piwik no script img

Kommentar Jamaika-SondierungenEin Echo altdeutscher Staatsfixierung

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Ungeduld mit den Sondierungen zeigt, wie obrigkeitshörig und konsumistisch deutsche Wähler denken. Doch Jamaika braucht Zeit.

Wie staatsfixiert ist das denn bitte? Foto: imago/Christian Ohde

D eutschland hat allerlei liberale Dehnungsübungen hinter sich. Der Untertan als role model hat in der Bundesrepublik ausgedient. Die autoritäre Fixierung auf den Staat ist seit langem porös geworden.

Doch manchmal wird dieses Erbe noch sichtbar. Derzeit zum Beispiel in der wachsenden Ungeduld gegenüber den Jamaika-Verhandlern. Manche wollen offenbar einfach nur regiert werden. Und das sollen die da oben gefälligst regeln.

In dieser Haltung mischt sich das Echo altdeutscher Fixierung auf den Staat mit einer modernen konsumistischen Attitüde: Eigentlich möchte man von Politik, erst recht von Streit, verschont werden. Angela Merkel hat diese Stimmung 12 Jahre lang geschickt bedient. Sie verkörperte das Versprechen, das Publikum nur im Notfall zu behelligen. Merkels betont pragmatischer Stil kam der Mixtur aus beiden Haltungen entgegen.

Nun schaut das Publikum mit wachsender Verdruss auf die Jamaika- Sondierungen. Nachtsitzungen, Vertagungen, Zwist – das gab es bisher nur, wenn Merkel in Brüssel verhandelte. Aber doch nicht bei uns, im ordentlichen, aufgeräumten Berlin.

Dabei tun die Verhandler von Grünen und FDP, von CDU und CSU derzeit nur das, was nötig ist. Sie suchen schon in den Sondierungen nach Kompromissen. Und das ist, auch wenn man die Taktik davon abzieht, schwierig. Die Grünen bestehen zu Recht auf dem Familiennachzug von Flüchtlingen, was die CSU, aus Angst vor der AfD und der Landtagswahl in Bayern 2018, partout nicht will. Auch bei Kohleausstieg, Steuerpolitik und Europa gibt es teils heftige Unterschiede. Das 61-seitige, in vielem sehr detaillierte Jamaika-Papier, das neben viel Dissens auch einigen Konsens enthält, zeigt: Diese Sondierungen sind schon halbe Koalitionsverhandlungen. Und so etwas dauert eben.

Richtig ist, dass Union und FDP aus rein taktischem Kalkül anfangs viel Zeit verplempert haben. Die Union hat, ohne dass es ihr etwas genützt hat, die Niedersachsen-Wahl abgewartet, die FDP mit pubertärer Kraftmeierei den Betrieb aufgehalten. Aber jetzt geht es um die entscheidenden Fragen.

Das 61-seitige Jamaika-Papier zeigt: Diese Sondierungen sind schon halbe Koalitionsverhandlungen. Und so etwas dauert eben

Am Ende wird es wahrscheinlich eine Einigung geben. Und erkennbar ist, bei aller Vorläufigkeit, was diese Jamaika-Regierung sein wird. Wenn man die Sondierungsprosa liest, fällt auf, dass der Schwung fehlt. In der Präambel finden sich noch mehr Phrasen, als in diesem Textgenre ohnehin üblich. FDP- Chef Lindner, der bisher seine Skepsis wie eine Monstranz vor sich her trug, redet neuerdings davon, dass Jamaika ein „historisches Projekt“ sei. Davon merkt man in den Konsenspassagen des Papiers nichts. Das Soziale beschränkt sich auf eine Kindergelderhöhung, befristete Jobs werde nicht angetastet und die Idee, Selbstständige mit der Riester-Rente zu beglücken, hat den Charme, Habennichtsen eine bankrotte Bank zu schenken.

Die Peitsche, die am Ende wohl doch zusammenzwingen wird, was nicht unbedingt zusammengehört, heißt Neuwahl. Denn die wäre nicht leicht zu begründen. Sie würde als Versagen der politischen Mitte begriffen und wohl nur der AfD nutzen.

Auch zur Neuwahl gäbe es eine Alternative: eine von Merkel geführte Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten bei FDP, Grünen und SPD holen muss. In anderen Demokratien ist das ein übliches Modell. Und oft sind Minderheitsregierungen mit einer erfreulichen Belebung des Parlaments verbunden, das von einer Abstimmungsmaschine zum Ort politischer Entscheidungsfindungen wird. Doch hierzulande gilt eine Minderheitsregierung als Indiz von Schwäche, Chaos, Zerfall.

