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Jahresauftakt der Linkspartei„Haltung einnehmen und handeln“

Beim Jahresauftakt der Linkspartei ruft ihr Präsidentschaftskandidat Gerhard Trabert zum Widerstand gegen ungerechte und unsoziale Politik auf.

Bundespräsidentschaftskandidat Trabert: „Wir müssen in Solidarität mit den Menschen handeln“ Foto: Andreas Arnold/dpa

Berlin taz | Der politische Jahresauftakt der Linkspartei beginnt erst einmal mit einer Panne, wie bezeichnend. Aus Mainz zugeschaltet, hat Gerhard Trabert zwar einiges zu sagen, doch zu hören ist der 65-jährige Sozialmediziner die erste halbe Minute nicht. Aber immerhin ist dann das Malheur behoben. Wenn sich die vielen anderen Probleme der Linkspartei nur auch so schnell und einfach lösen ließen.

Die Nominierung des parteilosen Trabert als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vor einer Woche war eine Entscheidung, die der zerzausten Partei kaum mehr zuzutrauen war. Als „Botschafter unserer Vision der unteilbaren Solidarität“ präsentiert ihn am Samstag Linken-Vorständlerin Melanie Wery-Sims, die gemeinsam mit Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler die coronabedingt rein digitale Veranstaltung aus dem Karl-Liebknecht-Haus moderiert.

Soziale Gerechtigkeit sei „die Bewährungsprobe einer jeden freiheitlichen Demokratie“, sagt Trabert in seiner Rede. „Wir müssen hinschauen, wir müssen Haltung einnehmen und wir müssen handeln“, fordert der Arzt, der seit Jahrzehnten in der Gesundheitsversorgung von Obdachlosen und Geflüchteten arbeitet. Er kandidiere „für die Menschen, die in unserer Gesellschaft zu wenig gehört und gesehen werden“. Gegen ungerechte und unsoziale Politik müsse „noch vehementer Widerstand“ geleistet werden. „Und wir müssen in Solidarität mit den Menschen handeln.“

Eindringlich ruft Trabert zu mehr Sprachsensibilität auf. Er appelliert, „niemals von sozial schwachen Menschen zu reden“, wenn einkommensschwache, sozial benachteiligte Menschen gemeint seien. Denn ihnen müsse mit Respekt und Würde begegnet werden. „Sozial schwach“ sei nicht die alleinerziehende Mutter, sondern „der Unternehmer, der unter Umgehung der Mindestlöhne in Bangladesch seine Produkte produzieren lässt“.

Scharfe Kritik an innerparteilichen Recht­ha­be­r:in­nen

Nachdem Trabert Argumente dafür geliefert hat, warum es einer ausstrahlungskräftigen Partei links der Ampelkoalition bedarf, gibt die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow einen Einblick, warum es der Linken genau an dieser Ausstrahlungskraft fehlt. Die Partei sei nicht erst seit dem Debakel bei der Bundestagswahl, bei der nur dank dreier Direktmandate knapp der Wiedereinzug ins Parlament gelang, in einer tiefen Krise. „Der Kern dieser Krise ist die Unfähigkeit, die vielfältigen Blockaden und Formelkompromisse zu lösen, die eine pluralistische Partei wie von selbst produziert“, sagt Hennig-Wellsow.

Erforderlich seien „mehr solidarische Selbstkritik und mehr Debatte“, wobei „ehrlich, aber pfleglich“ miteinander umgegangen werden sollte. Genau daran mangelt es allerdings. „Sprechen wir uns also zuallererst nicht gegenseitig Moral und Würde ab“, fordert die 44-jährige Thüringerin. Scharf kritisiert sie „diejenigen, die jetzt meinen, nur allein noch mehr von ihrem eigenen Rechthaben bringt die Linke wieder nach vorne“.

Hennig-Wellsows eindringliche Warnung: „Eine Politik der verschränkten Arme, eine Wir-wissen-es-Haltung mag uns noch selbst eine gewisse Zeit mehr schlecht als recht ernähren, aber als Partei haben wir mit selbstgefälligen Gewissheiten weder eine Zukunft noch strahlen wir damit eine Neugierde aus.“

Wie schwer der Linkspartei solidarische Umgangsformen untereinander fallen, zeigt der Parteiaustritt der früheren DDR-Wirtschaftsministerin und PDS-Bundestagsabgeordneten Christa Luft. Es sorge bei ihr für „großen Unmut“, dass nach dem „vollkommen missratenen“ Bundestagswahlkampf immer noch nicht der „Anflug einer Analyse einschließlich Selbstkritik zur Aufklärung der Ursachen des Scheiterns“ vorliege, schreibt die 84-Jährige in ihrem mehrseitigen Austrittsschreiben. In der Partei gebe es „keine Debattenkultur und keine Mitgliederpflege“, konstatiert Luft und beklagt „unnötige, belastende, oft rechthaberische Auseinandersetzungen“. Deutliche, bittere Worte.

