Kommentar Macron besucht Merkel: Wachsen auf Nachbars Kosten
Seine Vorgänger sind an Deutschland gescheitert. Präsident Macron will kein weiteres Opfer von Merkel und Finanzminister Schäuble werden.
F ür Kanzlerin Angela Merkel ist es längst Routine, einen neuen französischen Präsidenten in Berlin zu begrüßen. Sie hat Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande im Amt überlebt. Am Montag traf sie nun auf Emmanuel Macron. Erste Begegnungen verlaufen stets freundlich, doch Konflikte im deutsch-französischen Verhältnis sind abzusehen. Macron ist zwar der jüngste Präsident seines Landes, aber er ist alt genug, um zu wissen, dass seine Vorgänger auch an Deutschland gescheitert sind. Macron will ganz bestimmt nicht ein weiteres Opfer von Merkel und Finanzminister Schäuble werden.
Viele Deutsche haben ihr Urteil über Frankreich längst gefällt: Das Land ist angeblich „sklerotisch“, hat zu viel Bürokratie und zu wenig mittelständische Betriebe. Doch diese besserwisserische Ferndiagnose passt nicht zu den Daten: Von 1993 bis 2009 ist Frankreich in jedem Jahr stärker gewachsen als Deutschland; auch die Staatsverschuldung war nicht höher als hierzulande.
Erst seit 2010 verläuft die Entwicklung unterschiedlich: Das Wachstum in Frankreich schwächelt, während Deutschland immer neue Rekorde bei den Exportüberschüssen einfährt.
Diese beiden Entwicklungen hängen zusammen, wie die Statistiken zeigen. Deutschlands Überschüsse sind nur möglich, weil Frankreich so hohe Defizite hat. Allein im letzten Jahr betrug Deutschlands Handelsplus mit Frankreich 35 Milliarden Euro. Dieser gigantische Überschuss sichert in Deutschland etwa 485.000 Arbeitsplätze. Oder anders ausgedrückt: Deutschland exportiert seine Arbeitslosigkeit nach Frankreich.
Dieses Geschäftsmodell ist ökonomisch und politisch schädlich. Statt allein auf den Export zu setzen, muss Deutschland seine Binnennachfrage ankurbeln. Macron hat auch schon einen Vorschlag: Deutschland könnte ein Investitionsprogramm auflegen. Merkel sollte diesen Ratschlag ernst nehmen, sonst muss sie demnächst Marine Le Pen in Berlin begrüßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja