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Islamisten-Demo in HamburgMuss die Demokratie das ertragen?

Nadine Conti
Kommentar von Nadine Conti

Die Möchtegern-Kalifen von „Muslim Interaktiv“ provozieren Öffentlichkeit und Rechtsstaat. Wer sich jetzt auf Muskelspiele einlässt, spielt ihnen in die Karten.

Teilnehmer auf der Islamisten-Demo in Hamburg Ende April Foto: ABB/picture alliance

B ettelt „Muslim Interaktiv“ nicht eigentlich um ein Verbot? Auf den Gedanken könnte man ja schon kommen, wenn man die seltsame Strategie betrachtet, jetzt gleich wieder eine Kalifats-Demo anzumelden – kaum zwei Wochen nachdem die erste für bundesweite Verbotsdebatten und eine Gegendemo gesorgt hatte.

Aber aus Sicht der Extremisten ist das wahrscheinlich logisch: Ihre ­Social-Media-Marke profitiert von der gesteigerten Aufmerksamkeit, ein erfolgreiches Verbot bestätigt ihr krudes Weltbild und steigert ihren Märtyrerstatus, mit einem Verbot, an das sich erst noch Gerichtsverfahren durch mehrere Instanzen anschließen, lässt sich der deutsche Rechtsstaat in seiner ganzen demokratischen Behäbigkeit vorführen. Das ist quasi eine Win-win-win-­Situation für die Extremisten und ihre Freunde von der AfD. Mit dem Slogan „Deutschland = Wertediktatur“, der auf der ersten Demo zu sehen war, können sich ja bestimmt auch beide Seiten anfreunden.

Schwer erträglich für alle, die eine offene, freie Gesellschaft wollen. Vielleicht muss man deshalb noch einmal an ein paar Grundsätze erinnern: Verbote sind aus gutem Grund so schwierig. Meinungsfreiheit gilt auch für Vollidioten. Ja, hier darf man auf die Straße gehen, um Quatsch zu fordern: Weltuntergang für alle, zum Beispiel. Oder weniger Chemtrails. Oder eben ein Kalifat, also ein Herrschaftssystem nach islamischen Regeln – wenn man ausgebufft genug ist, offen zu lassen, wann und wo das denn entstehen soll. Wenn nicht explizit zum Umsturz heraus­gefordert wird oder volksverhetzende Äußerungen fallen, wird es schwierig mit so einem Versammlungsverbot.

Bliebe das Verbot der Organisation. Nun hat man die Mutterorganisation Hizb ut-Tahrir schon 2003 verboten, was die Entstehung dieser Ableger offensichtlich nicht verhindert hat. Als eher informelle Netzwerke sind die Strukturen eben auch schwer zu fassen, da gibt es keinen Sitz, den man stürmen kann, um Unterlagen und Vermögen zu beschlagnahmen. „Muslim Interaktiv“ bezieht sein Mobilisierungspotenzial vor allem aus den sozialen Medien, bei deren Kontrolle sich der deutsche Staat aus vielen Gründen schwertut.

Die Gefahr lauert online

Im Grunde muss man fast sagen: Mit dem großen Auftritt auf der Straße tut die Organisation dem Verfassungsschutz und den Strafverfolgungsbehörden fast einen Gefallen, immerhin kommt man so an Gesichter und Namen und weiß am Ende, wen man im Auge behalten muss.

So unbefriedigend das im Moment sein mag: Ein Verbotsverfahren muss sorgfältig vorbereitet sein, es braucht Material, man muss verhindern, dass die gleichen Leute unter einem anderen Namen einfach weitermachen. Denn viel gefährlicher als diese großspurigen öffentlichen Auftritte ist das, was da im Netz und hinter verschlossenen Türen passiert.

Und wenn sich eine wachsende Anzahl von Jugendlichen davon angezogen fühlt, ist das das eigentliche Problem, um das man sich kümmern muss. „Extremisten geben die falschen Antworten auf die richtigen Fragen“, hört man in diesem Zusammenhang immer wieder. Und zu den richtigen Fragen, der Art von Fragen, bei denen sich Schulen und andere Institutionen zu oft wegducken, gehört: Warum können wir nicht über Gaza reden? Warum tut ihr so, als würde es keinen antimuslimischen Rassismus geben?

