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Klimawandel und EthikGesetze statt Scham

Gastkommentar von Tadzio Müller

Alle reden von Flugscham. Aber kaum eine oder einer ändert sein Verhalten. Das sollte niemanden überraschen, denn Scham ist eine schlechte Strategie.

Ab in den Hangar! Und schäm dich! Foto: dpa

U rlaubszeit ist Klimakrisenzeit ist Zeit, sich mal wieder richtig zu schämen. Genauer: Zeit, sich fürs zwanghafte, im Grunde perverse Ständig-in-den-Urlaub-Fliegen zu schämen. Denn klar ist: Das Individuum, dieses ungezügelte, schamlose, dieses dauernd Wollende schlechte Wesen ist für die drohende Klimakatastrophe verantwortlich, weshalb es sich nun schämen sollte. Es soll „Flugscham“ empfinden. Dabei ist „Shaming“ eine ausgesprochen kontraproduktive Strategie, wenn das Ziel ist, unser Verhalten zu ändern.

Ursprünglich aus dem oberprotestantischen Schweden stammend und transportiert über das politkulturelle Symbol „Greta“, beschreibt der Begriff Flugscham das Gefühl, das Menschen aus einem bestimmten Kulturkreis empfinden können, wenn sie trotz ihrer Sorgen um das Klima immer noch in den Urlaub oder auf Dienstreise fliegen.

Jetzt wird aber der Begriff zur Strategie: Scham ist ein negatives Gefühl, und wir möchten, um kognitive Dissonanz zu vermeiden, die Quelle dieses negativen Gefühls beseitigen, also (das ist zumindest die Hoffnung) mit dem vielen Fliegen aufhören. In diesem Sinne schreibt Svenja Bergt, dass, bis politische Lösungen für die Klimakrise gefunden würden, wir doch alle bitte „mehr Scham“ empfinden sollten, „und das nicht nur, wenn es ums Fliegen geht“.

Jedoch: Es wird immer noch geflogen. Einen Tag, bevor in Berlin bis zu einer Million Menschen beim CSD ausgelassen den Widerstand queerer Menschen gegen Scham und Unterdrückung feierten, eben unseren Stolz, unsere „Pride“, lese ich, dass zwar alle von Flugscham reden, lustigerweise aber kaum jemand sein Verhalten ändert.

Bild: Rosa Luxemburg Stiftung
Tadzio Müller

ist Referent für Klimagerechtigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und seit Jahren in der Bewegung für Klimagerechtigkeit aktiv. Er lebt seit über einem Jahr­zehnt offen schwul, ist seit mehreren Jahren (mittlerweile auch offen) HIV-positiv und kennt sich daher leider viel zu gut mit Scham aus.

Aha. Alle Schämen sich. Und niemand ändert sein Verhalten. Das sollte aber niemanden überraschen, denn um besser zu verstehen, warum Shaming keine gute Strategie ist, um Menschen klimafreundliches Verhalten beizubringen, könnte man sich einfach nur unter all den queeren Menschen umhören, die dieser Tage (um den CSD herum) in Berlin so sichtbar waren.

Während Scham nämlich eine in (fast) allen Unterdrückungsverhältnissen auftauchende Kontrollstrategie ist, bedeutet die Tatsache, dass Queerness, dass sexuelle Devianz in den meisten Fällen nicht „von außen“ sichtbar ist, dass internalisierte Kontrollmechanismen wie eben Scham eine dementsprechend größere Rolle in der Kontrolle des unterdrückten Subjekts spielen müssen.

Sich schuldig fühlen

Scham, dem Duden zufolge „das Bewusstsein, (besonders in moralischer Hinsicht) versagt zu haben, (eine) durch das Gefühl, sich eine Blöße gegeben zu haben, ausgelöste quälende Empfindung“, ist ein autoritäres, vom Über-Ich produziertes, das sich schämende Subjekt infantilisierendes Gefühl. Die Scham unterscheidet sich vom „schlechten Gewissen“, das ein reflektierendes und entscheidungsfähiges Subjekt anruft: „benutz nicht das N-Wort, weil es Rassismen reproduziert“, ist eine völlig andere Aussage als „schäm dich für dieses rassistische Wort“.

Es ist daher die Scham, nicht das Gewissen, mit dem heteronormative Mehrheitsgesellschaften seit Beginn der kapitalistischen Moderne versuchen, queere Menschen zu kontrollieren und von abweichendem Verhalten abzuhalten.

Shaming führt gerade nicht zu einer souveränen ethischen Reflexion des eigenen Verhaltens

Dazu zwei Gedanken: Erstens, wer Shaming zu einer verallgemeinerten Kontrollstrategie aufwerten will (trotz Kritiken zum Beispiel am Slut-, Fat- oder Body-Shaming), sollte zuerst einmal mit queeren Menschen ins Gespräch kommen, denn wir haben erhebliche Erfahrung damit, wie es sich anfühlt, im Zustand des dauernden Geshamt-Werdens zu leben. Es fühlt sich scheiße an („quälende Empfindung“). Nur ändern wir deswegen nicht dauerhaft unser Verhalten – wir spalten ab: Abschottung („compartmentalization“) wird das genannt; und machen munter weiter mit der kollektiven, jetzt aber unsichtbaren Devianz.

Denn, zweitens: Shaming führt gerade nicht zur souveränen ethischen Reflexion, welche die Par­ti­sa­n*in­nen der Flugscham gerne erzielen würden. Fragen Sie mal all die vielen queeren Menschen, die sich jahrelang für ihr Verhalten, für ihre von der Norm abweichenden Wünsche und Begierden geschämt haben. Natürlich haben viele von uns sich schlecht, sich schuldig gefühlt, und mit Sicherheit hat diese Scham viele von uns in die Verzweiflung, den Wahnsinn, vielleicht sogar den Suizid getrieben.

Was diese Gefühle aber ganz klar nicht getan haben, ist, uns davon abzubringen, das eigene Geschlecht oder noch Ungewöhnlicheres zu begehren. Stattdessen befeuerte das Shaming unseren Kampfgeist, und wir begannen, uns gegen die Scham, gegen die Ausgrenzung, zur Wehr zu setzen: stellten unseren Stolz („Pride“), unsere Riots (Stonewall), gegen die schlagstockbewehrte Scham.

Abbau von Privilegien

Wer Scham zur allgemeinen Klimaschutzstrategie machen will, läuft nicht nur Gefahr, eine Art Victorian Age der repressiven Umweltpolitik zu produzieren, sondern produziert darüber hinaus noch viele kleine Rechtspopulist*innen. Pride, Stolz, ist eine vorhersagbar-kämpferische Antwort auf Shaming, ebenso wie das sarrazinesque „Das wird man ja wohl noch (x) dürfen“ eine nachvollziehbar-bockige Antwort darauf ist.

Wer keine Diesel-Fahrer- und Vielflieger-Pride-Paraden in unseren Städten sehen will, sollte schleunigst einen Diskurs entwickeln, der nicht versucht, Menschen zu infantilisieren, sondern sie als souveräne ethische Subjekte anzurufen, mit ihnen darüber zu diskutieren, wie wir uns in einer Welt mit begrenzten Ressourcen verhalten sollen, in der die historische Verantwortung für Klimawandel et al. beim reichen Norden liegt.

Denn es geht beim „Abbau von Privilegien weder um Moral […] noch um Umerziehung. Sondern darum, umzuverteilen.“ Überzeugt Scham Sie davon, Ihre Steuern zu zahlen? Nein. Das Gesetz tut dies. Also lassen Sie uns lieber über Ethik und Gesetze reden, als die gesamte Gesellschaft zu verschämten und/oder bockigen Kleinkindern zu machen.

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14 Kommentare

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  • Guter Kommentar!

    "Man kann Scham nicht fordern für Verhalten, dass nicht zu ändern ist und für das es keinen rationalen Grund gibt, dass es verändert werden soll. Sehr wohl kann man Scham empfinden oder diese einfordern für Verhalten, dass unerwünschte Konsequenzen hat und dessen Änerungfn zu weniger negativen Folgen führen würde."

