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Jura-Professor über Demo-Verbote„Fünf Meter Abstand“

Kay Waechter findet, Kundgebungen müssten auch während einer Seuche erlaubt sein, wenn sie Hygiene-Auflagen erfüllen.

Demo auf Abstand am Hamburger Hauptbahnhof: Die Polizei löste sie trotzdem auf Foto: Bodo Marks/dpa
Gernot Knödler
Interview von Gernot Knödler

Herr Waechter, auf welcher Grundlage kann der Hamburger Senat das Demonstrationsrecht einschränken?

Kay Waechter: An sich unterliegen Versammlungen nur dem Versammlungsgesetz. Das gilt aber nur für versammlungsbezogene Eingriffe. Eingriffe, die andere Ziele verfolgen – wie Infektionsschutz – sind nach den einschlägigen Gesetzen zu beurteilen. Also darf das Infektionsschutzgesetz angewandt werden. Grundsätzlich sind daher auch Demonstrationen nach dem Infektionsschutzrecht beschränkbar. Das wird indirekt bestätigt durch Artikel 11 des Grundgesetzes, nach dem die Freizügigkeit bei Seuchengefahr aufgehoben werden kann.

Reicht dafür ein Verwaltungsakt?

Da Artikel 8 des Grundgesetzes auch Eingriffe aufgrund eines Gesetzes erlaubt, muss der Eingriff nicht direkt durch Gesetz oder Rechtsverordnung erfolgen, auch eine Allgemeinverfügung auf gesetzlicher Grundlage des Infektionsschutzgesetzes oder einer Verordnung dazu kommt in Betracht.

Reicht der Rechtsweg gegen Allgemeinverfügungen oder ist das politisch naiv?

Im Interview: 

Kay Waechter, 65, ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie der Leibniz-Universität Hannover und Richter am Oberverwaltungsgericht Lüneburg.

Einschränkungen sind zulässig, aber es kann nicht sein, dass etwa bei einem Missbrauch des Infektionsschutzrechts Demonstrationen nicht mehr möglich sind. Infolgedessen ist die Verhältnismäßigkeit entscheidend. Damit kommt es auf den Einzelfall und seine Umstände an.

Was wäre denn verhältnismäßig?

Kundgebungen erlaubt

Der rot-grüne Hamburger Senat ist von seiner scharfen Haltung gegenüber Demonstrationen in Pandemie-Zeiten abgerückt.

Am Freitag hat eine Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus die bisherige Allgemeinverfügung abgelöst. Sie ermögliche es, Kundgebungen unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) auf der Landespressekonferenz.

Das gelte für Veranstaltungen mit wenigen Teilnehmern, die Abstand hielten, etwa Mahnwachen oder Versammlungen „die auf eine bestimmte Optik zielen“, wie Grote sagte. Auch dürfe es im Kontext einer solchen Versammlung nicht zu größeren Aufläufen kommen. (knö)

Ich sehe nicht, warum man eine Demonstration nicht unter Auflagen akzeptieren kann, wenn zu erwarten ist, dass diese Auflagen eingehalten werden. Das gilt für eine Ein-Mann-Demo wie für eine stellvertretende Demo von einem Dutzend Personen, die fünf Meter Abstand einhalten zu sich und Anderen. Demonstrieren ist nicht unwichtiger als Einkaufen.

Gerichte haben in Eilentscheidungen das Recht auf Gesundheit und Leben höher gewertet als das Demonstrationsrecht.

Probleme hätte ich, wenn zu erwarten wäre, dass Auflagen nicht eingehalten werden, weil es dann zu einer Konfrontation kommen könnte, die nicht im Sinne des Infektionsschutzes ist. Eine weitere schwierige Konstellation wären richtig große Demos, bei denen sich eine Eigendynamik entfaltet, die nicht mehr kontrollierbar wäre. Deswegen hätte ich unter normalen Umständen – also wenn das Infektionsschutzrecht nicht offensichtlich missbraucht wird – Bedenken, Großdemos zuzulassen. Aber das ist sicher schwer abgrenzbar und hängt auch von den Kenntnissen über Anmelder und Teilnehmer ab.

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7 Kommentare

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  • Grundsätzlich müßten Autokorso-Demos genehmigungsfähig sein, da diese per se den Abstand zueinander einhalten, den Seuchengesetz, bzw. den Auflagen entsprechen.



