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Initiative von Rot-Rot-Grün-AbgeordnetenStopp für Waffenlieferungen nach Israel

Drei Abgeordnete fordern den Stopp deutscher Rüstungsexporte nach Israel und eine Anerkennung Palästinas als Staat. Es droht ein Koalitionsstreit.

Keine Waffenexporte nach Israel, sagt Isabel Cademartori von der SPD Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Berlin taz | Der Aufruf ist in doppelter Hinsicht ein Novum: Drei Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken fordern in einem offenen Brief einen Stopp deutscher Waffenlieferungen nach Israel und eine Anerkennung Palästinas als Staat. Bei der Initiative handelt um die erste rot-rot-grüne Initiative auf Bundesebene seit Langem und um einen Zusammenschluss bei Fragen, die selbst innerhalb der Parteien kontrovers diskutiert werden. „Die Lage vor Ort ist so zugespitzt, dass wir etwas tun wollen“, sagt eine der Initator*innen, die SPD-Abgeordnete Isabel Cademartori aus Mannheim.

Gemeinsam mit dem Grünen-Politiker Kassem Taher Saleh und der Linken-Abgeordneten Nicole Gohlke fordert sie ein „sofortiges Ende der militärischen und politischen Unterstützung für Benjamin Netanjahus Regierung“, um den Druck auf Israel für das neue Zustandekommen eines Waffenstillstands zu erhöhen. In dem offenen Brief heißt es, Deutschland und die Europäische Union sollten nicht nur Appelle an die israelische Regierung veröffentlichen, sondern „ihre Verpflichtung gegenüber dem Völkerrecht mit Taten untermauern“.

Besonders SPD-Politikerin Cademartori wagt sich mit dem Aufruf aus der Deckung. In der Ampel-Regierung hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stets betont, dass Deutschland Waffen an Israel liefere und dies auch weiter tun werde. Zuletzt hatte der dafür zuständige Bundessicherheitsrat im Januar auch etwa die Exporte von Komponenten für militärische Ketten- und Radfahrzeuge nach Israel erlaubt.

Mit ihrem künftigen Koalitionspartner könnte die SPD mit weitergehenden Forderungen konfrontiert werden. So hatte der designierte Außenminister Jo Wadephul (CDU) der Ampel-Regierung vorgeworfen mit einer Blockade von Waffenlieferungen nach Israel „gegen die Staatsräson zu verstoßen“. Unionsabgeordnete vertreten zudem die Position, Israel bei Waffenexporten mit einem Nato-Partner gleichzustellen und so die Lieferungen deutlich zu vereinfachen.

Koalitionsstreit droht

„Wir sind mit einem Koalitionspartner konfrontiert, der noch vehementer für eine politische und militärische Unterstützung Israels wirbt, als Olaf Scholz das unkritisch getan hat“, sagt die SPD-Politikerin Cademartori. Sie hoffe deshalb, dass auch die SPD-Fraktion Abgeordnete künftig deutlicher in der Frage Stellung beziehe. „Es gibt da einige, die meine Haltung teilen.“

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat Israel in dem darauffolgenden Krieg mehr als 50.000 Menschen im Gazastreifen getötet. Vor zwei Monaten hatte die Regierung von Netanjahu zudem die zwei Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen im Kriegsgebiet von allen Hilfslieferungen abgeschnitten. Das Welternährungsprogramm verbraucht dieser Tage nach eigenen Angaben seine letzten Vorräte im Gazastreifen.

„Es ist keine theoretische Frage mehr, ob Israel Völkerrecht verletzt“, sagt Cademartori. „Das Verweigern von humanitärer Hilfe, um militärische Ziele zu erreichen, ist klar völkerrechtswidrig.“

Für Nicole Gohlke von der Linkspartei geht es mit der Initiative darum, ein Netzwerk zu schaffen, um die Diskussionen im Bundestag weiterzutreiben. „Leider gibt es bislang wenige Politiker, die sich dazu äußern“, sagt sie. Es gehe darum, das Thema fraktionsübergreifend voranzubringen. Auch vor dem Hintergrund von Donald Trumps Unterstützung für das militärische Vorgehen Israels in Gaza hofft sie auf die SPD und darauf, dass sie der Union etwas entgegensetzen werde.

