Junge Menschen und die DDR: Um Einheit steht’s 3/4 zwölf
Unser Autor ist 2005 geboren, 16 Jahre nach dem Mauerfall und dem Ende der DDR. Warum er trotzdem ein Ossi ist.
„Ossi“ – wer dieses Wort hört, denkt wohl oft an ähnliche Dinge: wie Trabants versteigert und rote Halstücher gebunden werden. Wie am Abend Viba genascht wird, dazu vielleicht ein Schluck Rotkäppchensekt, je nachdem, wo man aufgewachsen ist.
Und an dieser Stelle sollte man statt vom Osten wohl eher von der DDR sprechen. Für den Großteil der Menschen ist mit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) etwas Vergangenes gemeint – etwas Altes, Ausgedientes, ein schwarzer Fleck in der deutschen Geschichte, den meine Generation heute eigentlich nur noch aus Büchern kennen sollte. Doch Viba, eine Süßwarenmarke aus dem ehemaligen Sowjetdeutschland, hat bis heute überlebt. Und ebenso die Wut auf den Westen.
Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden
„Zu DDR-Zeiten …“ beginnen meine Eltern oft ihre Geschichten. Sie schwärmen dann von der Disziplin, Stabilität und Wertschätzung, an die sie sich erinnern. Werte, die eine große Bedeutung haben für Menschen, deren Weg vom Staat vorgezeichnet war. Belohnt wurde Pflichtbewusstsein, und dazu gehörte auch, sich mit wenig zufriedenzugeben.Die Wende bedeutete für viele aus meiner Eltern- und Großelterngeneration einen Systemwechsel: Ganze Regionen wurden demontiert, also Unternehmen aufgelöst, Fabriken und Bürogebäude abgerissen oder umgebaut und Ausbildungen aberkannt. Viele haben ihre Jobs verloren, waren verwirrt und überfordert. Das waren die ersten Erfahrungen, die meine Eltern und Großeltern mit dem demokratischen Westen gemacht haben.
Die Folge: ein kollektives Trauma
Auch mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall fällt es ihnen schwer, sich in der Demokratie und im Wohlfahrtsstaat zurechtzufinden. Der Mangel der DDR und die Verlusterfahrungen der BRD haben sie geprägt. Sie fühlen sich fremd. Meine Großeltern verstehen das Schulsystem nicht, meine Eltern nichts von Politik. Mit der Wende haben sie die Stabilität ihres gewohnten Lebens verloren.
Die Folge ist ein kollektives Trauma, in dessen Schatten ich und viele andere in meinem Alter aufgewachsen sind – und das auch noch isoliert im infrastrukturarmen Großraumfunkloch Thüringen. Menschen, die in ihrer Jugend Angst vorm Wehreinzug und der Stasi hatten, vermitteln ihren Kindern andere Werte. Meine Eltern sind misstrauisch und suchen Stabilität. Es verunsichert sie, dass ich in eine weit entfernte Stadt ziehen und auf Reisen andere, fremde Kulturen kennenlernen will. Sie wünschen sich, dass ich bald heirate und ein Haus baue – stattdessen studiere ich Kommunikations- und Medienwissenschaft, von denen sie nicht einmal begreifen, was es ist.
Nicht nur von meinen Eltern, sondern von meiner ganzen Region wurde ich geprägt. Als Ossi hat man das Gefühl, überall subtil diskriminiert zu sein. Klar, haben wir genau wie die Wessis Smartphones, Bananen und die Möglichkeit, Japanologie in den USA zu studieren. Aber Arbeitsplätze und Eigentum fehlen nach wie vor. Die Menschen hier fühlen sich weder von der Wirtschaft noch von der Politik gesehen und abgeholt. Die Jugendlichen fahren Simson, trinken Turbine und schreiben nach der 10. Klasse BLF-Prüfung – ach ja, der Wessi kriegt seinen Realschulabschluss ja geschenkt.
„Die Familie schimpfte immer über die Wessis“
All den Frust und das Unverständnis haben unsere Eltern an uns weitergegeben. Wie sollen Eltern ihre Kinder demokratisch erziehen, wenn sie selbst nicht wissen, was das heißt? Meine gesamte Kindheit über habe ich mitbekommen, wie die Verwandtschaft über die Wessis geschimpft hat. Und wenn im Dorf ein Laden nach dem anderen schließen muss, weil alle lieber in den Westen gehen – das frustriert.
Vielen von uns jungen Ossis fällt es deshalb heute schwer, das System, das unseren Eltern übergestülpt wurde und das sich Demokratie nennt, zu unterstützen oder es gar zu verteidigen. Warum auch, solange ostdeutsche Gemeinden schlechter angebunden sind, ostdeutsche Kinder anders ausgebildet und ostdeutsche Angestellte schlechter bezahlt werden und mehr arbeiten? Für Handyempfang musste ich zu Hause auf den Hof gehen, ins Internet kam ich nur neben dem Komposthaufen. Wir jungen Menschen leben noch immer in diesen teils fehlerneuerten Strukturen und man erwartet von uns, dass wir so tun, als wäre das alles in Ordnung. Nein, das ist es nicht.
Viele Ossis drücken ihren Frust an der Wahlurne aus. Der demokratischen Jugend, die noch nicht wählen darf, bleibt nicht viel, außer zu protestieren. Und das tun wir auch, zum Beispiel indem wir uns zum Ossi-Sein bekennen. Denn Politik und Gesellschaft dürfen nicht vergessen, was wir nach 35 Jahren noch nicht geschafft haben: ein geeintes, gleiches, gleichberechtigtes Deutschland.
Als Dorfkind im nordthüringischen Kyffhäuserkreis aufgewachsen, wird Mika Schlegel, 19 Jahre alt und studierend in Leipzig, bei der Produktion von Beiträgen für’s Lokalradio immer noch von der Ausbilderin angewiesen, Hochdeutsch zu sprechen. Nach sieben Rhetorikkursen ist Mika wohl ein hoffnungsloser Fall.
ILLUSTRATION: Als 27 Jahre alte Erfurter Puffbohne kullert Nina Kolarzik durch die Weltgeschichte und kehrt immer wieder zu dem Vertrauten und den Abenteuern in der Heimat zurück. Mag keinen Senf und gleicht dies mit einer Vorliebe für Klöße und Viba Nougat wieder aus.
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