„Wir können nicht weitermachen wie bisher“, sagt die Co-Vorsitzende Janine Wissler am Samstag. „Wir brauchen eine Erneuerung unseres Gründungskonsenses.“ Die Linke werde „gebraucht als moderne Gerechtigkeitspartei“. Das jedoch ist zurzeit nichts weiter als ein hehrer Anspruch, der wenig mit ihrem realen Zustand zu tun hat.

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16 Kommentare

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  • „Wir können nicht weiter machen wie bisher“ = Alle bleiben auf ihren Posten kleben und sprechen von solidarischer Selbstkritik (aber natürlich bitte ohne Folgen). Das das den handelnden Personen wie Bartsch etc. nicht selber peinlich ist, ist mir ein absolutes Rätsel…

  • Wie kann man über diese Veranstaltung berichten ohne ein Wort der Kritik an Traberts Holocaust-Vergleich? www.zeit.de/politi...ationalsozialismus

    • Pascal Beucker , Autor des Artikels, Inlandsredakteur
      @Ruediger:

      Ganz einfach: Weil die Kritik gänzlich unberechtigt ist. Trabert hat keinen Holocaust-Vergleich gemacht. Was er allerdings gemacht: einen Hinweis auf die skandalöse Tradition des Wegschauens gegeben.

      • @Pascal Beucker:

        Natürlich wird da verglichen. Und der Vergleich ist falsch. Die Lage der syrischen Flüchtlinge ist ohne Zweifel schlimm, aber es gibt keinen Holocaust an syrischen Flüchtlingen, schon gar nicht von uns Deutschen, im Gegenteil, Deutschland hat sehr viele Flüchtlinge aufgenommen und Traberts Linkspartei wäre die letzte, die dazu bereit wäre, im Sinne dieser Menschen in Syrien einzugreifen. Das muss er Assad und Putin sagen. Schon gar nicht ist die Situation ärmerer Menschen in Deutschland mit der von Juden unter den Nazis vergleichbar, auch wenn sie eine niedrigere Lebenserwartung haben und man über die Ursachen sprechen muss (aber dann auch ehrlich, da geht es dann auch um erhöhten Alkohol- und Nikotinkonsum, weniger Bereitschaft, sich gesund zu ernähren usw.)



        Solch Äußerungen sind zum einen nicht zielführend, weil sie den Betroffenen überhaupt nicht helfen und eine lösungsorientierte Debatte eher verhindern, zum anderen verbieten sie sich, zumal von jemandem, der Bundespräsident werden will, weil sie letztlich den Holocaust verharmlosen. Wer nicht in der Lage ist, anders auf seine Themen aufmerksam zu machen, der ist für das Amt nicht geeignet.



        Nun mögen Sie, lieber Herr Beucker, das anders sehen, ich hätte es interessant gefunden, wenn sie die umstrittene Äußerung von Traberts mit einem Kommentar bedacht hätten, das hätte sicher auch von andern viel Aufmerksamkeit, Widerspruch und Zustimmung erzeugt. Aber diese Äußerung in einem Bericht nicht einmal zu erwähnen, finde ich ziemlich schwach.

      • @Pascal Beucker:

        Guten Tag Herr Beucker. Der genaue Wortlaut von Herrn Trabert in der Rede lautete: "Wie damals viele Deutsche wussten, was mit den Juden geschieht, ist es heute so, dass wir wissen, was mit geflüchteten Menschen im Mittelmeer, in libyschen, in syrischen Lagern geschieht." Wieso ist DAS kein Vergleich?! Sie könnten meinetwegen argumentieren, dass (so hat es auch Trabertgemacht) dies keine Gleichsetzung darstellen sollte, ein Vergleich bleibt es trotzdem und ein unangebrachter noch dazu. Den Hinweis auf "skandalöses Wegschauen" hat er anschließend in Bezug auf die Kritik seiner Äußerung gebracht. Einen Vergleich zwischen der Flüchtlingssituation im Mittelmeer und dem damaligen Leid der Juden im 3. Reich kann man machen, muss sich dann aber auch die (meiner Meinung nach gerechtfertigte) Kritik gefallen lassen.

      • @Pascal Beucker:

        Das Zitat "Wie damals viele Deutsche wussten, was mit den Juden geschieht, ist es heute so, dass wir wissen, was mit geflüchteten Menschen im Mittelmeer, in libyschen, in syrischen Lagern geschieht. Wir wissen, wie die Armut zunimmt, wir wissen um die erhöhte Sterberate von armen Menschen auch hier in Deutschland. Wenn man das reichste mit dem ärmsten Viertel vergleicht, sterben arme Frauen 4,4 und arme Männer 8,6 Jahre früher. Das ist alles ein Skandal."

        Stellt ja schon bewusst die heutige Ignoranz in den Nazi-Analogie.



        Es wäre auch ohne diese Anleihe gegangen und es wäre damit stärker gewesen. Es ist halt nicht hilfreich zu sagen, ihr verhaltet sich heute analog zu den Nazis. Ist einfach kommunikativ blöd.

        • Pascal Beucker , Autor des Artikels, Inlandsredakteur
          @J_CGN:

          Ja, kommunikativ ist es möglicherweise blöd, die heutigen Generationen darauf hinzuweisen, dass ihre Vorfahren auch schon weggeschaut haben, als sie hätten hinschauen müssen. Damit hat Trabert übrigens nicht gesagt, sie würden sich heute analog zu den Nazis verhalten, sondern erinnerte an die Unzähligen, die erst weggeschaut hatten und später nichts gewusst haben wollten. Sein Wortlaut ist da übrigens ganz eindeutig: Trabert vergleicht nicht die Situation der Juden im Nationalsozialismus mit der der Flüchtlinge im Mittelmeer, sondern verweist eben auf die skandalöse Kontinuität des Wegschauens innerhalb der deutschen Bevölkerung. Mögen manche nicht hören und interpretieren dann halt um: eine künstliche Aufregung, die nur vom eigentlichen Inhalt seiner Rede ablenkt. Wo Sie recht haben: Trabert hätte dieser Anfangspassage nicht bedurft, um seinem humanitären und sozialen Anliegen Nachdruck zu verleihen. Ich jedenfalls fand sie so verzichtbar, dass ich sie nicht erwähnt habe, da ich Wiedergabe der Grundaussagen in seiner Rede wichtiger fand.

          • @Pascal Beucker:

            So isses. Zumal, wie schon angedeutet, die Kritik ja nur aus einer bestimmten Ecke kommt, mit einer ebenso durchsichtigen wie fragwürdigen Intention.

    • @Ruediger:

      Das stimmt. Das muss unbedingt erwähnt werden. Zumal die Kritik von einem FDP-Vogel kommt.

  • Diese sogenannte „Erneuerung“ und „Neuausrichtung“ der Partei könnte der letzte Pflasterstein auf dem Weg zur Bedeutungslosigkeit gewesen sein.



    Das sind die gleichen Phrasen wie vor der Bundestagswahl und wohin das geführt hat, hat man ja gesehen.



    Wenn die Links Partei überhaupt irgendwie noch wahrgenommen werden will außer mit dem Schlagwort „ach die die aus der NATO wollen“ muss etwas her was keine andere Bundestags Partei bisher vertritt und ein Alleinstellungsmerkmal darstellen würde.

    Die Rede ist vom Bedingungslosem Grundeinkommen.



    Nur so kann man die sozialen Disruptionen die sich noch verschlimmern werden auffangen und ein ganz anderes Menschenbild prägen. Ein nach vorne gewandtes.

    Die Linkspartei muss die nächsten vier Jahre DAS als Hauptthema immer wieder auf die Agenda bringen und eine Vorreiterrolle einnehmen.



    Denn ehe es man sich versieht könnten andere Parteien im Laufe der nächsten Jahre auf diesen Zug aufspringen und man hätte als Partei eine historische Chance verpasst den Weg in die Bedeutungslosigkeit doch noch abzuwenden.

  • "Wir müssen in Solidarität mit den Menschen handeln"; so sollte der Vertreter des Volkes sich zeigen und handeln, Herr Steinmeier. In der Jetztzeit leben und nicht laufend Kniefälle vor abgeschlossen Vergangenem machen. Die Kniefälle beseitigen nicht die anstehenden Probleme wie Klimaschutz, Flüchtlingswelle, soziale Missstände etc..

    • @palu:

      "... nicht laufend Kniefälle vor abgeschlossen Vergangenem machen." ... was meinen Sie denn konkret damit?

      Oder wollen Sie die Anschlussfähigkeit nach Rechtsaußen herstellen?

    • @palu:

      Wie soll denn ihrer Vorstellung nach jemand der ein weitestgehendst repräsentatives Amt besetzt und deshalb politisch vor Allem mit moralischen Appellen wirken kann "die anstehenden Probleme wie Klimaschutz, Flüchtlingswelle, soziale Missstände etc.." "beseitigen"?

      • @Ingo Bernable:

        Naja. Er könnte zumindest mehr tun, als nichtssagende, sedierende Reden zu halten.



        Aber das wäre von jemandem wie Steinmeier wirklich zuviel verlangt.

      • @Ingo Bernable:

        Mit deutlichen Forderungen an die Parteien, die ihn gewählt haben, um den öffentlichen Druck zu verstärken oder, je nach Thema, auch zu initiieren.

    • @palu:

      Nun sind Kniefälle aber sein Job, schließlich hat er nur repräsentative Funktion.

      Für politische Entscheidungen ist er nicht da.