Auch das ist ein Echo des autoritären, altdeutschen Erbes.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Konsumismus oder Kommunismus - das ist hier die Fräge...

  • Minderheitsregierung, damit es wieder eine Opposition in Deutschland gibt, von der man was merkt. Und damit Frau Merkel nicht einfach machen kann, was sie will. Dann würde man wirklich mal sehen, was Sache ist.

  • Sehr intelligenter Kommentar zur Situation der Regierung. Vielen Dank!

  • 3G
    38071 (Profil gelöscht)

    Weiß gar nicht wo das Problem ist. Wir haben doch eine Regierung.

  • Wie oft haben Cem und Kathrin wohl schon den Beschluss verflucht, über das Sondierungsergebnis von einer Mitgliederversammlung abstimmen zu lassen. Jetzt hocken sie immer noch da und müssen so tun, als ob ihnen an den Kindern von Geflüchteten oder am Klima irgendwas läge. Und laufen Gefahr, dass sie doch nicht Minister/Innen für Entwicklungshilfe und Gedöns werden und nicht in der hinterletzten Ecke von Merkels Kabinettstisch sitzen dürfen. Tragisch!

    • @Kunz:

      Kathrin und Cem sind doch nicht die Einzigen, die jetzt Angst davor haben, dass Jamaika vergeigt wird und am Ende (mit oder ohne Neuwahl) die GroKo aus der Gruft kommt.

  • Wer ist denn außer ein paar Journalisten und pöstchenstrebender Politiker ungeduldig? In meinem Umfeld niemand. Warum auch? Es ist doch alles geregelt. Es gibt eine funktionierende Verwaltung, gültige Gesetze, eine amtierende Bundesregierung und ein gewähltes Parlament. So überstehen wir notfalls auch vier Jahre mit Sondierungen und Zwischenlösungen.

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @André Schlebes:

      Exactly.

      Eigentlich doch ganz schön, dass im Moment endlich mal wieder über irgendwas gestritten wird. Zwar nicht wirklich über handfeste Verwerfungen, aber immerhin. Ein Anfang.

  • Jamaika ist eine faszinierende Insel mit viel Reggae, Beach, Sex, Rum und vielen Luxushotels für die, die es sich leisten können, ansonsten ist die Insel ein Entwicklungsland, wo jeder zweite gerne nach Kanada auswandern würde, weil es dort wenigstens ein paar Mindeststandards gibt und Armut nicht gleich Obdachlosigkeit, krank, arm und verloren für immer bedeutet.

     

    Dass nun diese Insel das Symbol von vier Parteien geworden ist, die eine Regierung bilden sollen, aber eigentlich nur sehr wenig Gemeinsamkeiten haben, zeigt doch, wie idiotisch das ist.

     

    Und Neuwahlen sind Wahlen, sie sind wenigstens demokratisch.

     

    Und überhaupt, warum könnte es den Zwang dazu geben?

     

    Weil die Grünen den nächsten Bundestag noch betreten wollen oder weil die FDP Angst vor dem Merkel-Effekt hat, den der Autor hier ja schon angeführt hat?

     

    Für mich ist Politik nie alternativlos und dieses Jamaika sollte eine Insel in der Karibik bleiben?

     

    Als Regierungsmodel taugt Jamaika nicht. Weil es nur das bedeutet: Armut, Ausbeutung, Wohnungsmangel, Obdachlosigkeit, Entwertung von Armut, Jugendarbeitslosigkeit und gespaltene Belegschaften - das ist dann genauso normal wie ein guter Rum und Reggae-Music in Jamaika.

     

    Diese Konstellation setzt im Kern das fort, was 2003 unter dem Stichwort Agenda 2010 angefangen wurde und eigentlich nur bedeutet, dass eine neoliberale, aggressive Politik gegen Arme, Randständige, Migraten und gering-qualifizierte, wie 'überschüssige' Menschen betrieben wird.

     

    Und das ist ungefähr das, was Karl Marx im kommunistischen Manifest und Friedrich Engels in der Lage der arbeitenden Klassen in Manchester beschrieben haben, jetzt allerdings als heilbringendes, das Gemeinwohl-förderendes Politikkonzept verkauft.

