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Klimaproteste von Ende GeländeWiedereröffnung der letzten Kneipe

Ende Gelände hat im vom Braunkohletagbeau bedrohten Dorf Keyenberg ein Haus besetzt. Anwohner*innen sind froh über die Proteste.

Aufgebot für eine Kneipe in RWE-Hand: Polizei vor dem von Ende Gelände besetzten Haus in Keyenberg Foto: David Young/dpa

Garzweiler/Keyenberg taz | In Keyenberg existieren nicht mehr viele Geschäfte. Das heißt, es gibt genau noch einen Bäcker und einen Blumenladen. Das war's. Außerdem gibt es noch einen Friedhof, der sinnbildlich für das Schicksal steht, das diesem Dorf blüht.

Vom „Hauptfeind“ möchte Yvonne Kremers nicht sprechen, wenn es um RWE geht. Aber Strom von dem Energiekonzern beziehe hier niemand. Das Unternehmen, das im Rheinland zahlreiche Kraftwerke und mehrere Kohlegruben betreibt, darunter mit Garzweiler das größte Loch Europas, will das Dorf weghaben. Obwohl der Kohleausstieg beschlossene Sache ist, soll der Tagebau wachsen, die Dörfer am Grubenrand sollen dafür weichen. Rund ein Drittel der Bewohner*innenschaft Keyenbergs ist schon gegangen. Von denen, die geblieben sind, engangieren sich viele, wie auch Kremers, bei dem Zusammenschluss „Alle Dörfer bleiben.“

„Wegziehen kommt für mich nicht infrage“, sagt Kremers, die eine Reitschule im Ort betreibt. An ihrem Mantel trägt sie einen Button von „Alle Dörfer bleiben“. „Aber dass RWE hier nach und nach alle Häuser und Geschäfte kauft, macht das Dorfleben sehr traurig.“ Wenn man entlang der Backsteinhäuser durch die schmalen Straßen Keyenbergs geht, bestätigt sich dieser Eindruck. Die meisten Rollläden sind halb oder ganz runter gelassen, es sieht aus, als stünden die meisten Gebäude leer. Auf dem einen oder anderen Fensterbrett stehen aber noch Blumentöpfe mit gelben Stiefmütterchen oder gelben Chrysanthemen. Gelb ist die Farbe des Widerstands der Dörfer. Und den haben sie hier noch nicht aufgegeben.

Ein symbolischer Gasthof

„Wiedereröffnung“ steht in schwarzer Schrift auf einem rot-weiß-gepunkteten Transparent, das aus den Fenstern der letzten Kneipe des Ortes hängt. Der „Keyenberger Hof“ steht seit Ende 2019 leer, seit RWE das Gebäude erworben und den Ausschank eingestellt hat. Aktivist*innen von Ende Gelände haben es soeben besetzt. „RWE versucht gezielt, soziale Orte zu vernichten und die Dorfgemeinschaft zu spalten“, erklärt die Ende-Gelände-Sprecherin Ronja Weil. „Der Gasthof steht symbolisch dafür, wie hier das ganze Leben zerstört werden soll.“ Deshalb habe man ihn wiederbelebt.

Ist zumindestens am Aktionstag Samstag „wiedereröffnet“: Die ehemalige Dorfkneipe in Keyenberg Foto: Katharina Schipkowski

Keine hundert Meter vom besetzten Gasthof entfernt steht eine Gruppe von Ende-Gelände-Aktivist*innen eingekesselt zwischen Polizist*innen und einer Reiterstaffel auf einem Feldweg. Der orangene Finger hatte das Camp Lützerath verlassen und wurde in Keyenberg gestoppt, „weil die Teilnehmer sich nicht an die Vorgaben gehalten haben“, wie ein Polizist in der Polizeikette sagt. „Die wollten immer wieder in den Tagebau.“

RWE-Mitarbeiter gehen gegen Aktivist*innen vor

Das haben viele der Aktivist*innen bereits im Morgengrauen geschafft. Drei Demofinger, die vor Sonnenaufgang aufgebrochen waren, erreichten die Kohlegruben Garzweiler, das Kohlekraftwerk Weisweiler und das Gaskraftwerk Lausward. „Die Bagger stehen still“, meldete Ende Gelände am Vormittag. Ein RWE-Sprecher sagte am Nachmittag, der Betrieb der Kraftwerke sei nicht beeinträchtigt und die Bagger liefen wieder.

