Lebensentwürfe beim Mittagessen: Der Nachwuchs-Monarch

Wäre es nicht erstrebenswert, ein König zu sein? Der kleine Junge findet: klar. Und Papa hat kein Gegenargument. Ein fiktives Gespräch beim Italiener.

Die Edwardskrone auf einem roten Samtkissen.

Öfter mal Objekt der Begierde: Königskrone, in diesem Fall die von Großbritannien Foto: dpa/Pool Reuters/AP | Phil Noble

„Wenn ich groß bin, will ich König werden!“, ruft der Junge am Tisch beim Italiener und seine ältere Schwester sagt: „Du bist so dumm, das geht nicht einfach so!“

„Doch, ich kann alles werden, was ich will!“

„Kannst du nicht!“

„Kann ich doch!“

„Kannst du gar nicht!“

„Kann ich voll doch!!“

„Inken-Su! Udo-Jannik! Schluss, lasst euch in Herrgotts Namen gegenseitig eure Gedanken, Träume und Ideen und gut is!“, sagt die Mutter und hobelt brachial Parmesan auf ihre Pasta.

„Inken-Su will aber meinen Traum schon am Eingang zerstören!“

„Da gibt es keinen Eingang für dich, du Dummi!“

„Leander sagt, man kann alles schaffen, was man will, wenn man es sich nur doll genug vorstellt!“

„Wer ist jetzt wieder Leander?“, fragt der Vater, ohne von seinem Telefon aufzublicken.

„Mein neuer Deutschlehrer, der für Frau Simonis-Marquard gekommen ist, weil die nicht mehr konnte.“

„Der erzählt euch so einen Stuss? Wie alt ist der? 18?“

„Der ist schon über 25 und hat fast 15.000 Follower bei Instagram!“, ruft Udo-Jannik. „Warum unterrichtet er dann?!“, fragt seine Schwester. Die Mutter haut ihre Gabel senkrecht in die Pasta: „Na, offenbar, um unseren Sohn und seinesgleichen zu Höherem zu motivieren!“ Der Vater sagt: „Aber muss es denn gleich König sein? Wie heißt der weiter? Find den nicht bei Insta.“ Inken-Su sagt: „Bevor du König wirst, musst du sowieso erst Prinz sein!“

„Und wie werd’ ich Prinz?“

„Indem du in der Zeit zurückreist und dein Genmaterial anderen Eltern unterschiebst, in einem Land, das zu hohl ist, die Monarchie zu canceln, da dann konkreten Thronfolgern!“ Udo-Jannik kräuselt die Stirn, der Vater fragt: „Warum willst du überhaupt König werden?“

„Weil man dann voll wichtig genommen wird, ohne was dafür zu machen!“

„Und das gefällt dir?“, fragt die Mutter und trinkt ihren Pinot grigio in einem Zug.

„Das gefällt doch jedem!“, ruft Udo-Jannik.

„Stimmt“, sagt Inken-Su, „und man kann richtig scheiße aussehen, trotzdem wollen einen alle heiraten!“

„Aber dabei geht es doch nur um Oberflächlichkeiten, niemals um was oder wer du wirklich bist“, murmelt der Vater und scrollt weiter bei Instagram. „Aber was ich wirklich bin und so, will doch keiner wissen“, sagt Udo-Jannik traurig. Seine Mutter streicht ihm mit der einen Hand über den Kopf, bestellt mit der anderen noch einen Wein und sagt: „Ich will das wissen, mein Udochen, immer.“

„Ich auch“, sagt der Vater, und hebt dazu den Zeigefinger, ohne aufzublicken. Inken-Su kaut schweigend ihre Pizza.

„Aber ihr bezahlt mich nur so lang dafür, dass ich einfach nur ich bin, bis ich mich selber bezahlen muss, und wenn man König ist, bezahlen einen alle für immer und ewig.“

„Die Welt ist beschissen ungerecht, endlich hat Udochen mal was verstanden!“, sagt seine Schwester und trinkt einen Schluck Wein aus dem Glas ihrer Mutter. „Aber die Lösungsstrategie kann nicht sein, König werden zu wollen!“, sagt die Mutter.

„Was denn dann?“, fragt Udo-Jannik. Der Vater blickt zum ersten Mal auf, dreht seinen Handybildschirm um und tippt auf die Oberfläche.

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Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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