Klimaschutz und Migration: „Warum ist die Klimabewegung so sichtbar weiß?“
Eine Klimaaktivistin hilft in einem Geflüchtetenlager in Calais. Sie meint: Dort kann man sehen, wie Rassismus und Klimakrise zusammenhängen.
taz: Frau Abdullah, schon lange bilden sich in Calais in Frankreich an der Grenze zu Großbritannien inoffizielle Geflüchtetenlager. 2015 wurde der sogenannte „Jungle“ mit 8.000 Geflüchteten geräumt. Trotzdem campen in Calais weiterhin Menschen, um von dort über Lastwagen oder den Seeweg nach Großbritannien zu gelangen. Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?
Zade Abdullah: Seit der Räumung damals ist Calais total aus den Medien verschwunden. Dabei verschlimmert sich die Lage stetig. Hier sind tägliche Räumungen und Polizeigewalt zu sehen. Die Leute sind hier sehr dezentral in Zelten auf der Straße verteilt. Sie versuchen, sich im Wald oder in Büschen vor Wind und Wetter zu schützen. Man sieht, dass hier ganz viele Flächen gerodet wurden, ganz viel aufgebaggert worden ist, damit man da nicht mehr zelten kann.
Warum sind Sie als Klimaaktivistin vor Ort?
Wir sind hier als Aktivist:innen von Ende Gelände und Seebrücke, haben uns der Refugee Community Kitchen angeschlossen und kochen fast jeden Tag für die Leute hier warmes Essen. Zum anderen versuchen wir, über die Instagram- und Twitter-Accounts unserer Gruppen über die Lage vor Ort zu berichten und zu zeigen: Wo sind eigentlich gerade die ganzen Medien? Außerdem klären wir darüber auf, was das hier alles mit der Klimakrise zu tun hat. Wir zeigen, dass der gemeinsame Nenner dieser beiden Krisen – der rassistischen Krise an den EU-Außengrenzen und der Klimakrise – die White Supremacy ist.
Die 22-jährige Politikstudentin engagiert sich seit eineinhalb Jahren bei der Klima-Gruppe Ende Gelände und der Bewegung Seebrücke. Vor Ostern hat sie Menschen im Camp in Calais unterstützt. Sie heißt eigentlich anders, will aber nicht mit ihrem echten Namen in der Öffentlichkeit stehen, seit sie Erfahrungen mit rechter Hetze im Netz gemacht hat.
Also die sozial konstruierte Vorherrschaft der Weißen. Wie meinen Sie das?
Die weiße Vorherrschaft basiert darauf, dass das Leben von People of Color und Schwarzen Menschen (BIPoC) weniger wert ist, dass sie abgewertet werden. Das kann man hier in Calais ganz klar sehen. Also, wir können uns ja nicht vorstellen, dass hier kleine weiße französische Mädchen monatelang in Zelten leben müssen und Polizeigewalt und Tränengas abkriegen.
Und was hat die Situation in Calais mit der Klimakrise zu tun?
Genau dasselbe passiert auch in der Klimakrise. Die konnte überhaupt nur durch die Ausbeutung von BIPoC im kolonialen Kontext entstehen. Heute ist es ganz eindeutig, dass die meisten Schäden durch die Klimakrise im globalen Süden passieren. Dort sind die meisten Menschen schon betroffen und werden trotzdem nicht ernst genommen. Wenn wir in einem System leben würden, das nicht weiß beherrscht wäre, würden wir die Menschen jetzt schon ernst nehmen.
Thematisiert die Klimabewegung diese Zusammenhänge ausreichend?
Nein. Meine Forderung an die Klimabewegung in Deutschland ist, einfach mal kurz zu pausieren und sich zu fragen: Warum ist die Klimabewegung so sichtbar weiß? White Supremacy muss auch innerhalb der Bewegung viel mehr thematisiert werden. Wie kann es eigentlich sein, dass der Klimakampf erst seit Fridays for Future so eine mediale Aufmerksamkeit hat, obwohl es eigentlich schon ein so langer Kampf von BIPoC im globalen Süden ist? Das hat einfach nie Aufmerksamkeit bekommen, und jetzt schreibt man die Klimagerechtigkeitsgeschichte im globalen Norden neu.
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