Für Aktivist*innen und Pressevertreter*innen war es am Morgen zu einer gewaltvollen Begegnung mit rund 30 Security-Mitarbeitern des Energiekonzerns gekommen. Sie wurden von den Werkschutzleuten bedrängt, ein Fotograf geriet in den Schwitzkasten. Kollegen von ihm wurde unter Androhung von Gewalt versucht, die Kameras wegzunehmen. RWE begründete diese Einschränkung der Pressefreiheit mit seinem Hausrecht und „der Sicherheit.“ Die Polizei ging vereinzelt deeskalierend dazwischen.

Scheuendes Pferd und Dauergottesdienst

Am Feldweg, wo der organgefarbene Finger am Nachmittag noch immer im Polizeikessel steht, werden zwei Journalist*innen verletzt. Die Polizist*innen der Reiter*innenstaffel sprühen vom Pferderücken aus Pfefferspray in die Menge der Demonstrierenden. Ein Pferd bekommt das Spray ab und scheut. Ein Fotograf und eine Reporterin landen auf der Wiese, wenige Zentimeter neben den Hufen des Pferdes. Der Fotograf trägt Schnittwunden von einem Stacheldrahtzaun am Oberarm davon, die Reporterin ist mit doppeltem Rippenbruch im Krankenhaus, heißt es auf Twitter.

Am frühen Abend weht eine goldene Fahne auf dem Dach des „Keyendorfer Hofs“, an den Fenstern tauchen immer wieder Aktivist*innen in weißen Maleranzügen auf. Ein Dauergottesdienst blockiert friedlich die Tür, zehn christliche Anwohner*innen mit einem großen gelben Holzkreuz singen Kirchenlieder und lesen Predigten vor. Mehrere Polizeihundertschaften stehen auf der Straße vor dem Haus und lassen niemanden auf das Grundstück, ein Hubschrauber kreist über dem Dach. Bis Redaktionsschluss ist die Kneipe nicht geräumt.

Etwas haben die Klimaaktivist*innen zumindest erreicht: Sie haben Keyenberg für ein Wochenende wieder belebt. „Wir sind froh, dass Ende Gelände da ist“, sagt Yvonne Kremers. Auf anderem Weg sei es ja nicht möglich, Aufmerksamkeit für das Thema der vom Kohletagebau bedrohten Dörfer zu generieren. Die Landesregierung fühle sich leider wohl nur berufen, „den Profit der Konzerne zu sichern.“

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15 Kommentare

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  • Auch ich vermisste etwas Essentielles, nämlich: Es geht hier um den Fortbestand unserer Kultur und Lebensgrundlage, den Klimawandel. Dieser wird zwar bekämpft, doch mit "halber Kraft". Wir wissen seit 40 Jahren von dieser Bedrohung, doch immer wurde nichts oder das sogenannte "Machbare" gemacht. Für Kompromisse ist es jetzt einfach zu spät, da haben die jetzt lebenden Menschen, ob Politiker oder Unternehmen oder die Reichen und die vielen an der Armutsgrenze lebenden Menschen eben Pech gehabt. Jetzt muss kompromisslos klug gehandelt werden, wie bei der Covid-19 Eindämmung im März/April. Wenn Fridays for Future auf 1,5 beharrt, dann ist das ein sehr gutes Gegengewicht gegen den von mir dankbar aufgenommenen Klima-Plan von Herrn Altmaier (W.-u.Energieminister, CDU/CSU), den er dann auf das "Machbare" reduziert, indem er eine Finanzierungsbasis nennt, die den Plan unmöglich macht. Das ist - sorry - Volksverdummung. Ich fühle mich als Bürger verhöhnt.

  • "Die Landesregierung fühle sich leider wohl nur berufen, „den Profit der Konzerne zu sichern.“ "

    Wieso gebrauchen taz-Redakteure Zitate von Unbekannten, die niemand kennt, um ihre eigene Mission dahinter zu verstecken?

