piwik no script img

Kirchen in DeutschlandIm freien Fall

2022 erklärten mehr Protestant*innen ihren Austritt als je zuvor. Der Kirche droht der rapide Schwund in die Irrelevanz. Woran liegt es?

Kir­chen­tags­be­su­che­r*in­nen beim eröffnenden Kerzenmeer: Hier ist die Kirchen-Welt noch heile Foto: Daniel Karmann/dpa

Nürnberg taz | Rund 380.000 Pro­tes­tan­t*in­nen haben im Jahr 2022 ihren Austritt erklärt. Erstmals in der deutschen Geschichte stellten die Mitglieder der Evangelischen und Katholischen Kirche 2022 nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung. Den Kirchen droht ein rapides Abrutschen in die Irrelevanz.

Die Austrittsgründe? Verschieden. Oft ist der Austritt kein akuter Bruch, sondern eine schleichende Entfremdung von der Kirche. Doch jeden Tag entscheiden sich mehr Menschen, schlussendlich aus den Kirchen auszutreten.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Natürlich ist das Verhältnis der Mitglieder zu den Kirchen und ihrem Glauben zutiefst persönlich. Trotzdem versuchen die Kirchen händeringend, herauszufinden, was die Menschen aus den Gotteshäusern und Gemeinden treibt. Dabei stoßen sie in Studien immer wieder auf ungemütliche Antworten.

So spielten Missbrauchsskandale zuletzt eine wachsende Rolle. Im Jahr 2021 traten deswegen deutlich mehr Ka­tho­li­k*in­nen aus als Protestantinnen und Protestanten. Aber auch hier machte sich die Debatte um Gelegenheitsstrukturen bemerkbar: um kirchliche Strukturen, die sexualisierte Gewalt begünstigen können. Noch nie gab es so viele Austritte aus der Evangelischen Kirche in Deutschland wie heute. Ein Hieb in die Kerbe, denn absolut und relativ gesehen verlassen seit Jahren mehr Pro­tes­tan­t*in­nen als Ka­tho­li­k*in­nen die Kirche. Hinzu kommt, dass 2021 etwa doppelt so viele Gläubige starben wie durch die Taufe hinzukamen.

Kirchensteuer ist ein Austrittsgrund

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die große Masse der Kirchenmitglieder hat wenig direkten Bezug zur Kirche. Mehr als der Hälfte der Ausgetretenen scheint keinen konkreten Anlass für den Austritt zu haben. Einerseits geht die Entfremdung schleichend voran, trotzdem ist sie rasant: Seit 2005 verlieren beide Kirchen ihre Mitglieder immer schneller.

Viele, das stellte das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD 2019 in einer großangelegten Austritts-Studie fest, finden es einfach nicht mehr angemessen, hohe Kirchensteuern zu zahlen. Ob das nur der Anlass oder ein echter Grund ist, können die For­sche­r*in­nen aber nicht beantworten.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Nur ein kleiner Teil der Ausgetretenen ist mit dem Engagement der Kirche für Geflüchtete nicht zufrieden oder ärgert sich ausschlaggebend über deren politische Ausrichtung. Ob links oder rechts, progressiv oder konservativ: Ganze 53 Prozent finden trotzdem, dass die Werte der Kirche ihren eigenen nicht mehr wirklich entsprechen.

Viel bedeutsamer scheint schlicht die zunehmende Irrelevanz in einer säkularen Gesellschaft zu sein. Ausgetretene begründen ihre Entscheidung mit Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche, mit allgemeiner Unglaubwürdigkeit, oder damit, dass sie ihren Glauben auch ohne die Kirche leben können.

