Keine Lust aufs Arbeiten: Ich bin, also bin ich

Das Internet macht die Jungen schlapp und die Alten fit. Work-Life-Balance in Zeiten des WWW.

Eine Frau sitzt mit Laptop und Hund auf dem Sofa

Am liebsten von Sofa aus: Arbeiten in den 20er Jahren Foto: Nicolas Armer/dpa

Junge Leute haben einfach keine Lust aufs Arbeiten!“, sagt eine Frau beim Boulen an der Apostelkirche zu ihren Freundinnen.

„Habt ihr noch immer niemanden gefunden?“, fragt eine andere.

„Drei luden wir zum Gespräch! Nr. 1 sagte ab, weil ihr Ohrloch entzündet war, Nr. 2 wegen eines eingewachsenen Nagels, Nr. 3 aufgrund von Schlafstörungen wegen des Ukraine-Kriegs.“

„Meine Praktikantin war trotz Überbezahlung jeden Monat ein paar Tage krank. Als ich sie bat, Kartons mit mir hochzutragen, schlug sie vor, wir sollten Karton für Karton im Lauf der Woche mit hochnehmen, immer wenn wir ­ohnehin dran vorbeikämen, um uns nicht zu überlasten.“

„Mein Auszubildender hat nach drei Wochen abgebrochen, weil er erst mal gar nichts machen wollte, um seine individuelle erwachsene Balance zu finden.“

„Eine 20-Jährige hat neulich noch vor der Mittagspause gesagt, sie müsse mal kurz weg, wegen Raum für ihre Selbst-Achtsamkeit, ist nie wieder aufgetaucht.“

„Der Elektriker hat erzählt, sein Azubi fand den ökologischen Fußabdruck der Firma nicht gut genug, hat deshalb aufgehört.“

„Der beste Freund meiner Tochter hat sein Studium abgebrochen, weil er es selbstentfremdend fand, so viele lange Texte lesen und verstehen zu müssen. Jetzt hat er einen ‚Philosophie für die Hosentasche‘- Kanal auf Youtube.“

„Sie wollen einen Job vom Balkon, Bad oder Bett aus.“

„Im Liegen.“

„Beim Posen.“

„Und Selbstentfalten.“

„Sie wollen die Welt und ihr Kissen gleichzeitig umarmen.“

„Als Globetrotter-Stubenhocker-Hybride.“

„Meine Tochter unterschreibt ständig Petitionen und stimmt den ganzen Tag über bei irgendwelchen Umfragen ab, von Politik bis Promiflash, davon sei sie voll erschöpft, aber auch erfüllt. Sie nennt sich Lazy Activist, ganz ohne Scham.“

„Mein Sohn macht jetzt statt Studium einen Couple-Podcast mit seiner neuen Freundin.“

„Mein Sohn kommentiert den ganzen Tag Beiträge anderer in positiver Art und sagt, sein Karma-Konto sei dadurch konstant über null, er bekomme das aber auch ganz konkret mit Likes zurück.“

„Was ist mit Geld verdienen?“

„Sie wollen einen Job vom Balkon, Bad oder Bett aus“

„Meine Tochter hat neulich gesagt, Cheyenne Ochsenknecht verdiene Minimum dreißigtausend Euro im Monat, nur mit Schönheit und Schwangerschaft.“

„Na, immerhin finanziell besser als in den 60ern!“

„Eine bunte App als Sugardaddy.“

Zwei rauchende Rentner mischen sich ein:

„Also wir sind stets auf Achse, wie die Lachse!“

„Mit Ernährung und Bewegung kann man so viel machen, dass selbst das eine oder andere Zigarettchen drin ist!“

„Dank Internet wissen wir jetzt wirklich alles über unsere Körper!“

„Geist und Seele!“

„Wir sind auf Trab mit Meditation, Omega 3, Ballaststoffen, Me-Time, Dating, Darmgesundheit, Schrittekonto und den tollsten Tanzchallenges!“

„Wir sind mittlerweile wieder so munter und vital, wir arbeiten Teilzeit in unseren alten Jobs!“

„Der Chef hat geheult, als wir ja gesagt haben!“

„Wir sind doch nicht von gestern, haha!“

„Sie meinen, das Internet macht die Alten von heute zu den Jungen von gestern?“

„Normal!“

„70 ist das neue 20!“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.