    Es ist mir schleierhaft, wie Tadzio Müller diesen Unterschied nicht selbst bemerken kann. Ich finde diese Unterscheidung so augenscheinlich wie elementar.

    • @Primitivismuskeule:

      Das ist eigentlich eine Antwort auf Ignaz Wrobel...

  • Wenn wir darüber nachdenken, was wir mit diesem schönen Planeten alles angestellt haben und feststellen, dass wir die Sache total verbockt haben und trotzdem noch nicht so richtig bereit sind uns einzuschränken, dann sollten wir uns in der Tat schämen. Denn der Verstand hat ja nix zustande gebracht. Das ist dann übrigens eine andere Situation als der von ihnen beschriebene Umgang mit queeren Menschen und deshalb muss ich auch nicht mit diesen darüber reden. Können die das denn besser als andere Menschen, denen man über das Schamgefühl ein schlechtes Gewissen gemacht hat? Seid ihr die besseren Ansprechpartner? Sie kommen mir ein wenig totalitär um die Ecke.



    PS: Wenn ich mich an die Gesetze halte dann vielleicht auch deshalb, weil ich mich vor lieben Mitmenschen nicht schämen will für begangenes Fehlverhalten. Das bildet mit die Dicke der Zivilisationsfirnis, die unser aller Zusammenleben in erträglichen Maßen hält. Ob das Tier im Menschen ohne Scham zu bändigen wäre? Denken sie mal drüber nach.

  • Guter Kommentar. Doch die gescholtene Scham ist ein Zeichen dass ungebremstes Verschleudern von CO2 und Ressourcen nicht mehr als Menschenrecht zählt und der Glaube daran dass individuelle Freiheit daran geknüpft ist mit dem eigenen SUV das billigste Schnitzel im Supermarkt zu jagen oder Billigflüge quasi ein Menschenrecht sind bröckelt. Vor nicht all zulanger Zeit hätte der Vorschlag eines Ausstiegsdatum aus dem Verbrennungsmotor per Gesetz Massenproteste erzeugt, heute erzeugt das Fehlen eines entsprechenden Gesetzes und die vollkommene Lähmung unserer Regierung in Sachen effektiver Klimaschutzgesetze in allen relevanten Bereichen Massendemos.

  • Super! Dieser unsinnige Begriff drr Flugscham nervt schon lange als reaktionäres Gerede. Scham ist repressiv, gut erkannt!

  • Herr Müller hat natürlich recht, wenn er die furchtbaren Auswirkungen von "Scham" bei nicht heterosexuellen Menschen beschreibt. Man kann Scham nicht fordern für Verhalten, dass nicht zu ändern ist und für das es keinen rationalen Grund gibt, dass es verändert werden soll. Sehr wohl kann man Scham empfinden oder diese einfordern für Verhalten, dass unerwünschte Konsequenzen hat und dessen Änerungfn zu weniger negativen Folgen führen würde.



    Ob man das Scham oder schlechtes Gewissen nennt hingegen ist einerlei.



    Gerne kann man darüber diskutieren, wer wem überhaupt ein schlechtes Gewissen oder Schamgefühl machen darf. Ein Grossteil von Verhaltensänderung fußt doch aber darauf, oder?

  • Bekanntlich leben wir im Kapitalismus und da würde ich dem eine Ursache-Wirkung-Kette anhand des Geldes gegenüberstellen:



    Flugpreiszuschläge werden erhoben/erhöht -> Flugpreise werden teurer -> Flugreisen zu den bevorzugten Reisezielen sinken -> Dortselbst sinkt der durch die Urlauber verursachte Bedarf -> Die Zimmervermieter und Händler müssen ihre Preise senken -> Das macht Urlaube an den Zielorten wieder interessanter -> Wenn durch die Senkung der Aufenthaltskosten die Flugpreiszuschläge aufgehoben werden, ist der vorherige Zustand wieder erreicht.



