Josef Stalin und Georgien: Ein Geschenk Gottes
Im Dorf Sikilija ist die Verehrung für Stalin groß. Jetzt haben ihm die Bewohner ein Denkmal errichtet. Sogar einstige Opfer der Repression freut das.
Guram ist stolz, dass er einer der Initiatoren ist. Zwar ist jede sowjetische und nazistische Symbolik per Gesetz verboten. Doch mittlerweile finden sich vergleichbare Gedenkstätten in vielen Regionen Georgiens. 2018 drohte die Regierung, derartige Umtriebe gerichtlich zu verfolgen. Doch bis jetzt ist es bei der Ankündigung geblieben.
„Sie können dieses Denkmal entfernen. Aber Stalin können sie uns Georgiern nicht nehmen“, sagt Guram. Trotz seines Alters geht er aufrecht und festen Schrittes durch das Dorf. Die anderen Bewohner nicken ihm respektvoll zu.
Vor 75 Jahren wurden Gurams Familie sowie rund 100 weitere georgische Familien von der Sowjetmacht in diesem Dorf angesiedelt. Zuvor war die ursprüngliche Bevölkerung, muslimische Mezchetinzen, nach Usbekistan vertrieben worden.
Per se verdächtig
Diese Aktion war lediglich ein Teil der Massendeportationen aus Samzche-Dschavacheti, die Stalin 1944 befohlen hatte. An die 100.000 Menschen wurden mit Zügen nach Zentralasien verbracht. Als Muslime aus einer Region, die lange unter türkischer Herrschaft gestanden hatte, galten sie der sowjetischen Führung per se als verdächtig.
Erst 1999, nachdem Georgien Mitglied des Europarates geworden war, verpflichtete sich Tiflis, diesen Menschen die Rückkehr zu ermöglichen. Bis ein entsprechendes Gesetz verabschiedet wurde, vergingen weitere acht Jahre. Doch darin waren keine staatliche Hilfen vorgesehen. „Für diese Leute fühlt sich niemand zuständig. Der Staat kümmert sich nicht um sie, da er es ablehnt, Verantwortung für diese Verbrechen zu übernehmen“, sagt die Historikerin Zira Mezchischwili.
Sie hat vor über zehn Jahren die Nichtregierungsorganisation Tolerant gegründet, die versucht, die Rückkehrer zu unterstützen. Von 3.000 Personen sind jedoch lediglich 32 Familien zurückgekommen. „Ich glaube, dass für die meisten von ihnen vor allem die moralische Rehabilitierung wichtig ist. Denn das Land, in das sie zurückkehren sollen, ist vor 30 Jahren verschwunden“, sagt sie.
Doch Rückkehr und Integration werden auch durch die ablehnende Haltung der Bevölkerung erschwert. Islamophobie und Xenophobie sind nach wie vor ein großes Problem. In Tiflis und anderen Regionen Georgiens laufen Ultranationalisten regelmäßig zu einem „georgischen Marsch“ auf, bei dem sie gegen Menschen aus muslimischen Ländern hetzen.
Viele Jahre gewartet
Doch einige der Rückkehrer sind trotzdem zufrieden. Wie Rejs Mansulov, der in dem Nachbardorf Klde lebt, 12 Kilometer von Sikilija entfernt. „Darauf habe ich viele Jahre gewartet“, sagt der 86-Jährige und lächelt. Er erinnert sich noch gut an das Jahr 1944. „Sie verfrachteten uns in Waggons. Die hatten keine Fenster und es war eiskalt. Überall waren Wanzen. Viele erfroren, die Leichen wurden einfach aus dem Zug geschmissen“, erzählt Rejs.
Doch trotz dieser schrecklichen Erlebnisse lässt er auf Stalin nichts kommen und findet die Errichtung der Gedenkstätte richtig. „Stalin war ein guter Mensch“, sagt er, nickt eifrig, sein grauer Bart zittert. „Er hat uns nichts Schlechtes angetan. Und es war doch Krieg.“
Schätzungen zufolge gehen die Opfer der Stalinschen Repressionen in die Millionen. Mit ihnen hat Guram kein Mitgefühl. Die unzähligen Opfer des Massenmordes hat er Stalin längst verziehen. Aber Muslimen vergeben, die einen georgischen Nachnamen tragen, das kann er nicht.
„Ja, Menschen wurden deportiert und erschossen, aber die Zeiten waren eben so. Das Wichtigste ist doch, dass wir dank Stalin überlebt haben und der Faschismus nicht gesiegt hat“, sagt er. Seine hellbraunen Augen werden feucht und er wendet schnell den Blick ab.
Private Spender
Am Rande des Dorfes erhebt sich auf einem Hügelchen eine kleine orthodoxe Kirche. An ihr werkelt Guram bereits seit zehn Jahren herum. Den Bau haben private Spender finanziert. „Das ist die wichtigste Sache, die ich in meinem Leben gemacht habe“, sagt er. Hilfe habe er von einem „guten Menschen“ erhalten, der jetzt in Moskau lebe.
Doch die Kirche ist nicht das einzige religiöse Gebäude im Dorf. An einer alten verfallenen Moschee im Zentrum hängt eine Tafel. Die Moschee stehe unter dem Schutz des Staates, heißt es dort „Wäre Stalin nicht gewesen, wäre diese Erde jetzt nicht georgisch. Einige wollten in unser Dorf zurückkehren, doch wir haben gesagt: Wenn ihr hier leben wollt, nehmt den orthodoxen Glauben an.“
Guram und Rejs sind mit ihrer Meinung nicht allein. Der „Führer“ Stalin ist in ganz Georgien sehr beliebt. Laut einer Umfrage des Carnegie-Zentrums von 2012 (jüngere Untersuchungen gibt es nicht) bewerten 45 Prozent der Georgier Stalin positiv.
Der 32-jährige Tifliser Historiker Irakli Chvadagiani, der seit über zehn Jahren über die sowjetische Vergangenheit forscht, hat so seine eigene Interpretation für diese Nostalgie. Ihm zufolge habe die sowjetische Propaganda um Stalin herum eine Vielzahl von Mythen aufgebaut, an die die Menschen bis heute glauben.
Guram lädt zu sich nach Hause ein. Über dem Tisch im Wohnzimmer hängt ein Stalin-Porträt aus Metall. Er füllt zwei Gläser mit selbst gemachtem Wein. Dann bringt er den ersten Trinkspruch aus. „Ich trinke auf Gott“, sagt er. „Auf Gott, der Stalin diesem Land und der ganzen Welt geschenkt hat.“
Aus dem Russischen Barbara Oertel
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