Kreativer Widerspruch statt Verbote

Aber das ist natürlich alles sehr zäh und langwierig, schwer zu vermitteln, wo doch alle gerade markige Worte, große Gesten und entschlossen simuliertes Handeln vorzeigen wollen. Da ist man schon dankbar für Menschen, die einfach mal eine Gegendemo anmelden. Vor allem, wenn es liberale Muslime sind, die den Extremisten nicht einfach das Feld überlassen wollen.

Vielleicht lässt sich das beim nächsten Mal noch steigern. Ein bisschen weniger staatstragend und direkt nebenan wäre fein. Bei manchen Neonazi-Aufmärschen hat man ja auch gute Erfahrungen mit kreativen Störaktionen gemacht. Nichts fürchten ­Extremisten so sehr wie die Lächerlichkeit. Hamburg, lass Regenbogenglitzer regnen! Und Seifenblasen. Singt „Shalalalala“ nach jedem „Allahu akbar“. Zumindest so lange, bis das mit dem Verbot geklärt ist.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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22 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Der legalistische Islamismus, darunter Varianten der Moslembruderschaft und die Erdogan-Einflüsse nach Westeuropa sind nicht so krawallig, aber mindestens so gefährlich: der Gruppendruck auf alle, die zur türkischen und arabischen Eigengruppe gehören.



    Die Reaktionen gegen die Hizb ut-tahrir-Demo zeigen wieder, dass viele Nichtmuslime befürchten, dass ihnen die "Scharia aufgezwungen" wird. Das ist unrealistisch.



    Das was voranschreitet ist die kulturelle Abgrenzung von irgendwie-Moslems von irgendwie Anderen. Dass die Trennlinien verstärkt werden.

  • Mit einem Verbot der AfD liebäugeln, aber gegen ein Verbot der durchgeknallten Islamisten plädieren.

    Aber "gleichwohl" die AFD und die Kalifat-Spinner in einem Atemzug in einen Topf werfen.

    Man muss kein Freund der AfD sein,



    aber solche Vermengungen und AfD-Verteufelungen einerseits und Islamisten-Verharmlosungen andererseits sind schlechter journalistischer Stil.

    Demzufolge mein kritischer Kommentar sicherlich der Zensur zum Opfer fällt.

  • Auch wenn wieder alle meckern, die Wahrheit ist, dass man durch Verbote selten Meinungen ändert. Genauso wenig wie mit Bomben- aus über 20 Jahren "Krieg gegen den Terror" sollte man dies eigentlich gelernt haben. Nicht selten führen diese Vorgehensweisen zu mehr Radikalisierung und dazu, dass sich solche Bewegungen mehr in den Untergrund verlagern. Es ist eine schnelle und bequeme Lösung für Politiker die meist eh nur bis zu nächsten Wahl denken und planen und sich nicht mit dem Thema auseinandersetznen wollen, auch weil sie oft keine Antworten bzw. Lösungsvorschläge haben. Gerade bei Jugendlichen kann man einiges tun, aber dazu ist eben Zeit, Personal und Geld nötig und auch Schulungen für Lehrer im Umgang mit diesen Themen... und da geht es schon los...

    In meinen Augen kann man jedenfalls Rassismus, Antisemitismus, Radikalismus, etc. nicht mit Verboten bekämpfen, da man historisch gesehen oft das Gegenteil damit erreicht. Natürlich ist dies was anderes bei Organisationen die gewalttätig sind und andere Straftaten begehen, dort ist ein Verbot angesagt.

  • Das Gefährliche an diesen "neuen" Islamisten sind weniger diese radikalen Demonstrationen, sondern ihr Treiben im Internet.

    Die Protagonisten sind jung, eloquent, schick gekleidet und erreichen so Hunderttausende von Followern.

    Das ist nicht mehr so stumpfsinnig wie bei Pierre Vogel, sondern cool.

    Sie bieten eine coole Identität in einer coolen Community.

    Joe Adade Boateng, der Anmelder der Demo in Hamburg versteht es hervorragend an der Grenze vom Sagbaren zum nicht Sagbaren entlangzutänzeln.

    www.youtube.com/wa...=mHpKtjwUsO0&t=10s

    Und die Zivilgesellschaft? Macht sich ins Hemd. Man will ja kein Rassist sein. Außerdem hat verständlicherweise fast jeder Angst, sich so einer Demo entgegenzustellen.

    Und die Politik? Spuckt Töne und löst den Arbeitskreis Politischer Islam auf.

    Und die Islamisten? Machen munter weiter.

    • @Jim Hawkins:

      Hoppla.

  • Die Demokratie sollte einfach mehr in Bildung und Integration investieren. Sonst kommt halt sowas bei rum .

    • @Mr Ambivalent:

      "Die Demokratie sollte einfach mehr in Bildung und Integration investieren"

      Manchmal erinnern mich diese Allgemeinplätze stark an die alchemistischen Denkweisen des frühen Mittelalters: Mit genügend Willen lässt sich Blei in Gold verwandeln.

      Ist Ihnen schon einmal in den Sinn gekommen, dass der Unwille zur Integration in demokratische Strukturen zentraler und identitätsstiftender Kern radikaler Muslime ist?

    • @Mr Ambivalent:

      Das ist exakt das, was als "Wertediktatur" angeprangert wird.

      Kann mehr "Wertediktatur" helfen?

      Womöglich kriegt diese Demokratie mehr gar nicht hin.

      Lassen Sie uns mal rausgehen aus der Utopie:



      Was schlagen Sie denn vor, wenn unsere Demokratie dieses Mehr einfach nicht schafft?

  • Man sollte den Menschen mal deutlich aufzeigen was ein Kalifat bedeutet und das wir diesen Blödsinn hier nicht wollen und dulden werden. Wer so sehr den Drang zum Mittelalter sucht sollte mal in die entsprechenden Länder gehen .

    • @maestroblanco:

      "Die Menschen" wissen, was Kalifat bedeutet.



      Sie wissen auch, was Nationalsozialismus bedeutet.



      Es sind einfach zu viele, bei denen die Drähte nicht korrekt verlötet sind.

      Apropos Drähte und verlötet: Ich habe mir gestern die Oiwonga bei S. Maischberger angetan - Mannomann....

  • Hier muss man das nicht ertragen, es gibt genug Örtlichkeiten auf der Welt, wo es keinen stört.

  • Vorschlag:

    Wir lassen sie das machen, aber wir kommen jeden zweiten Samstag auch wieder und verwandeln den Steindamm in ein Queer-Feministisches Straßenfest.







    Das haben wir bei den "Merkel muss Weg" Demos relativ lange durchgehalten, also den regelmäßigen und schon fast routinierten Gegenprotest.



    Und ohne die Coronapandemie und die rapide vernetzung der globalen Rechten über die Anti-sozialen-Medien würde man sich heute daran erinnern und noch mal ne Runde lachen.

    Denn was kamen dort für absurde Gestalten zusammen. Und wie gut war es, dass diese Leute in der Öffentlichkeit waren wo jeder sie sehen konnte. Noch heute sehen kann, denn das Netz vergisst nicht.

    Das Interview mit dem Experten in der Taz vom 2.5 hat das alles doch sehr gut zusammengefasst was diese Leute angeht und ihren Stellenwert sowie ihr Bedrohungspotential für das große Ganze. Es ist eine Sekte, aber gegen eine Sekte muss man genauso demonstrieren wie gegen Kameradschaften vor 20 Jahren.



    Die stellten damals für die Gesellschaft an sich keine Gefahr dar und waren keine Afd. Waren aber für jeden der das Pech hatte ihnen Nachts und in der Gruppe übern Weg zu laufen zu einer realen Bedrohung geworden.



    Einer Bedrohung die mit aller Gewalt der Exekutive von der Polizei bekämpft werden muss. Die Aufgabe der Polizei und Gerichte ist aber nicht die Zivilcourage. Das ist unsere Aufgabe. Und ich mag meine Zivilcourage gerne Bunt, laut und vielleicht mit Streuseln oben drauf!

