Kanzlerkandidat der SPD: Gabriel verzichtet
Sigmar Gabriel tritt nicht gegen Angela Merkel an und legt den SPD-Parteivorsitz nieder. Als Kanzlerkandidaten will er Martin Schulz vorschlagen.
Mit diesem schnellen Vorgehen war Gabriel sich selbst zuvor gekommen. Eigentlich wollte er erst auf einem kurzfristig anberaumten Treffen am Nachmittag zunächst die engste Parteiführung und danach das Präsidium von seiner Entscheidung informieren. Doch dann kamen Vorabinformationen aus dem neuesten Stern dazwischen, dem Gabriel seinen Rücktritt schon vor den Genossen erklärt hatte. Der Zeitplan war nicht mehr zu halten. Offiziell sollte der Spitzenkandidat – Frauen waren nicht im Gespräch – erst am Sonntag öffentlich vorgestellt werden.
Gabriels Gespräch im Stern geriet zur Abrechnung mit Angela Merkel. Er macht die Kanzlerin und Wolfgang Schäuble für einen „europäischen Scherbenhaufen“ verantwortlich. Erst hätte diese beim Sparen Franzosen und Italiener „gedemütigt“. „Und dann hat sie dort angeklopft, man möge doch einige Hunderttausend Flüchtlinge aufnehmen.“ Gabriels Schlussfolgerung: „Keinen zu fragen, aber hinterher von allen Solidarität zu verlangen, ist einfach naiv.“ Mit diesem Interview dürfte der Bundestagswahlkampf eröffnet sein – und zwar mit Knalleffekt.
Er wisse seit einigen Tagen von Gabriels Zweifeln, ob er der richtige Kandidat sei, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann nach der Sitzung. Für seine Entscheidung zolle er Gabriel Respekt. Dieser habe eigene Interessen zurückgestellt im Interesse der Partei. Oppermann dankte Gabriel für sein Verdienst, die Partei zusammengehalten zu haben. „Ich bin jetzt sehr zuversichtlich, dass wir den Wahlkampf erfolgreich bestreiten werden.“
Die Fraktionsmitglieder quittierten Gabriels Ankündigung in der Sitzung mit Standing Ovations: Ausdruck des Respekts gemischt wohl auch mit Erleichterung. Nicht nur Gabriel war im Zweifel, ob er der richtige Kanzlerkandidat war, auch in der Partei hatte es laut Mitgliedern schon seit Monaten heftige Diskussionen gegeben. Nicht zuletzt sprachen auch Gabriels schlechte Umfragewerte gegen eine Kanzlerkandidatur. Aber auch die Tatsache, dass Gabriel Anfang Februar erneut Vater wird, nährte die Spekulationen auf einen Rückzug.
Hoffnung auf Aufbruch mit Martin Schulz
Gabriel ist nach Willy Brandt der am längsten amtierende Nachkriegs-Parteichef der SPD. Er übernahm den Vorsitz der kriselnden Partei 2009, da war die SPD gerade aus der Großen Koalition abgewählt worden. Während der folgenden Jahre konnten die Sozialdemokraten in Landtagswahlen punkten, schafften aber die bundespolitische Trendwende nicht. Derzeit stagniert die Partei in Umfragen nahe der 20-Prozent-Marke.
Von Martin Schulz erhoffen sich viele Genossen nun einen Aufbruch. „Er ist ein großer Sympathieträger an der Basis“, sagte der thüringische Fraktionsvorsitzende Matthias Hey der taz. „Wir hoffen natürlich, dass er nicht nur innerparteilich viel aktivieren wird, an den Wahlkampfständen mitzuwirken, sondern auch nach außen hin wirkt.“
Der linke Flügel der SPD unterstützt die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz. „Jetzt kommt es überhaupt nicht auf rechte, linke Sozialdemokraten an“, sagte der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch. „Wir werden wie eine Eins, egal ob Seeheim oder Parlamentarische Linke, hinter Martin Schulz stehen und mit ihm, denke ich, einen tollen Wahlkampf machen.“
Martin Schulz ist Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises und steht damit eher den Parteirechten nah. Als langjähriger Präsident des Europaparlament hat sich Schulz aber auch den Ruf eines weltoffenen und zupackenden Liberalen erarbeitet.
Ein Achtungserfolg für die SPD
Seine Biographie passt hervorragend in die SPD und lässt sich wohl auch als Kanzlerkandidat gut vermarkten: als elfter Sohn eines Polizeibeamten in Würselen geboren, machte er Mittlere Reife. Nun hoffen wohl viele Sozialdemokraten, dass Schulz die Partei am Schopf aus dem Sumpf zieht, so wie einst sich selbst.
Schulz war schon seit längerer Zeit als möglicher Kanzlerkandidat im Gespräch, hatte aber stets betont Gabriel den Zugriff zu lassen. „Derjenige soll antreten, der die besten Chancen hat“, hatte Schulz immer wieder gesagt.
Gabriel und Schulz sind eng befreundet, ohne den Segen und die Rückendeckung Gabriels hätte Schulz die Aufgabe wohl nicht angenommen.
Ohnehin wird es für Schulz schwierig, Merkel herauszufordern. Ein Achtungserfolg wäre es wohl schon, wenn er die SPD wieder über die 30-Prozent-Hürde hieven könnte.
Medienberichten zufolge soll Gabriel seinen Chefsessel als Bundeswirtschaftsministerium räumen und strebt einen Wechsel ins Auswärtige Amt an. Als Bundeswirtschaftsministerin ist Brigitte Zypries im Gespräch, derzeit Staatssekretärin. Für sie wäre die Rochade in jedem Fall ein Aufstieg.
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