Ist grüner Extraktivismus eine Lösung?: Ökosystem aus dem Gleichgewicht
Chiles Diktator Pinochet nahm den Indigenen ihr Land. Sie sollten Platz machen für den Rohstoffabbau. Der dient jetzt der Energiewende im Norden.
Das Wort Chuquicamata hat seinen Ursprung in der Sprache der Indigenen Aymara, die heute in Chile, Peru und Bolivien leben. Sie wurden Opfer einer Kampagne der chilenización („Chilenisierung“) im 20. Jahrhundert, die während der Diktatur Pinochets ihren Höhepunkt erreichte. In den Schulen und beim Militärdienst sollte ihre kulturelle Identität ausgelöscht werden, um sie gewaltsam in die chilenische Nation einzugliedern.
Dort, wo die Indigenen über Jahrtausende friedlich lebten, werden heute Rohstoffe abgebaut, um sie in die Welt zu exportieren. Der Bergbau ist der wichtigste Wirtschaftszweig Chiles, und er konzentriert sich in den Regionen im Norden des Landes: Tarapacá, Antofagasta, Atacama und Coquimbo. Chile ist der größte Kupferproduzent der Welt und Kupfer ist das wichtigste Exportgut des Landes.
Die Nachfrage boomt. Laut deutschen Rohstoffagentur wird sich der globale Kupferbedarf bis 2035 verdoppeln. Das ist auch eine Folge der Energiewende: Die Elektrifizierung des Verkehrs, der Ausbau erneuerbarer Energien und des Ladenetzes für E-Autos sowie deren Batterien geht einher mit einem steigenden Kupferbedarf. Denn Kupfer leitet Strom und Wärme und ist deshalb ein zentraler Bestandteil von Kabeln.
Schlüsselrohstoff Lithium
Etwa die Hälfte des chilenischen Kupfers wird nach China exportiert. Chile exportiert lediglich den Rohstoff, in China wird das Metall weiterverarbeitet. Der chinesische Autokonzern BYD ist zum größten Elektroautohersteller der Welt aufgestiegen. Auch Deutschland importiert Kupfer aus Chile. Hauptabnehmer des Kupfers ist der Fahrzeugbau, gefolgt von der Bau- und der Elektronikindustrie. Der deutsche Kupferverband bezeichnet Kupfer als „Metall der Energiewende“.
Der Text ist am 8. September 2023 als Teil einer achtseitigen Chile-Beilage in der taz erschienen. 50 Jahre ist es her, dass in Chile ein von den USA unterstützter Militärputsch am 11. September 1973 der demokratisch gewählten Regierung des Sozialisten Salvador Allende ein jähes Ende setzte. Mehr als 3.000 Menschen kamen während der folgenden Diktatur (1973 – 1990) ums Leben, noch mehr wurden inhaftiert, gefoltert und ins Exil getrieben. Die taz Panter Stiftung nimmt das Jubiläum zum Anlass, um zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und unterstützt von der Stiftung Umverteilen an die damaligen Geschehnisse zu erinnern und zugleich zu fragen, wie die Ereignisse vor 50 Jahren die gesellschaftlichen Verhältnisse von heute beeinflussen. Einige Texte wurden auch auf Spanisch veröffentlicht.
Chile verfügt über einen weiteren Schlüsselrohstoff für die Energiewende: Lithium. Die weltweit größten bekannten Lithiumreserven schlummern im Untergrund der Salar de Atacama, einer Salzwüste im Norden des Landes. Lithium befindet sich aufgelöst in Salzwasser unter der Wüstenerde und wird in riesige Becken gepumpt. Die Flüssigkeit verdunstet unter der glühenden Sonne und Lithium bleibt zurück.
Chiles Präsident Gabriel Boric will in Allendes Fußstapfen treten und ein staatliches Lithiumunternehmen schaffen, damit der Lithiumboom mehr Einnahmen für den Staat schafft. Bisher haben zwei private Konzerne die Abbaulizenzen in der Atacama: der US-Konzern Albermarle und das chilenische Unternehmen SQM, dessen Hauptaktionär Pinochets Schwiegersohn ist. Die Lizenzen gelten noch für mindestens zehn Jahre, vorher könnte ein staatliches Unternehmen – wenn der Gesetzentwurf überhaupt vom Parlament angenommen wird – kein Lithium in der Wüste fördern.
Auch das chinesische Unternehmen BYD hat Abbaulizenzen in Chile erworben und will außerdem eine Batteriefabrik bauen, die 2025 in Betrieb gehen soll. Bisher exportiert Chile Lithium als Rohstoff, produziert aber keine Batterien.
Energiewende im Norden, Extraktivismus im Süden
Unabhängig davon, ob der chilenische Staat oder ausländische Konzerne Lithium im Salar de Atacama fördern, wirkt sich der Abbau auf die Umwelt und die indigenen Gemeinden vor Ort aus. Zwar scheint die Wüste auf den ersten Blick wie ein Ort ohne Leben zu sein, aber sie beherbergt ein komplexes Ökosystem und ist das Zuhause der Indigenen Atacameños oder Likan Antai in ihrer eigenen Sprache. Ihre Vorfahren lebten bereits vor mehr als 10.000 Jahren in den Oasen der Wüste Atacama und passten sich an die schwierigen Lebensbedingungen an.
Der Lithiumabbau verschlingt die ohnehin knappen Wasserressourcen in der Wüste, das gefährdet die Lebensgrundlage der indigenen Gemeinden und bringt das Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Der Präsident des Rats der Atacameños, Vladimir Reyes, kritisiert Boric dafür, dass er die indigenen Gemeinden nicht an der nationalen Lithiumstrategie der Regierung beteiligt und das Problem der Wasserknappheit nicht berücksichtigt.