    Also liebe Antifa Hamburg: Wer organisiert es und wann gehts lous?



    Und wie wäre es wenn wir das alle mal wieder gemeinsam machen, so wie früher. Bevor wir uns angefangen haben zu Streiten als hätten wir kein Benehmen.



    Ich fände das schön. Und wäre mutig herauszufinden ob wir dazu noch in der Lage sind. Also Antifa zu sein statt nur zu sagen und auf Wände und Stromkästen zu schreiben.

    Nur 1 Vorschlag. Aber ich find ihn gut.

  • Etwas einfach macht man es sich mit dieser Haltung schon. Wohin ein "lasst sie doch einfach machen" sehen wir doch an der sog. AfD, die im Osten kurz vor der Machtergreifung steht - eben weil alles mögliche getan wurde von Ignorieren über Hofieren bis Diskutieren, nur kein Verbot. Und bis heute wird gegen rechte Schläger, Polizisten andere Beamte und Mandatsträger nicht richtig vorgegangen während Klimakleber in Präventivhaft genommen werden. Ähnlich indifferent wird aktuell gegen die Islamisten vorgegangen.

    Das Islamische Zentrum Hamburg steht "unter Beobachtung", Kalifatsanhänger demonstrieren nach Geschlecht getrennt. In Hamburg war es nicht das erste Mal. Säkulare und liberale Muslime, die sich öffentlich positionieren werden bedroht. Es fehlt nicht an Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Es fehlt am Willen.

    • @BrendanB:

      Die Islamisten haben nicht mal annährend so viel Unterstützung in der Bevölkerung wie die AFD. Die meisten Muslime haben auch kein Bock auf Kalifat. Die warten nur darauf das der Staat gegen sie vorgeht um ihn dann Antiislamismus, der ja nun wirklich in Teilen der Gesellschaft vorkommt, vorzuwerfen. Lasst sie schreien, behaltet sie im Auge und sobald sie strafrechtlich in Erscheinung treten ordentlich verknacken. Die wollen nur Polarisieren um sich als Opfer einer Meinungsdiktatur zu präsentieren.

  • "Warum können wir nicht über Gaza reden? Warum tut ihr so, als würde es keinen antimuslimischen Rassismus geben?"

    Das kann doch nicht ernsthaft das Problem sein. Es gibt kaum Themen, die zur Zeit mehr Aufmerksamkeit haben, sowohl medial als auch institutionell. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das materiell mehr Hilfe für Gaza gibt als Deutschland. Genau diese humanitäre Hilfe gehört zu den Werten unserer "Werte-Diktatur", ihr lieben Azubi-Kalifen ...

  • Diese lächerlichen Ideen gehören auf Nebengleise. Es wäre sinnvoll, die Demo zu genehmigen und damit die Duldung von Meinungsfreiheit zu dokumentieren - jedoch sollte der Demoweg festgelegt und streng kontrolliert werden: entlang von Rübenäckern oder gar der Mülldeponie , wo diese Forderungen ohnehin besser aufgehoben sind....

    • @Perkele:

      Um die Rübenäcker laufen die Christen doch traditionell an Christi Himmelfahrt. Nach einem Kalifat rufen sie nicht schon eher "Dein Reich komme, Dein Wille geschehe".

      • @Baidarka:

        Nein, um die Rübenäcker ziehen die Christen nicht traditionell an Christi Himmelfahrt, sondern an Fronleichnam, dem Hochfest des allerheiligsten Leibes und Blutes Christi.



        Liegt beides immer auf einem Donnerstag, kann man also schon verwechseln.

  • Um auf die Frage in der Headline zu antworten: Nein, das muss eine Demokratie nicht ertragen. Sie muss sich dagegen wehren.

  • Ich hätte mir gewünscht, wenn mehr Mitstreiter*innen aus dem linken Spektrum bei der Gegendemo dabei gewesen wären. Bei der Anti-AfD-Demo stehen wir alle zusammen auf der Straße. Wenn es gegen das Kalifat geht ist man alleine. Warum nur?

    • @casio:

      Weil es beim Kalifat irgendwie auch immer gegen Juden und Israel geht.