     

    Warum mehr Armut, schlecht-bezahlte Arbeiter und perspektivlose Jugendliche erstrebenswert sind, kann von Jamaika niemand erklären. Weil sie es nicht wissen, aber sie machen das für die Reichen und Superreichen, die abermals sich die Hände reiben können.

  • "Auch zur Neuwahl gäbe es eine Alternative: eine von Merkel geführte Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten bei FDP, Grünen und SPD holen muss. "

    Wieso nur eine Alternative und wieso muss diese von Merkel geführt werden und wieso sollen sinnvolle Vorschläge nicht mit den Mehrheiten aus allen Lagern zustande kommen?

    • @haraldarc:

      Von Merkel muss sie nicht geführt werden. Aber es ist die einzige realistische Alternative. Andernfalls müssten FDP, Grüne und SPD Schulz auf den Throm hieven. Und dies ist doch eher unrealistisch.

       

      Sinnvolle Vorschläge werden trotz allem auf aus parteipolitischem Kalkül abgelehnt. Vor der Beteiligung der Grünen in der Regierung hat in BaWü Schwarz-gelb auf Druck von gelb versucht, die Hürden für Volksabstimmungen zu senken. Hierfür hätte man auch die Grünen im Parlament gebraucht, da es eine Verfassungsänderung war. Wer war dagegen? Die Grünen. Ihnen ging der Entwurf nicht weit genug.

       

      Als es dann rot-grün gab, hätten die Gründen wegen S21 liebend gern, das angepasste Gesetz gehabt. Aber da hat schwarz nicht mehr mitgemacht, den es war ja ein Projekt von gelb gewesen.

       

      Anstatt einen kleinen Fortschritt in die richtige Richtung zu nehmen, lehnen wohl alle (?) Parteien sinnvolle Vorschläge ab, um sich zu profilieren.

       

      Aber - das wäre meine Hoffnung - vielleicht wird das bei einer Minderheitsregierung tatsächlich mal anders...

      • @Strolch:

        "Sinnvolle Vorschläge werden trotz allem auf aus parteipolitischem Kalkül abgelehnt."

         

        So wie es die letzten Jahre gelaufen ist, sollte es auch nicht in Varianten weiter gehen. Volksabstimmungen müssen auf allen Ebenen her, da stimme ich zu.

         

        Einer Minderheitsregierung, die an Parteipolitik scheitert, weil sie nicht bereit ist mit allen zu reden um Mehrheiten zu gewinnen, soll eben scheitern. Den Versuch so etwas zu versuchen, wäre aber in meinen Augen ein Fortschritt.

  • Danke für das Fotto -

     

    "Nagel mal nen Pudding an dieWand!"

    Nur - Geduld wird da nicht reichen!

    Bläste Puder - anal&warm den Reichen!

    Denen wird nobel gedeckt bei Tisch -

    Nu. Fischreste - für den Katzentisch!

    &

    Die drei Benagelten stimmen darin ein -

    Ja wie? Sozialstaat? Ah geh wie fad!

    De Rest? Muß doch zu - Schrotten sein.

  • Ich bin ganz froh darüber das die Regierungsbildung etwas dauert. Endlich mal keine unsinnigen neuen Gestze. Keine neuen Umverteilungsorgien für die "Gerechtigkeit", keine neuen, autoritären Sicherheitsgesetze und keine Zensurmaßnahmen gegen unerwünschte Meinungen.

    • @disenchanted:

      Genau - das -.

      Meinte Martin Luther King mit -

       

      "I had a dream!"

  • 'eine Minderheitsregierung ist Indiz von Schwäche, Chaos, Zerfall.' Und damit ist unsere Situation exakt beschrieben. Alles ist besser, als ein Regierungshaufen, der in vier verschiedene Richtungen zieht.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Gregor Tobias:

      Alles ist besser, als ein Regierungshaufen, der so tut als ob er in vier verschiedene Richtungen zieht

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Gregor Tobias:

      Naja Merkel tritt zurück die Union macht auf erzkonservativ und tritt mit Jens Spahn an, die Grünen zereißen sich zwischen Realos und Fundis und die Union regiert mit der FDP nachdem sie Grüne und AFD aus dem Parlament gejagt hat. SPD kann den linken Flügel der Grünen aufsaugen und die Beziehung zur Linken klären und echte Opposition machen.

  • Luschtig!

    Überschrift als provokanter Cliffhanger oder Appetizer und dann genau das bedienen was man gar nicht selbst sein wollte?

  • Minderheitsregierung und dann sieht man auch wieder, wer für welche Politik steht.