Aber auch die verbleibenden Mitglieder lassen sich kaum noch im Gottesdienst sehen. Nur ein Bruchteil geht regelmäßig zu Gottesdiensten oder engagiert sich aktiv in der Gemeinde. Aber zu großen Festen, bei Hochzeiten, an Weihnachten, zu Beerdigungen, da ist Kirche für sie wichtig.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Bis 2060 prognostizieren Wissenschaftler*innen, dass die Kirchen noch einmal rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren werden. Die Kirche werde zunehmend „kleiner und demütiger“, kommentierte auch zuletzt Georg Bätzing, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Vielleicht nähert sie sich damit ja ihrem Ideal an. Immerhin ist Demut eine christliche Kernkompetenz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge. Wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Die Anzahl der Mitglieder sollte für die Kirchen zumindest in der Hinsicht keine Rolle spielen, als das Sie ihr Handeln danach ausrichtet. Wichtig ist es nicht beliebig zu werden, vielleicht kommen auch wieder andere Zeiten.

  • In den 80'ern hat man mir erzählt, dass ich nach meinem Tod bei Gott bin, dass Christus für mich starb, und dass der Herr eine wunderschöne Frau bereithält, mit der ich mein ganzes Leben glücklich bin.. Das leben ist etwas komplizierter.. Ich habe viele Leute gesehen, die sich mit sowas unglücklich gemacht haben. Die Kirche spielt in meinem Leben keine Rolle mehr..

  • Die Erbsünde ist nun mal nicht der Ungehorsam wider die göttliche Obrigkeit, sondern die schlichte Folge der Erkenntnis dessen was gut und schlecht ist. Daraus folgt die Sorge, das Gute zu tun, das Schlechte zu meiden. Das Ende des sorglosen Paradieses auf Erden. Wir greifen in die Schöpfung ein wie Gott.



    Kirche ist von Anfang an Betrug.

  • Ist wohl auch schwer sich/Anderen weiß zu machen, dass es etwas geben soll, was mensch nicht beweisen kann. Sei es ein Gott, oder Feen, die nach dem Glauben von ein paar Menschen wohl im Wald leben sollen ...



    Mehr Apostasie wagen! Oder zumindest Häresie wagen! Treten Sie über zur wahren Lehre! >>> de.wikipedia.org/w..._Spaghettimonsters

    • @Uranus:

      Muss man heute auch noch die korrekte Weltanschauung haben, wenn man sich um Geflüchtete kümmert?

      Mehr Solidarität wagen statt solidarische Mitmenschen zu verachten!

  • "Die Austrittsgründe? Verschieden. Oft ist der Austritt kein akuter Bruch, sondern eine schleichende Entfremdung von der Kirche."

    Ich bin aber dann doch spontan ausgetreten, nachdem ich immer mehr den Eindruck hatte, nur eine laufende EC-Karte zu sein.

    Ich war Hochwasseropfer. Mein Haus war bis zur Decke unter Wasser. Der katholische Priester kam vorbei, spendierte Mut und 100 Euro, informierte über Hilfsangebote. Von meiner Kirche kam ein Bettelbrief für eine Jugendfreizeit und eine Kirchenglocke. Mit vorausgefülltem Überweisungsträger.

    Die Zahl der Evangelen ist bei uns sehr übersichtlich. Der Pfarrer fand es aber nicht für nötig, sich blicken zu lassen. Da bin ich ausgetreten.

  • 6G
    663803 (Profil gelöscht)

    na dann kann doch bald der Ansatz, dass die ärmsten des Landes Kirchensteuer bezahlen egal ob sie Kirchenmitglied sind oder nicht ausgehebelt werden. Den Teil der Steuer sollte man nun dem Bürgergeld zurechnen. Danke schön

  • Offensichtlich ist in der Wahrnehmung vieler in einer Gesellschaft wie hierzulande ein privilegiertes, von außen als christonormativ apostrophiertes Erscheinungsbild definitiv nicht mehr zeitgemäß.



    /



    taz.de/Morgenandac...landfunk/!5781999/



    /

  • Angenommen die Kirche wäre ein Orchester, dann spielt sie seit Jahrhunderten immer nur Bach, Bach, Bach. Sie modernisiert sich nicht, sie passt sich nicht der gewandelten Gesellschaft an, sie spielt immer nur Bach, jedem Sonntag Bach.



    Frage: würden sie jeden Sonntag in dieses immer gleiche Konzert gehen?

    • @Rudi Hamm:

      Also die evangelische Kirche spielt mit ihrem Orchester seit Jahren immer nur die Top 10 der aktuellen Hitparade. Aber das klingt halt nicht so dolle wie die Originalversion.

    • @Rudi Hamm:

      Mancheiner kritisiert, dass sich die Kirchen zu sehr an die gewandelte Gesellschaft anpassen.

      Die evangelische mehr noch als die katholische.

    • @Rudi Hamm:

      Ja. Weil Gottesdienst kein Konzert ist. y

    • @Rudi Hamm:

      Nein,



      aber es gibt definitiv ganz verschiedene Ausrichtungen von Kirchengemeinden, von Barock über Klassik, Romantik bis Schöneberg etc. Allein in der evangelischen Allianz in Münster gibt es z. B. die verschiedensten Ausrichtungen, von traditionell, also Bach, bis zu den Jesus Freaks, also eher Schöneberg oder evtl. Jazz. In der Matthäusgemeinde eher Predigten an Bibelstellen orientiert, bei den Babtistengemeinde eher thematisch und mit Vorsängern, an denen sich die Gemainde orientieren kann. Seit Corona auch alles meist live oder zeitversetzt zu verfolgen.



      Dieses Angebot ist allerdings eingeschränkter, je weiter man sich von den Städten entfernt. Aber sie sind existent und vielfältig. Die Kirchenmüdigkeit muss demnach noch andere Ursachen haben als das mangelnde Angebot. Und übrigens, kann es auch eine Verwurzelung und Wiederausrichtung an den wesentlichen Werten bedeuten, wenn man "immer nur Bach hört". Das Wesentliche ändert sich nämlich nicht so schnell und Veränderung ist kein Wert an sich.



      Meiner Meinung nach brauchen wir gute Kirchengemeinden heute ganz besonders, darum lohnt es sich zu suchen und Mühe Mühe zu investieren. Denn eine grundlegende Verwurzelung findet man nicht eben mal bei Karstadt am Wühltisch.

  • Nicht sicher, ob man das vollumfänglich auf EKD Ebene anaylsieren kann. Die Arbeit, die Leute für die Kirche gewinnt und sicherlich auch mal vertreibt findet auf Gemeindeebene statt.

    • Raoul Spada , Autor des Artikels,
      @metalhead86:

      Guter Punkt! Da schauen wir uns die Gemeindeebene in den nächsten Tagen doch mal genauer an.

  • Ist doch wunderbar.

    Dann ist es also nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kirche den Status haben wird, der ihr zusteht.

    Den einer merkwürdigen kleinen Sekte, in der frauenfeindliche und homophobe Männer Kindesmissbrauch decken.

    Braucht man nicht.

    • @Jim Hawkins:

      Die evangelische Kirche ist nicht homofeindlich, oder frauenfeindlich und hat auch keinen strukturellen Kindesmisbrauch.



      Trotzdem verlassen mehr Menschen die evangelische als die katholische Kirche.



      Deswegen macht es auch keinen Sinn der katholischen Kirche fehlenden Willen zur Veränderung vorzuwerfen, dadurch würden sie ihre Abschaffung nur beschleunigen.



      Der evangelische Kirche fehlt jegliches Profil, bei der katholischen Kirche weiß man wofür sie steht.

    • @Jim Hawkins:

      Die evangelische Kirche hat auch lesbische Pfarrerinnen.

      Nützt ihr nur nichts, wie wir im Artikel lesen konnten.

    • @Jim Hawkins:

      ganz richtig.

    • @Jim Hawkins:

      Da wäre ich nicht so sicher , der Verfall der Moral und der humanitären Werte in unserer Gesellschaft hat wohl auch damit zu tun,was mit christlichen Werten vermittelt wurde.



      Wo Licht ist,ist eben auch Schatten.