Klimakrise und Extremwetter: „Wir stecken schon tief drin“
Meteorologe Özden Terli spricht im ZDF-Wetterbericht oft über den menschlichen Fußabdruck im Wetter. Das wünscht er sich auch von Kolleg:innen.
taz: Herr Terli, neulich 49,6 Grad in einem mittlerweile abgebrannten Dorf in Westkanada, diese Woche 54 Grad im Tal des Todes im US-Bundesstaat Kalifornien: Wie oft wurden Sie schon gefragt, ob das der Klimawandel ist?
Özden Terli: Kann ich gar nicht genau sagen. Ich werde andauernd gefragt, ob irgendein Wetterphänomen der Klimawandel ist. Da steckt vielleicht so eine Abwehrhaltung dahinter oder die Hoffnung, dass wir doch noch nicht in der Klimakrise leben. Das ist aber leider nicht so.
Speziell bei extremen Hitzewellen ist es ja eigentlich unstrittig, dass der Klimawandel diese schon jetzt wahrscheinlicher und intensiver macht, oder?
Ja, absolut. Das kann man den Berichten des Weltklimarats entnehmen. Wer das in genaueren Zahlen haben will, der kann in entsprechende Attributionsstudien hineingucken …
… in denen Klimatolog:innen jeweils für ein einzelnes, konkretes Wetterereignis erforschen, welchen Anteil der Klimawandel hat.
So eine gab es ja letzte Woche zu der Hitzewelle, die Kanada und USA kurz zuvor erlebt hatten. „Praktisch unmöglich“ sei die ohne Klimawandel gewesen, kam da raus, er hat sie 150-mal wahrscheinlicher gemacht. Da ist der menschliche Fußabdruck in diesem Extremwetterereignis also ganz, ganz deutlich.
Und jetzt werden wie gesagt schon wieder Wahnsinnstemperaturen in Kalifornien gemessen. Ist das noch Teil derselben Hitzewelle oder schon die nächste?
Das ist wieder eine neue Wetterlage. Letztens haben wir ganz spezifische atmosphärische Zirkulationsbedingungen beobachtet, einen sogenannten Hitzedom. Der wurde dann abgebaut, die Hitze in den Osten abgedrängt. Jetzt erleben wir die Vorderseite eines Tiefs, da wird permanent warme Luft herangeführt.
wurde 1971 in Köln geboren und ist Wetter-Moderator der Nachrichtensendungen des ZDF.
Sie klingen nicht überrascht, dass das jetzt so Schlag auf Schlag kommt. Oder doch?
Nein, das fügt sich doch in den Trend ein. Generell kann man aus meteorologischer Sicht sagen: Die Hitzetage haben in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen, Hitzewellen sind häufiger, länger und intensiver geworden. Was auch bedeutsam ist: Die Nächte werden heißer. Wir erleben deutlich öfter sogenannte Tropennächte als früher, also mit 20 Grad oder mehr.
Das ist aus gesundheitlicher Sicht besonders gefährlich.
Ja, nachts 23 Grad, dann tagsüber wieder auf 35 Grad hoch, da kann sich der Körper gar nicht mehr abkühlen. Vor allem, wenn das mehrere Tage nacheinander so geht. Das ist besonders in den Innenstädten ein riesiges Problem. Da ist es nämlich durch die stärkere Bebauung und schlechte Durchlüftung noch mal deutlich wärmer als an der Wetterstation, an der die 20 Grad gemessen wurden.
Also brauchen die Städte mehr Grün, Frischluftschneisen, Schattenplätze und, und, und …
Städte und Bundesregierung müssten schon längst mehr daran arbeiten, die Städte so umzubauen, dass sie besser abkühlen. Überall Klimaanlagen einzubauen, geht schließlich nicht, die verbrauchen zu viel Strom. Aber auch die Bebauung an sich kann fünf, sechs Grad Unterschied machen. So ein Umbauprozess dauert natürlich, das muss sofort angegangen werden. Hitze ist und wird immer mehr zum Gesundheitsproblem. Die ersten, die darunter leiden, sind kleine Kinder, kranke und alte Menschen.
In einer Attributionsstudie haben Forscher:innen Ende Mai festgestellt: Mehr als ein Drittel der weltweiten Hitzetoten in den vergangenen 30 Jahren ist auf den Klimawandel zurückzuführen.
Das ist ja ziemlich übel. Und mit Sicherheit ein wachsendes Problem, auch in Deutschland. Wenn man sich die Projektionen des Deutschen Wetterdiensts anguckt, die es bis 2030 gibt, da gehen die Temperaturen hier weiter hoch. Was sollten sie auch sonst tun? Wir pusten ja weiter ohne Ende Kohlendioxid in die Atmosphäre und verschleppen den nötigen Klimaschutz.
Viele der langfristigen politischen Klimaziele stehen bisher nur auf dem Papier, sind aber gar nicht durch konkrete Maßnahmen gedeckt. Wir Meteorologen müssen die Zähne auseinanderkriegen und die Einordnung des Wetters richtig vornehmen, damit mehr Leute den Ernst der Lage verstehen. Wir stecken schon tief in der Klimakrise drin.
Aber nicht bei allen Wetterereignissen kann man das im Einzelfall schon so sicher sagen wie bei der Hitze, oder? Stürme zum Beispiel, die viel mehr Parameter als nur die Temperatur haben, machen es den Attributionsforscher:innen doch schwerer.
Das stimmt. Aber ich warne davor, einen Effekt des Klimawandels nur zu akzeptieren, wenn jemand dazu eine Attributionsstudie angefertigt hat. So interessant und hilfreich diese Untersuchungen auch sind; selbst wenn es diesen Forschungszweig nie gegeben hätte, wäre physikalisch klar: Wir schirmen durch unser Kohlendioxid die Atmosphäre ab. Wärme kann damit nicht mehr so gut entweichen.
Seit der Industrialisierung hat sich die Erde in der Folge um durchschnittlich 1,2 Grad aufgeheizt. Das wirkt sich lokal auf Temperaturen, Niederschlag und andere Wetterfaktoren aus, jetzt schon. Alles andere ist physikalisch einfach nicht plausibel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“