    Also auf, lasst uns Autokorsos veranstalten. Warum Mundschutz, nicht kleckern sondern klotzen. Jedem



    seine "Antivierenbox auf vier Rädern"

  • Wer ein wichtiges Anliegen hat, dass er auf einer Demonstration kundtun will, sollte nicht freiwillig auf ein wichtiges Grundrecht verzichten.

    Natürlich müsste eine Demonstration sehr gut organisiert sein, so dass stets die Abstände eingehalten werden. Machbar z.B. mit einem Bindfaden zu den Demo-Nachbarn.



    Höchste Disziplin wäre erforderlich.



    Der Vorteil: Der Demonstrationszug würde extrem verlängert - und hätte eine interessante Optik ...

    Auch wenn schon Demos abgelehnt wurden, wäre eine Anmeldung einer Demonstration und hartnäckiges Beharren schon deshalb lohnend, weil es um die Verteidigung eines Grundrechtes geht. Das sollte thematisiert werden.



    Und mit einem Ablehnungsbescheid nebst Begründung könnte man das Verbot vom Verfassungsgericht prüfen lassen ...

    • @Fro:

      Ich hoffe, das auf dem Rechtsweg Klarheit kommt, wenn selbst Karlsruhe ablehnt, kann man immer noch nach Strassburg gehen. In totalitären Staaten hat man den Protest durch Kleidungsstücke im Alltag, durch Farben, ausgedrückt. Mundschutz mit Protestaufdruck, Schals des Lieblingsbundesligavereins, die gelbe Sonne des AKW Widerstands, Autoaufkleber, es dürften viele Formen des Protest im Alltag möglich sein, beim Einkaufen, beim Tanken, Autofahren, etc., die immer noch legal sein müssen, es sei denn der Staatsgewalt geht es darum Protest per se zu unterdrücken. Es müssen ja keine Gelbwesten sein. Es muß auch noch möglich sein jetzt gegen unverhältnismäßige Maßnahmen zu protestieren. Und wenn man im Autokino Konzerte veranstalten kann, warum keine Kundgebung, keinen Gottesdienst?

      • @Chris72:

        Klar kann man das. Durchschnittliche Verhandlungsdauer in Straßburg bis zur Entscheidung derzeit: Fünf Jahre!

  • Es dürfte schwierig sein, die Abstandsregeln bei einer Demo einzuhalten bzw. zu kontrollieren. Denn die mindestens 1,5 m gelten für den Radius eines Menschen. Solange die Menschen gesittet durch Straßen laufen, ginge da vielleicht. Aber sobald es zum Stillstand, etwa bei einer Abschlusskundgebung kommt, werden große Flächen benötigt. 5 Leute in einer Reihe brauchen eine Fläche von 18 m in der Breite (jeweils 1,5m links und 1,5m rechts von jeder Person). Dann kommt nochmal pro Reihe 1,5m vor und 1,5m nach jeder Person. Zwei Reihen mit jeweils 5 Demonstranten würden eine Fläche von 4,5m x 18m = 81qm benötigen. Das kann man dann entsprechend hochrechnen, wieviel qm Fläche bei 1000 Demonstranten und mehr benötigt werden. Hinzu komt, dass keiner mit einem Zollstock rumläuft und den Abstand nachmisst. Nein, eine Massenveranstalung wie eine Großdemo ist in Zeiten von Corona schwer akzeptabel. Vielleicht kann man ja eine virtuelle Demo organisieren.

    • @Jossi Blum:

      Man könnte sich eine sehr großen Hula-Hup-Reifen mit so Hosenträgern umhängen. Wenn man sich gegenseitig anstößt, ist das ein Foul.

    • @Jossi Blum:

      Deine Mathematik ist von Anfang bis Ende falsch. Wenn Fünf Menschen nebeneinander stehen möchten braucht man eine Fläche von (6 x 1,5) 9 Metern auf 3 Metern, sprich 27m². Zwei Reihen a 5 Demonstranten Bräuchten (9 x 4,5) 40,5m². Für 1000 Demonstranten, nimmt man z.B. eine Aufreihung von 20 in der Breite und 50 in der Länge, wären es gerade einmal 31,5m auf 76,5m, sprich knapp 2410m². Das ist in etwa ein drittel eines normalen Fußballfeldes, wenn man auf gängigere Einheiten zurückgreifen möchte.

      Und bei den ganzen Rechnungen oben müsste man theoretisch die abgerundeten Ecken noch abrechnen.