Kita-Öffnungspläne in NRW: Klassenkampf von oben
Nordrhein-Westfalen will die Kitas so schnell wie möglich wieder öffnen, obwohl valide Daten für die Ansteckungsrisiken fehlen. Das ist voreilig.
M anchen kann es gar nicht schnell genug gehen mit den Lockerungen. Nordrhein-Westfalen will die Kitas wieder öffnen, um jeden Preis. Am Sonntag sagte Joachim Stamp, FDP, man müsse die Kinder so schnell wie möglich wieder in die Einrichtungen bekommen. Warum, sagte er nicht.
Es ist klar, dass es gerade für Familien eine stressige Zeit ist und dass viele Familien mehr Unterstützung bräuchten, als sie gerade erhalten. Doch ebenso ist klar, dass niemand die Frage beantworten kann, ob Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung sind. Da können Lindner, Laschet und Konsorten noch so sehr tönen: Es gibt bislang eben noch keine Daten zu Langzeitfolgen, es gibt auch noch kaum Daten dazu, welche Rolle Kinder bei der Verbreitung spielen. Der aktuelle Stand ist, dass sie gleichermaßen infektiös sind: Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass Kinder keine Langzeitfolgen zu befürchten haben, bürdet man also risikobehafteten Eltern die Entscheidung auf, ihre Gesundheit gegen die gesellschaftliche Teilhabe der eigenen Kinder abwägen zu müssen.
In der jetzigen Situation tasten wir uns schrittweise an eine veränderte Realität heran. Wer sich hinstellt und behauptet, er wisse mit Gewissheit, was richtig ist, belügt sich und alle anderen. Stamp behauptet, die Sicherheit der Erzieher:innen im Blick zu haben, aber wie kann er diese Sicherheit garantieren?
Eltern sollen zurück zur Arbeit
Es werden wohl auch andere Motive eine Rolle spielen. Zum Beispiel jenes, die Eltern wieder zurück an die Arbeit zu bekommen. Während dann die Mittelschicht im Homeoffice sitzt, wird das Pflege- und Betreuungspersonal unter erhöhter Ansteckungsgefahr arbeiten. Was soll das werden, Klassenkampf von oben?
Es ist noch keine informierte Entscheidung möglich. Es kann ehrlicherweise nur darum gehen, sich die Bedarfe anzusehen und individuelle Lösungen zu finden; das ist eine kleinteilige, mühsame und schwere Aufgabe. Ein erster Schritt wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens; damit würde man vielen Menschen, Eltern wie Erzieher:innen, Druck nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag