Kommentar Neonazi-Konzert in Themar: Auf dem rechten Auge blind

Wo bleibt die Aufregung über das Treffen? Der Wirbel um die G20-Krawalle bei gleichzeitigem Dulden des rechtsextremen Festivals sagt viel aus.

Ein Polizist am steht in der Nähe eines Festivalgeländes. Er dreht der Kamera den Rücken zu

Ein Polizist steht am Rande des Konzerts in Themar Foto: reuters

Treffen sich 6.000 Neonazis und dürfen ungehindert feiern. So geschehen in der thüringischen Kleinstadt Themar am Wochenende, nahezu unbemerkt von der großen Politik. Und so geschehen genau eine Woche nach dem G20-Gipfel in Hamburg, der eine in jüngster Zeit beispiellose Hetze gegen Linksradikale nach sich zog.

Keine Frage, vor allem die Ausschreitungen im Hamburger Schanzenviertel waren politisch falsch und strafrechtlich relevant. Dass danach aber ein wahrer Shitstorm über das Land hereinbrach, in dem gegeifert wurde, nun müssten bundesweit linksautonome Zentren geschlossen werden und in dem sich unter anderem Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) zu der Behauptung verstieg, die Randale sei so schlimm gewesen „wie Terror von Rechtsextremen“, zeigt, dass hierzulande immer noch nichts verstanden wurde – oder viele einfach nicht verstehen wollen.

Denn was gerade in Themar passiert ist, hatte eine vollkommen andere Qualität. In Thüringen kamen gerade organisierte Mitglieder aus dem gesamten Spektrum der extremen Rechten zusammen, von NPD bis III. Weg, von den verbotenen Bewegungen Blood & Honour bis zu den Skinheads Sächsische Schweiz. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, konspirativ geradezu, wurde ihnen in einem Bierzelt Raum und Gelegenheit gegeben, sich auszutauschen, sich ihrer Stärke zu vergewissern, sich zu vernetzen und Aktionen zu planen.

Stillschweigend hingenommen

Nein, die Nazis haben diesmal keine Menschen angegriffen. Das ist, anders als in Hamburg, der Thüringer Polizei zu verdanken, die weiträumig Straßensperren aufgestellt und die Rechtsextremen so am Ortsrand von Themar gehalten hat. Aber auf genau solchen Events treffen und vernetzen sich die, die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime planen und Verfolgungsjagden auf Menschen verüben. Dass die Kette solcher menschenverachtenden Taten nicht abreißt, dass keine Woche ohne Brandanschlag oder Körperverletzung vergeht – über die im Übrigen kaum noch jemand spricht oder sich aufregt – liegt auch daran, dass solche Events stillschweigend hingenommen werden.

Während von der gesellschaftlichen Linken nach G20 verlangt wird, sich zu distanzieren und sie als insgesamt schuldig gesprochen wird, verschließt die Politik vor dem Treffen der Rechtsextremen fast zeitgleich die Augen

Die höchste politische Stelle, die sich überhaupt zu Themar äußert, ist der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow auf Twitter. Wer sind denn jetzt diejenigen, die Forderungen stellen? Etwa rassistische, faschistische Führungsfiguren genauer unter die Lupe zu nehmen? Wer fordert, rechte Strukturen zu zerschlagen? Wer äußert sich auch nur vorsichtig kritisch und zeigt zumindest ein wenig Zivilcourage? Der Innenminister? Der Justizminister? Tatsache ist: niemand.

Während von der gesellschaftlichen Linken nach G20 verlangt wird, sich zu distanzieren und sie insgesamt schuldig gesprochen wird, verschließt die Politik vor dem Treffen der Rechtsextremen fast zeitgleich die Augen. Diese Weigerung, sich zu positionieren, hinterlässt einfach nur Entsetzen. Dabei wäre es noch nicht mal nötig, sich zu entscheiden: Man muss nicht aus Hamburg wegsehen, um auch in Themar hinzuschauen.

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war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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