    • 9G
      92489 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      Aus dem Kontext ergibt sich leicht zu erkennen, dass besagtes Zitat Yvonne Kremers zuzuschreiben ist. Schon wach?

    • @Rudolf Fissner:

      die SIE vielleicht nicht kennen : D

      uebrigens nennt man das

      jour



      na



      lis



      mus

  • Die Pressefreiheit hebelt das Hausrecht nicht aus.

  • 1G
    15833 (Profil gelöscht)

    Tja, was soll man dazu noch sagen

    Um uns herum werden Atomkraft Werke gebaut um die Klimaziele zu erreichen und hier soll es wind und Sonne richten.

    Der Kohleausstieg ist beschlossen, und das Ruder reißen wir auch nicht Rum wenn ab morgen alle deutschen Braunkohle Bagger stehen

    Sollte auch Ende im Gelände bewusst sein

    • @15833 (Profil gelöscht):

      Um uns herum? Na ja, in Frankreich baut man am Ärmelkanal seit Jahren an zwei neuen Reaktoren, die ursprünglich mal gut 3 Mrd. Euro kosten sollten mittleweile ist man bei 19 Mrd. Euro angekommen und der staatliche Betreiber EDF hat über 30 Mrd. Euro Schulden. Geplante Inbetriebnahme nun 2023.



      Ansonsten sind wohl in Finnland (1 Reaktor) und Russland (20 Reaktoren) neue AKW geplant. So richtig "um uns herum" finde ich das jetzt nicht.

    • @15833 (Profil gelöscht):

      wenn sie jetzt noch gesagt haetten, dass bei ihnen ja der strom aus der steckdose kommt, waere ihr kommentar perfekt gewesen. aber so.....

  • Was man nicht vergessen darf:



    Drei der fünf von Garzweiler bedrohten Dörfer waren durch den Landes-Braunkohlekompromiss von 2013(rot-grün) eigentlich schon gerettet.

    Dadurch dass allerdings manchen Aktivisten Bäume wichtiger waren als Menschen - und diese lauter schriehen als die direkt Betroffenen, wurde dann letztes Jahr mit dem Bundeskompromiss entschieden Hambach zu beenden und stattdessen Garzweiler doch wieder laufen zu lassen...

    Jetzt Solidarität zu heucheln, empfinde uch leider nur als zynisch, denn es war von vornherein klar, dass entweder Hambach oder Garzweiler verkleinert werden würde; das ist die Natur eines Kompromisses. Die Anlieger sind so also zum Faustpfand deren geworden, die ihre persönliche Maximallösung durchgedrückt sehen wollen. Und das wahrscheinlich nicht ganz unbeabsichtigt...

    • @Ruhrpott-ler:

      Was sie hier schreiben ist einfach nur falsch. Garzweiler II wurde zuletzt 2016 verkleinert, die Orte Holzweiler und Dackweiler wurden aus dem künftigen Tagebaugebiet rausgenommen. Daran hat sich auch durch den so genannten Kohlekompromiss nichts geändert. Da wurde nicht zugunsten des kläglichen Restes des Bürgewaldes (Hambacher Forst) irgendetwas wieder mit ins Abbaugebiet reingenommen.

    • @Ruhrpott-ler:

      um eine der bedeutendsten bands der deutschen nachkriegszeit zu zitieren:

      wer sagt denn das?

  • In anderen Kommentaren wurde es bereits bschrieben. Das was bisher passierte. Jahrelange politische Verfahren. Entscheidungen. Einbindung von Verbänden. Richterliche Entscheidungen.

    Nun sind nur noch Schnittwunden, Rippenbrüche und letzte Kneipen die Fahnenstange der Argumente .

    • @Rudolf Fissner:

      ..und kohlekraftwerke, die ohne bau- und betriebsgenehmigung einfach doch gebaut und betrieben werden

  • "Der Fotograf trägt Schnittwunden von einem Stacheldrahtzaun am Oberarm davon, die Reporterin ist mit doppeltem Rippenbruch im Krankenhaus, heißt es auf Twitter."



    Sind doch nur Einzelfälle. Ansonsten blüht neben den Landschaften weit und breit Rechtsstaat und Pressefreiheit. ;-/

  • Schöner Artikel, jedoch vermisse ich etwas Essentielles, Anett Selle.