    Resultat: Der Staat hat zusätzliche Einnahmen, die Urlauber zahlen für den Urlaub einschl. Flug wieder das gleiche wie zuvor, die Luft wird wieder genauso verschmutzt wie vorher. Verlierer sind die Beschäftigten an den Urlaubsorten, die für die gleiche Leistung wie früher weniger Lohn erhalten werden.



    Gleichermaßen aus ethischer, wie aus finanzieller Sicht wird es keine Verhaltensänderung geben!

  • Mit 46 Jahren bin ich nur 3x (hin und zurück) geflogen. Nur ein Langstreckenflug. Die Tochter einer Bekannten ist 18, unterstützt Fridays for Future vehement, wir "Alten" seien schuld. Flog dieses Jahr nach Mallorca, im September in die USA. Fährt regelmäßig Mutters Diesel und wird in den USA einen A4 fahren (also inkonsequent). Meine Physiotherapeutin ist 22, unterstützt ebenso vehement FFF und "wir" hätten etwas tun müssen... flog dieses Jahr nach Israel in den Urlaub.

    Also ich schäme mich für gar nichts. Und ich denke, wenn die FFF-Kids mal groß sind, wird der Großteil kein anderes Leben führen, inklusive große Karosse fahren- das zeigt sich schon jetzt.

    • @Motz Christian:

      Haben Sie denn die Beiden mal auf deren Hypokrisie angesprochen? Und wenn ja, wie waren die Reaktionen?

  • 9G
    97760 (Profil gelöscht)

    Das mit der Scham hat bei mir schon funktioniert. Ich würde z.B. nie einen SUV ( in Deutschland)fahren. Da für aber einen VW Bus, Hummer, oder Lambo. Besonders schamlos finde Leute, die mit FlipFlops in ein Flugzeug steigen. Überhaupt kein Respekt vor den Naturgewalten.

  • Endlich mal ein vernünftiger, pragmatischer Beitrag zu diesem Thema, der nicht vor Moralisierung trieft oder auf Prinzipienreitere besteht und sogar mal darüber nachdenkt wie der Einzelne mit moralischen Vorwürfen umgeht. Das würde vielen Holzköpfen hier überhaupt nicht in den Sinn kommen auch mal über die Grenzen ihrer kollektivistischen Denke hinaus zu sehen und sich zu fragen wie ihr Aktivismus wahrgenommen wird. Nur allzu oft ist die Divise wohl: Hauptsache erstmal Widerstand leisten (und sich dabei selbst feiern!!!), dass PR Desaster können dann andere wegräumen.

    Ich glaube zwar nicht das Gesetze, die Flüge verteuern viel bringen werden aber ich habe da einen anderen Vorschlag: Es wird ja dauernd von tollen öffentlichen Verkehrsmitteln geredet. Wie wäre es, wenn man da endlich mal liefert und nicht nur die Alternativen zu den öffentlichen Verkehrsmitteln kaputt macht? Die beste Möglichkeit bestünde doch darin die Situation so zu verändern das die Menschen freiwillig Bahn fahren, weil das einfach attraktiver ist. Das bringt auch der Umwelt viel mehr, weil die Umwelt durch PKW und LKW um ein Vielfaches mehr verpestet wird als durchs Fliegen und die Bahn auch hierfür eine Alternative wäre.

    • @Januß:

      Auch nach „Malle“, Kreta, Kanaren, …? Attraktiver vielleicht, aber technisch leider unmöglich. Es sei denn, jemand baut dort umweltfreundlich und kostengünstig, gegen alle Widerstände von allen Seiten, einen Bahntunnel à la Dover-Calais!

  • Sehr guter Kommentar! Danke!



    Scham ist absolut ungeeignet. Scham ist ein Kontroll- und Unterdrückungsmechanismus. Scham führt zu irrationalem Verhalten und in letzter Konsequenz zu Neid und Hass auf die die sich nicht schämen. Sozusagen Nachbarkontrolle in groß.



    Gesellschaftliche Veränderungen über Scham sind mittelalterlich.

  • "Alle reden von Flugscham." -> Nö! Liebe "Journalisten", nicht immer von Euch auf andere schließen.