Die Klimakrise hat in den Industrieländern im Globalen Norden, die am meisten Treibhausgase verursachen, die Notwendigkeit einer Energiewende ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Im Globalen Süden kritisieren soziale Bewegungen und Indigene den grünen Extraktivismus in ihren Ländern: die Ausbeutung und Aneignung von Natur und Rohstoffen zum Zweck einer neoliberalen Energiewende, die Marktinstrumente und technologische Innovationen als Lösungen betrachtet.
Auch wenn der Energiesektor auf erneuerbare Energien umstellt und Autos mit Verbrennungsmotoren durch E-Autos ersetzt werden – was zweifellos notwendig ist –, ändert das nichts an der hohen Nachfrage nach Energie, die die kapitalistische Produktions- und Konsumweise verursacht. Und dafür tragen die Länder des Globalen Nordens eine besondere Verantwortung – denn sie sind es, die am meisten davon profitieren.
Die Nachfrage nach Rohstoffen steigt rasant
Die sozialen und ökologischen Kosten ihrer Lebensweise hingegen tragen die Länder im Globalen Süden, zu denen Chile gehört. Denn solange der globale Energiebedarf nicht sinkt, steigt die Nachfrage nach Rohstoffen weiter. Und Rohstoffabbau wirkt sich immer negativ auf die Umwelt aus.
Nur ein paar Beispiele: Kupferhütten verursachen Schwefeldioxid- und Arsenemissionen. Für jede Tonne Kupfer entstehen 2,2 Tonnen giftiger Abfälle. Diese werden in Chile in 757 Lagern aufbewahrt, mehrere davon in unmittelbarer Nähe von Dörfern, die unter den damit verbundenen Umweltrisiken leiden. Viele Menschen trinken mit Schwermetallen belastetes Wasser. Die Bergbauregion Antofagasta im Norden Chiles hat die höchste Lungenkrebssterberate im ganzen Land.
Während der Norden Chiles reich an metallischen Rohstoffen ist, verfügt der Süden über eine wichtige erneuerbare Energiequelle: Wind. In den Regionen Biobío und Araucanía, wo die indigenen Mapuche leben, sind in den vergangenen Jahren mehrere Windparks gebaut worden. Häufig befinden sie sich nur wenige Meter von den Wohnhäusern entfernt und die häufig ausländischen Unternehmen beteiligen die lokale Bevölkerung kaum an den Projekten. Hinzu kommt: Etwa ein Drittel des chilenischen Energieverbrauchs geht auf den Bergbau zurück.
Eigentlich verpflichtet die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Chile unterschrieben hat, den Staat dazu, die indigenen Gemeinden zu konsultieren, wenn sie von Unternehmen oder Projekten betroffen sind. Insgesamt gibt es zehn offiziell anerkannte indigene Völker in Chile. Sie leiden besonders unter dem Extraktivismus. Denn sie leben genau an den Orten, an denen es besonders viele Rohstoffe und für den Menschen nutzbare Natureigenschaften gibt: Wind, Wasser, Metalle.
Der Kampf der Indigenen
Nachdem Allende den Indigenen, insbesondere den Mapuche, einen Teil ihres ursprünglichen Landes zurückgegeben hatte, enteignete Pinochet es wieder. Er verschenkte es oder verkaufte es zu sehr niedrigen Preisen an Forstunternehmen. Die Verleugnung der Existenz der Indigenen war Bestandteil der Politik der Diktatur. „Es gibt keine Mapuche mehr, weil wir alle Chilenen sind“, sagte Pinochet 1979 in Villarica.
Bis heute kämpfen die Mapuche für die Rückgabe ihres Landes, auf dem sich heute Forstplantagen und Windparks befinden. Das Unternehmen Arauco, eines der größten Forstunternehmen Chiles, baut seinen eigenen Windpark.
Am südlichsten Zipfel von Chile, in Patagonien, soll bald mit Windenergie grüner Wasserstoff produziert werden – auch als Beitrag für die deutsche Energiewende. Porsche und Siemens Energy haben eine Pilotanlage für die Produktion von E-Fuels gebaut. Auch der Energiekonzern RWE baut einen Windpark in Patagonien für die Produktion von grünem Wasserstoff und grünem Ammoniak.
Chile will grünes Kupfer exportieren
Auch in Patagonien leben Indigene: Die Kawésqar und die Selk’nam. Ihre Lebensgrundlage ist das Meer: Viele leben vom Fischfang und der Landwirtschaft. Für die Produktion von grünem Wasserstoff wird Wasser benötigt. Das ist auch in Patagonien knapp, deshalb wollen die meisten Unternehmen Meerwasserentsalzungsanlagen einsetzen. Diese produzieren aber tonnenweise konzentrierte Salzlake als Abfall. Und den werden sie vermutlich zurück ins Meer schütten, was wiederum dem maritimen Ökosystem und letztendlich den Indigenen schaden wird.
Grüner Wasserstoff soll in Chile außerdem dabei helfen, dass der Bergbausektor „klimaneutral“ wird. Er soll unter anderem als Kraftstoff in Lkws im Bergbau eingesetzt werden. Mehrere Bergbauunternehmen arbeiten dafür bereits an Pilotprojekten. So soll Chile in Zukunft beispielsweise „grünes“ Kupfer exportieren.
Chuquicamata könnte alsbald „grün“ sein.
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