„Kinderbräute“-Erlass in Dänemark: Knast für Ex-Ministerin
Dänemarks frühere Einwanderungsministerin Støjberg wird zu 60 Tagen Haft ohne Bewährung verurteilt. Sie reagiert geschockt auf das Urteil.
In der Begründung des Urteils wird Støjberg vorgeworfen, wissentlich geltendes dänisches und internationales Recht gebrochen zu haben. 25 der 26 RichterInnen waren sich in dieser Bewertung einig. Bei der Frage der Strafbemessung hatte sich eine Minderheit von 9 RichterInnen für eine Bewährungsstrafe ausgesprochen.
Damals Mitglied der rechtsliberalen Venstre, hatte sich Støjberg in den vier Jahren ihrer Amtszeit als Einwanderungsministerin von 2015 bis 2019 einen soliden Ruf als flüchtlingspolitische Hardlinerin und populistische Provokateurin erworben. Der Strafvorwurf galt Støjbergs „Kinderbräute“-Erlass. Am 10. Februar 2016 hatte die Ministerin die Trennung aller nach Dänemark geflüchteten Paare mit einem Partner unter 18 Jahren angeordnet. Offiziell hatte sie das damit begründet, sie wolle minderjährige Mädchen vor erzwungener Partnerschaft schützen. Daraufhin waren 23 Frauen zwangsweise von ihren Partnern getrennt worden, darunter fünf Schwangere, vier Frauen, die Kinder hatten und einige, die krank waren.
Es kam zu teils dramatischen Szenen: Mehrere der jungen Frauen hätten „panisch reagiert“, „geweint und sich gewehrt“, seien „völlig zusammengebrochen“, einige hätten gar versucht, sich das Leben zu nehmen und mussten ins Krankenhaus, konstatierte ein Untersuchungsbericht im Dezember 2020. In dem wurde ebenfalls festgestellt, dass allenfalls nach einer gründlichen Einzelfallprüfung eine Trennung von Paaren zulässig gewesen wäre. Die pauschale Anordnung der Ministerin aber sei eindeutig illegal gewesen: Ein Verstoß gegen dänisches Recht, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
War der Rechtsverstoß bewusst und gewollt?
Die entscheidende Frage, die die 26 RichterInnen des „Rigsretten“ nun 5 Jahre später zu beantworten hatten: War der Rechtsverstoß von Inger Støjberg bewusst und gewollt – oder hatte sie nur fahrlässig ihre Amtspflichten verletzt und ihre Anordnung nicht ausreichend auf Übereinstimmung mit dem geltenden Recht geprüft? Sie bejahten erstere Alternative, was einen Strafrahmen von bis zu 2 Jahren Haft möglich machte. Die Anklage hatte vier Monate Haft, die Verteidigung Freispruch gefordert.
„Ich bin sehr, sehr überrascht“, erklärte Støjberg nach Verlassen des Gerichtssaals. Nach Beobachtungen anwesender JournalistInnen reagierte die frühere Ministerin „deutlich geschockt“ auf das Urteil. „Nicht nur ich, sondern auch dänische Werte haben verloren“, sagte sie. „Ich nehme meine Strafe auf mich, ohne den Nacken zu beugen.“
Es war ein historisches Verfahren, bei dem das dänische Parlament die Rolle einer Art Anklagebehörde übernimmt, wenn einem Mitglied der Regierung Amtsvergehen vorgeworfen werden. Das war in den vergangenen 110 Jahren nur ein einziges weiteres Mal vorgekommen: 1994 war der ehemalige Justizminister Erik Ninn-Hansen vom Reichsgericht wegen der „Tamilen-Sache“ zu einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Ähnlich wie jetzt bei Støjberg war es auch damals um die Verletzung geltenden Rechts im Bezug auf die Behandlung von Flüchtlingen gegangen. Das Folketing hat nun auch noch zu entscheiden, ob Støjberg ihr Mandat als Abgeordnete behalten kann.
„Es ist gut, sie im Gefängnis zu sehen“, äußerte sich Alnour Alwan im dänischen Rundfunk. Seine Frau Remaz Alkayal war im März 2016 von ihm zwangsweise getrennt und in ein anderes Asyllager verlegt worden, obwohl sie mit Sohn Azuz schwanger war. Erst nach einer gewonnen Klage durfte das Paar vier Monate später wieder zusammen leben. „Wir dachten, dass die dänische Regierung sich verhält wie Assads Regime“, sagt der syrische Flüchtling: „Nun haben wir den Beweis, dass es einen Unterschied gibt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin