Kommentar Frankreich und Burkini: Ein gespaltenes Land
Der Generalverdacht gegen alles sichtbar Muslimische vergiftet das gesellschaftliche Klima in Frankreich. Der Laizismus des Landes ist gescheitert.
D as absurde Burkini-Verbot treibt immer absurdere Blüten. Es ist Ausdruck der antimuslimischen Paranoia, die in Frankreich seit den Terroranschlägen herrscht. Doch die Assoziationskette „Burkini gleich Islam gleich Terror“ existiert allein in den Köpfen mancher Betrachter. Der Generalverdacht gegen alles sichtbar Muslimische vergiftet das gesellschaftliche Klima.
Mehrere französische Badeorte haben es unter Strafe gestellt, sich im Ganzkörper-Badeanzug an den Strand zu legen. Fotos aus Nizza, wo die Polizei jetzt eine Frau dazu zwang, ihr Oberteil auszuziehen, heizen die Debatte weiter an. Denn mit seiner säkularen Sittenpolizei wird Frankreich Ländern wie dem Iran und arabischen Diktaturen ähnlicher, als ihm lieb sein kann – nur spiegelverkehrt.
Die Szene vom Strand in Nizza ist ein Sinnbild für das Scheitern des französischen Laizismus. Denn das Burkini-Verbot gilt nur an öffentlichen Stränden. Was an den vielen Privatstränden an der französischen Riviera geschieht, entzieht sich staatlichem Zugriff. Sommerfrischler vom Golf, die dort Villen besitzen, können dort weiter im Burkini oder gar Schleier baden.
Eine ähnliche Spaltung gilt für das Bildungssystem. An Frankreichs staatlichen Schulen herrscht ein striktes Kopftuchverbot; die Religion soll außen vor bleiben. Doch wohlhabende religiöse Eltern schicken ihre Kinder auf konfessionelle Privatschulen.
Mit anderen Worten: Wer es sich leisten kann, darf seine Religion frei ausleben. Wer aber, wie viele französische Muslime, sozial marginalisiert ist und abgedrängt in den Banlieues lebt, dem wird signalisiert, dass er mitsamt seiner Religion unerwünscht ist. Das führt zu einem religiösen Zweiklassensystem und verschärft soziale Konflikte, indem es sie mit einem Kulturkampf vermengt.
Auch das Burkini-Verbot trifft ausnahmslos Frauen und all jene, die sich ohnehin schon zurückgesetzt fühlen. Applaus erhalten solche Maßnahmen von Rassisten, die das Gesetz am liebsten gleich selbst in die Hand nehmen. In Korsika kam es deswegen schon zu Ausschreitungen.
Ohne an der Regierung zu sein, gibt der Front National in Frankreich damit den Ton an.
.
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels haben wir ein Foto gezeigt, dass irrtümlicherweise keine Moschee zeigte. Dieses wurde später getauscht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut