-Wahl“ zu erarbeiten, formulierte Fontana gegenüber dem Corriere della Sera eher vorsichtig – wissend, dass es für ein gemeinsames Wahlprogramm nie reichen wird. Denn die Differenzen zwischen den Rechtsparteien scheinen da, wo es um europäische Finanzpolitik geht, unüberbrückbar. Das hinderte Fontana jedoch nicht, schon mal zu verkünden, dass es ja dennoch einen gemeinsamen Kandidaten für die Nachfolge von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geben könnte. Im Auge hat er dabei seinen „Freund Matteo“: Salvini.

Die Europäische Union stehe an einem "wichtigen, vielleicht historischen Wendepunkt", sagte Fontana. Ziel der „Souveränisten“ sei nicht, die Union zu verlassen, sondern die europäischen Verträge zu verändern. Nach Jahrzehnten gebe es nun die Chance, eine Ära der Reformen einzuläuten.

Mailand, Oktober 2018: Kundgebung der Forza Nuova FOTO: Alberico/Fotogramma/ROPI

Abtreibung: Die Lage in Europa

In Ungarn ist Abtreibung zwar erlaubt, doch die Regierung stellt Frauen viele Hindernisse in den Weg: Für den Zugang zu Verhütungsmitteln, einschließlich der Pille danach, ist eine ärztliche Verschreibung nötig. Den „Schutz des Lebens von der Empfängnis an“ hat Orbáns Fidesz-Partei seit 2012 in der Verfassung festgeschrieben. Damit, befürchten Frauengruppen, könne es jederzeit zu Einschränkungen von Schwangerschaftsabbrüchen kommen.

Diesen Monat hat Staatssekretärin Katalin Novák, zuständig für Familie und Jugend, ein Denkmal enthüllt. Es ist die Bronzefigur einer jungen Frau, die von Glück erfüllt auf zwei kleine Kinder blickt. Der Bub hält ein Auto in der Hand, das Mädchen hat die Haare artig zum Zopf gebunden. „Gewidmet denen, die kleine Kinder erziehen“, steht auf dem Monument. Einen Vater sucht man vergeblich.

Gerade ist in Ungarn wieder eine Volksbefragung in Gange, diesmal zum Thema Familie. Die Regierung fragt die Ungarn, ob sie – wie die Brüsseler Bürokraten es angeblich vorschlügen – das demografische Problem durch Migranten lösen wollen oder doch lieber – wie es die ungarische Regierung vorschlage – durch mehr Unterstützung für ungarische Familien. So verspricht die Orbán-Regierung etwa, dass Frauen ab der Geburt des dritten Kindes lebenslang keine Einkommensteuer bezahlen müssen.

In Österreich sind Abtreibungen bis zum dritten Schwangerschaftsmonat – ähnlich wie in Deutschland – straffrei. Zwar spricht sich die an der Regierung beteiligte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) nicht offen für die Abschaffung der sogenannten „Fristenlösung“ aus. Zahlreiche hochrangige FPÖ-VertreterInnen sagen aber offen, dass sie gegen Abtreibungen sind.

Im Regierungsprogramm, das die FPÖ im letzten Jahr mit ihrem konservativen Koalitionspartner vereinbarte, ist der „Schutz der Familie“ ein wichtiger Bestandteil. „Als Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern“ sei diese „die natürliche Keimzelle und Klammer für eine funktionierende Gesellschaft“, heißt es dort.

Die FPÖ spielt ein Doppelspiel: Zum einen fordert sie, dass Abtreibungen nicht von privaten AnbieterInnen durchgeführt werden sollen und nennt private Kliniken eine „Abtreibungsindustrie“. Zum anderen spricht sie sich dagegen aus, dass in allen öffentlichen Krankenhäusern Abtreibungen ermöglicht werden, weil dies es für Frauen erleichtern würde, eine Abtreibung durchzuführen.

Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze des Kontinents. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann möglich, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, sie vergewaltigt wurde oder wenn das Kind eine schwere Behinderung haben würde. 2017 hatten Polinnen 1.057 legale, aber zwischen 80.000 und 200.000 illegale Abbrüche.

