Kommentar Krieg in Syrien: Am Ende kommt die Vertreibung
Eine Feuerpause in Ost-Ghouta soll humanitäre Korridore ermöglichen. Alles läuft nach Plan. Ziel ist die politische Säuberung.
W ieder wurde für Syrien ein Waffenstillstand vereinbart. Und wieder gehen die Kämpfe weiter. Der russische Präsident Putin hat in einer eigenwilligen Interpretation der Waffenstillstandsresolution des UN-Sicherheitsrates am Montag angeordnet, dass die Waffen ab Dienstag von 9 bis 14 Uhr schweigen sollen, um humanitäre Lieferungen zu ermöglichen und humanitäre Korridore zu eröffnen – so als habe der Krieg nun eine Sprechstunde ab 14 Uhr.
Für die gepeinigten Einwohner Ost-Ghoutas ist das eine Erleichterung, die gleichzeitig rechtfertigt, dass sie den Rest des Tages bombardiert werden. Das war schon vor Putins Ankündigung und nur wenige Stunden nach der Waffenstillstandsresolution vom Samstag der Fall. Wieder wurden vereinzelte Luftangriffe, Artilleriefeuer und Fassbomben vermeldet. Wieder wurden medizinische Einrichtungen bombardiert. Wieder gab es unbestätigte Berichte über einen weiteren Chlorgasangriff. Zusätzlich geht eine Bodenoffensive weiter, mit der die Regimetruppen versuchen, das Rebellen-Gebiet zu erobern.
Und das alles wenige Stunden nachdem sich der UN-Sicherheitsrat in New York nach zähem Hin und Her auf eine Waffenruhe geeinigt hat. Es war der sechste Versuch, für Teile des Syriens einen Waffenstillstand auszuhandeln. Alle blieben bislang weitgehend folgenlos.
Der Mechanismus war stets der gleiche: Im UN-Sicherheitsrat oder während der sogenannten Friedensgespräche wird eine Waffenruhe vereinbart. Russland und das Regime in Damaskus fordern dann Ausnahmeregelungen, die den IS oder die Al-Kaida-nahe Nusra-Front sowie alle, die mit ihnen zusammenarbeiten, aus dem Waffenstillstand ausnehmen. Die Gruppierungen bleiben ein legitimes militärisches Ziel. Das klingt verständlich, auch die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition hat es nicht anders gemacht.
Für Russland und das Assad-Regime werden diese Ausnahmen dann als Rechtfertigung genutzt, um weiterhin alles in den Rebellengebieten zu bombardieren – militärische Stellungen, Krankenhäuser oder zivile Wohngebiete. Die Realität ist, dass sich die einzelnen Stellungen der Rebellen kaum auseinanderhalten lassen. Noch weniger lässt sich genau bestimmen, wer mit wem zusammenarbeitet. Legitime und illegitime Ziele gehen fließend ineinander über.
Und schon ist ein Waffenstillstand aufgeweicht und kurz darauf nicht mehr das Papier wert, auf dem das Abkommen geschrieben steht. Auf diese Weise wurde bisher jedes Waffenstillstandsabkommen in Syrien ausgehebelt. Das gleiche galt für die sogenannten Deeskalationszonen, die vor Monaten mit den gleichen Ausnahmeregelungen geschaffen wurden, und die in Wirklichkeit tödliche Eskalationszonen sind.
Modell Ost-Aleppo
Wie es weitergehen wird, ist ebenfalls absehbar. Ost-Aleppo im Winter 2016 ist die Blaupause. Es wird solange bombardiert, bis die Zivilbevölkerung so zermürbt ist, dass die Rebellen egal welcher Couleur aufgeben. Dann kommt die sogenannte Evakuierung mit Hilfe der UNO und des Internationalen Roten Kreuzes. Das klingt erst einmal alternativlos und richtig, werden hier doch Menschen in Schutz gebracht.
Es ist aber nichts anderes als eine politische Säuberung, wenn alle Oppositionellen und ihre Familien um ihr Leben rennen. Gleiches wird sich dann in anderen von den Rebellen kontrollierten Gebieten wiederholen. Zuletzt konnte man das im Norden in der Provinz Idlib beobachten, die schon jetzt die meisten internen oppositionellen Flüchtlinge aufgenommen hat. Von dort geht es nur noch in die Türkei und dann für einige Flüchtlinge weiter nach Europa.
Am Ende wird das Regime einen militärischen Sieg feiern und vor einem politisch gesäuberten Trümmerhaufen stehen. Statt wie zuvor zu versuchen, Territorium zu halten, wird die Opposition in den Untergrund gehen. Es wird gelten, hunderttausende offene Rechnungen zu begleichen.
Frieden und Stabilität sehen anders aus, auch wenn das Assad-Regime sich gerne als der Verteidiger der syrischen Souveränität vermarktet. Das Gegenteil ist der Fall. Denn das Land und seine Regierung hängen am russischen und iranischen Tropf. Die nächsten regionalen und internationalen Konflikte sind damit vorgezeichnet: im Süden zwischen der Hisbollah und Israel, im Norden zwischen der Türkei und der kurdischen PKK und ihren Ablegern.
Auch die räumliche Nähe von russischen und amerikanischen Truppen in Ostsyrien hat Eskalationspotential. Ebenso würde eine Verschärfung der amerikanisch-iranischen Spannungen als erstes in Syrien ausgetragen. Vielleicht ist es gerade diese Berechenbarkeit der fortwährenden Katastrophe, die den Syrien-Konflikt so besonders deprimierend macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen