Klavierkabarettist über Kirchentag: „Ist die Bibel noch zeitgemäß?“

Auch beim Kirchentag in Nürnberg wird Bodo Wartke auftreten – und mit Kritik an der Kirche nicht sparen. Ein zweites Gespräch über Gott und die Welt.

Bodo Wartke sitzt auf einer Schaukel, die von einem Baum hängt

Tritt gerne auf dem Kirchentag auf, feiert Religionen aber nicht ab: Klavierkabarettist Bodo Wartke Foto: Sven Hagolani

taz: Herr Wartke, 2019 sagten Sie im taz-Interview vor dem Kirchentag in Dortmund „Kirchentag ist positiver Ausnahmezustand“. Kurz danach herrschte durch die Coronapandemie ein Ausnahmezustand. Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Bodo Wartke: Von „Ich weiß überhaupt nicht mehr weiter, absolute Katastrophe“ bis zu „Wie kann es gelingen, kreativ mit der Situation umzugehen?“ Mir ist das zum Glück gelungen. Zunächst mit dem ­Schreiben von Liedern, etwa eins über Christian Drosten. Aber auch das Erkunden von neuen Auftrittsmöglichkeiten, die man bisher nicht für möglich gehalten hat. Das fand ich spannend. Weiterhin kreativ sein zu können, hat mich künstlerisch am Leben gehalten.

Jahrgang 1977, lebt in Berlin und ist seit über 25 Jahren Klavierkabarettist. Beim Kirchentag in Nürnberg spielt er am Samstag, 10. Juni, ein Großkonzert mit dem Titel „Tu, was du tust, aus Liebe“

Als Künstler haben Sie mit Pandemie-Liedern und Zoomauftritten Antworten auf die Krise gefunden. Jetzt steht der Evangelische Kirchentag in Nürnberg an, wo Sie erneut auftreten. Dort wird auch Corona, der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Inflation thematisiert werden. Denken Sie, die Kirche kann Antworten geben?

Das wird sich zeigen. Ich denke, die Fragen sind noch komplexer und schwieriger geworden. Frieden ist ein gutes Beispiel. Vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine war der Konsens: Krieg ist schlecht, Waffenlieferungen sind schlecht. Das kam auch in meinem Lied „Das Land, in dem ich leben will“ vor. Darin beschreibe ich ein Land, was ich für wünschenswert halte. Vieles davon ist in Deutschland zum Glück der Fall. Im Lied hieß es: „In diesem Land ist man einander zu gewandt. Statt Hass und Gewalt regieren hier Herz und Verstand. Ein friedliches Land. Das nicht hintenrum zuhauf an andere Länder Waffen verkauft.“ Das war zu der Zeit, in der ich das Lied schrieb, breiter Konsens. Man sollte weniger Waffen verkaufen. Dieser Konsens ist nun ins Wanken geraten. Natürlich wollen alle Frieden, aber jetzt hast du diese Situation in der Ukraine. Was machst du da? Da bin ich sehr gespannt, welche Antworten die Kirche gefunden hat.

Also „Jetzt ist die Zeit“… für Antworten, um auf die diesjährige Losung des Kirchentags Bezug zu nehmen. Im Markus-Evangelium heißt es weiter: „Gottes gerechte Welt ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!“

Die Losung des Kirchentags ist für sich genommen total zutreffend. Ich würde auch sagen: Jetzt ist die Zeit, um was zu machen, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Kritisch sehe ich es, wenn gesagt wird: „Vertraut auf die Bibel, vertraut auf das, was geschrieben steht.“ Das wurde zu einer Zeit mit ganz anderen Voraussetzungen und Lebensgrundlagen geschrieben.

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Manches in der Bibel ist zeitlos und universell, etwa zum Umgang von uns Menschen miteinander. Aber jetzt sind wir mit dem Klimawandel konfrontiert. Es ist klar: Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Das hat was Anachronistisches, zu sagen: Wir machen das so, wie wir es immer schon gemacht haben. Wir machen, was hier im Buch steht. Ich finde wichtig, zu schauen: Ist das, was in der Bibel steht, noch zeitgemäß? Das passiert glücklicherweise auf dem Kirchentag auch. Es ist immer das Dilemma, dieses Buch ständig neu ausdeuten zu müssen.

Sie sind seit ein paar Jahren Vater. Hat sich dadurch auch Ihr Blick auf Religion verändert?

Ich selbst wurde als Kind getauft, alle Kinder aus meiner Familie hatten dasselbe Taufkleid, das war eine Tradition. Ich finde es inzwischen aber besser, wenn sich ein Mensch voll bewusst für oder gegen Kirche entscheiden kann. Also nicht mehr als Kind eine Taufe über sich ergehen zu lassen, sondern sich freiwillig zu entscheiden, dieser Gemeinschaft beizutreten. Da sollte es auch keinen gesellschaftlichen Druck geben. Hätte ich zu meiner Mutter damals gesagt ‚Nee, Konfirmandenunterricht ist nichts für mich‘, hätte meine Mutter, glaube ich, gesagt: ‚Das macht man aber so.‘ Ich finde es schöner, wenn man seinen Kindern die freie Wahl lässt, ihnen sagt, dass sie sich Religionen und Kirchengemeinden anschauen können und schauen, ob das was für sie ist.

In einem Gespräch wurde ich neulich gefragt, warum mich das Thema Religionen überhaupt interessiert. Was antworten Sie, warum schreiben Sie so viele religionskritische Lieder?

Einerseits glaube ich, dass alle Religionen aus einer guten Intention heraus entstanden sind und dass Religion auch nach wie vor Gutes bewirken kann. Pauschal abschaffen wäre nicht sinnvoll. Man sollte schauen, wie man sie mit den Herausforderungen der heutigen Zeit überein bekommt. Zum Beispiel mit dem Grundgesetz oder mit der Klimakrise. Wie können wir die guten Ideen von damals auf die Probleme von heute adaptieren?

Und Machtmissbrauch in der Kirche kann man nicht genug anprangern. Die heiligen Schriften werden instrumentalisiert, um die schlimmsten Verbrechen, die man sich vorstellen kann, zu rechtfertigen. Es wird sich darauf berufen und gesagt: „Wir sind immer im Recht, wir sind gesandt von Gott. Deswegen müssen wir euch jetzt töten, massakrieren, foltern, verstümmeln.“ Das finde ich entsetzlich und denke immer: Wie konnte das so aus dem Ruder laufen? Und warum hat man anscheinend so wenig Handhabe dagegen? Als Künstler genieße ich es sehr, in einer Zeit zu leben, in der ich zumindest in Deutschland die christliche Religion kritisieren kann, ohne dafür enthauptet zu werden.

Insbesondere den sexuellen Missbrauch an Kindern thematisieren Sie immer wieder.

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Die Frage, die ich mir da stelle, ist: Erleichtert Religion das Verbrechen? Macht es die Religion den Menschen leichter, Kindesmissbrauch zu begehen? Das gibt es ja auch nicht erst seit der Katholischen Kirche, sondern immer schon und auch außerhalb der Kirche. Nun ist aber die katholische Kirche dummerweise ein System, das den Missbrauch nicht nur vertuscht, sondern auch ermöglicht. Sie ist in meinen Augen eine Täterorganisation. Den Tätern wird es erstens sehr leicht gemacht, es zu tun, und zweitens straffrei davonzukommen. Weil mich das so empört, weil es sich so dringend ändern muss, schreibe ich immer wieder darüber.

Erst jüngst einen Zungenbrecher: ‚Der plappernde Kaplan klebt klappbare Pappplakate an die Wand der klappernden Kapelle. Damit prangert er die katholische Kirche an und die zahlreichen Missbrauchsfälle. Ein bisschen wie seinerzeit Luther mit seinen 95 Thesen. Nur ist die Kirche heute noch kaputter, als sie damals schon gewesen. Bestimmt nimmt irgendein Abt die klappbaren Pappplakate wieder ab. Und kommentiert dann wieder nur knapp: Ach Missbrauch, papperlapapp.‘

Damit sprechen Sie die Deutungshoheit an, die viele sehr religiöse Menschen für sich beanspruchen.

Genau, man könnte fast sagen, je religiöser, desto böser. Ich schreibe gerade einen Text, der davon handelt, dass Gott aus der Kirche austreten will. Einfach, weil es ihn zu sehr nervt. Aus bestimmten Kirchen ist er schon ausgetreten, weil er es überhaupt nicht mehr vertreten kann, mit anderen hadert er noch. Er wird dann von Jahwe getröstet, der ihm sagt: Ach, komm, es ist aber auch nicht alles schlecht an den Religionen. Wir verdanken ihr auch viel schöne Architektur und gute Musik zum Beispiel.

Mit einem Kirchenaustritt läge Gott am Puls der Zeit.

Ja, in einem neuen, bisher nicht veröffentlichten Lied zeigen meine Bühnenpartnerin Melanie Haupt und ich auch auf, wie man aus der katholischen Kirche austritt. Wir erklären in Liedform, wie das geht. Was man braucht, wo man hingehen muss, was es kostet. Da, wo wir es bisher gesungen haben, hat es großen Anklang gefunden.

Klingt aktivistisch.

Stimmt, aber es ist sehr freundlich. Es ist mehr eine Inspiration als eine Aufforderung. Das, was wir da singen, kann man ja auch nachlesen, wenn einen das interessiert. Ich würde es als Anstupsen, Nudging beschreiben. Wenn man sich bisher selbst noch nicht damit beschäftigt hat, weiß man danach, wie es geht. Und es geht erstaunlich einfach.

Beim Kirchentag in Nürnberg wird es eine „FuckUp-Night“ geben, wo es um Scheitern in der Kirche geht. Was ist in Ihren Augen bei der Evangelischen Kirche in den letzten Jahren schiefgelaufen?

Die Evangelische Kirche steht in Deutschland im direkten Vergleich zur Katholischen in vielen Punkten besser da. Das ist aber nichts, worauf sie sich ausruhen sollte. Auch in der Evangelischen Kirche gab es Missbrauchsfälle und auch in puncto Gleichberechtigung gibt es mit Sicherheit noch Handlungsbedarf. Persönlich als Künstler kritisiere ich die Unterhaltsamkeit von vielen Gottesdiensten. Da könnte man einiges tun. Auf Unterhaltung, Entertainment wird gesamtgesellschaftlich, nicht nur im religiösen Kontext, so herabgeschaut.

In Deutschland schauen die verschiedenen Sparten aufeinander herab, etwa Theater und Oper blicken herab auf Musicals. Anstatt zu gucken, wo sind eigentlich die Potenziale und wo sind die Schnittmengen. Denn letztendlich, behaupte ich, wünschen wir uns alle ein Publikum, mit dem wir etwas teilen möchten. Im Idealfall eine Botschaft, in der Kirche meinetwegen ‚die frohe‘. Etwas unterhaltsam zu gestalten, ist ein sehr fruchtbares und wirksames Mittel. Wenn du Leute gut unterhältst, hören sie dir gerne zu. Das öffnet die Hirne und die Herzen. Unterhaltung ist dabei per se nicht flach, was ihr oft unterstellt wird, sondern ein Katalysator, den man sich zunutze machen sollte. Ich glaube, das ginge mit der Bibel und dem evangelischen Glauben auch.

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