Gemeinsam mit der rechten Regierungspartei PiS will eine Volksinitiative das Gesetz nun noch verschärfen. Bisher wurde der Gesetzesentwurf wegen Protesten der Bevölkerung nicht umgesetzt. Doch falls er durchkommt, müssten Frauen auch Kinder austragen, die keine Überlebenschance haben. Diese Kinder könnten dann „getauft und beerdigt werden, und sie könnten einen Namen tragen“, sagte der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński.

Anfang 2016 führte die PiS mit dem Programm „Familie 500+“ zudem ein Kindergeld von etwas mehr als 100 Euro für jedes Kind ab dem zweiten ein – viel Geld in einem Land mit einem Durchschnittslohn von knapp 1.000 Euro. Kritik gab es, weil das Gesetz vor allem Alleinerziehende mit nur einem Kind benachteilige, in der Mehrheit Frauen. Danach gefragt, was sie einer alleinstehenden Mutter raten würde, sagte PiS-Sprecherin Beata Mazurek: „Ich würde sie ermutigen, ihre familiäre Situation zu stabilisieren und mehr Kinder zu bekommen, damit sie vom Programm profitieren kann.“

In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche verboten und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. So muss eine Schwangere den Abbruch vor der 13. Schwangerschaftswoche vornehmen lassen und sich vorher bei einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen. Die oppositionelle AfD will Schwangerschaftsabbrüche dennoch zum besseren „Schutz des ungeborenen Lebens“ erschweren. Deshalb soll „bei der Schwangerenkonfliktberatung das vorrangige Ziel der Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens“ sein. Weiter heißt es im Programm: „Die AfD wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibungen (…) zu einem Menschenrecht zu erklären.“ Kinderlosigkeit hingegen will die AfD mit Hilfe des Steuer- und Rentenrechts bestrafen.

Für die AfD sind Ehe und Familie die Keimzelle der deutschen Nation. In ihrem Grundsatzprogramm fordert die Partei die „traditionelle Familie als Leitbild“. Die demografische Entwicklung sieht die AfD als Problem, das nicht mittels Einwanderung gelöst werden solle – sondern durch „mehr Kinder statt Masseneinwanderung“. Im Programm heißt es: „Mittels einer aktivierenden Familienpolitik (muss) eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden.“ Gerne spricht man in der AfD von einer „Willkommenskultur für deutsche Kinder“.

In Frankreich sind Abtreibungen seit den 1970er Jahren erlaubt. In den vergangenen Jahren ist jedoch eine Bewegung von GegnerInnen des Gesetzes entstanden, darunter viele junge Menschen, die sich die „Überlebenden“ nennen. Die Front-National-Politikerin Marion Maréchal-Le Pen behauptete, viele Frauen würden aus reiner Bequemlichkeit abtreiben – die Krankenkassen sollten die Kosten deswegen künftig nicht mehr vollständig übernehmen. Der französische Steuerzahler, so Maréchal-Le Pen, dürfe nicht „systematisch für das unverantwortliche Handeln mancher Frau blechen müssen“.

Recherche kostet Geld. Geld, das gerade bei denjenigen unserer Partnermedien, die von den Regierungen finanziell unter Druck gesetzt werden, immer öfter fehlt. Wir freuen uns deswegen, dass wir mehrere externe Förderer für unser Projekt gewinnen konnten: Die Mercator-Stiftung unterstützt uns mit ihrem „Fleiß und Mut“-Stipendium, von der Robert-Bosch-Stiftung haben wir das Stipendium „Reporters in the Field“ erhalten, das grenzüberschreitende Recherchen fördert. Auch die Otto-Brenner-Stiftung, die in diesem Jahr bereits unser Rechercheprojekt „Netzwerk AfD“ förderte, ist dabei. Pressefreiheit, gerade auch jenseits von Deutschland, ist eins der Kernthemen der taz Panter Stiftung, die das Projekt deswegen ebenfalls fördert.

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Illustration: Eléonore Roedel