Hoffen auf Frankreich

In dem offenen Brief fordern die Abgeordneten neben dem Stopp der Waffenlieferungen nach Israel und einer aktiveren Vermittlerrolle Deutschlands bei Waffenstillstandsverhandlungen die Anerkennung Palästinas als eigenständigem Staat, „in Abstimmung mit Frankreich“. Der französische Präsident Emmanuel Macron lädt gemeinsam mit Saudi-Arabien im Juni zu einer Konferenz zur Zweistaatenlösung nach New York und hatte angekündigt, Paris werde Palästina als Staat anerkennen. Bereits vergangenes Jahr hatten Spanien, Irland und Norwegen einen solchen Schritt unternommen.

„Wir haben das parteiintern noch nicht diskutiert, ich würde aber davon ausgehen, dass das bei uns nicht so kontrovers ist“, sagt Linken-Politikerin Gohlke. Grünen-Politiker Taher Saleh hatte sich bereits im vergangenen Sommer für die Anerkennung Palästinas als Staat ausgesprochen. Auch SPD-Abgeordnete Cademartori findet, dass sich die kommende Bundesregierung der französischen Initiative anschließen solle. „Ich finde, dass wir das unterstützen sollten, um die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen wirksamer gegen israelische Landnahme zu unterstützen.“

Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist von einem solchen Schritt dagegen weit entfernt. Doch an einem anderen Prinzip möchte die Bundesregierung zumindest dem Namen nach weiter festhalten: Entgegen eines ersten Entwurfs mit Handschrift der Union ist im Koalitionsvertrag weiterhin von der Zweistaatenlösung die Rede, die als „tragfähige Perspektive für ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern“ bezeichnet wird.

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31 Kommentare

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  • Käptn Blaubär , Moderator*in

    Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen

  • "Drei Abgeordnete fordern den Stopp deutscher Rüstungsexporte nach Israel und eine Anerkennung Palästinas als Staat."



    Drei Abgeordnete sind meiner Meinung nach noch vernachlässigbar.Als Apologetin der jüdischen u/o israelischen Kriegspartei lehne ich das Anliegen der drei Abgeordneten ab und hoffe,dass sie sich nicht durchsetzen können.

    "„Die Lage vor Ort ist so zugespitzt,dass wir etwas tun wollen“, ... aus Mannheim."



    Die gazanische Regierung und ihre Kämpfer und Unterstützer dazu motivieren,die Geiseln bedingungslos freizulassen und ihre Waffen niederzulegen,ebenso der Umzug der Führungskräfte ins Ausland ist meiner Meinung nach sinnvoll.

    "Unionsabgeordnete vertreten zudem die Position,Israel bei Waffenexporten mit einem Nato-Partner gleichzustellen und so die Lieferungen deutlich zu vereinfachen."



    Das befürworte ich.Der einzige jüdische Staat auf dieser Welt hat meiner Meinung nach gerade! unsere Unterstützung verdient."Wir" dürfen m.M.n. dessen BürgerInnen nicht einem Schicksal wie in Nazi-Deutschland oder am 07.10.23 überlassen.Nur USA und D stehen m.M.n. an der Seite Israels.

  • Deutschland unterstützt eine der gewalttätigsten Regierungen der Welt – geführt von Kriminellen und fanatischen religiösen Führern. Dieser Wahnsinn muss ein Ende finden!

  • Wenn man von Mut reden kann/will, dann bei dieser Abgeordneten und ihren Mitstreitern. Respekt!! Diese Aktivität ist längst !!!! überfällig. Und es handelt sich -klar und eindeutig- NICHT um Antisemitismus. Es ist Aufrichtigkeit, no less.

  • Abgesehen von der inhaltlichen Stossrichtung dieser Initiative - keine Waffenlieferungen an Israel (und überhaupt nicht in den Nahen Osten, würde ich hinzufügen) sowie stärkere europäische Verhandlungsanstrengungen in diesem Konflikt -, der ich mich natürlich anschließe, finde ich es allerdings überbewertet, diesen offenen Brief als erneutes Remake eines rot-grün-roten Zusammenrückens interpretieren zu wollen. Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer.



    Es ist aber abzusehen wie das Amen in der Kirche, dass das konservativ-bürgerliche Spektrum aus diesem Vorgang wieder mal eine „rote Gefahr“ heraufzubeschwören versuchen wird. Das tun sie unablässig seit 1918, sobald sie die rechte gesellschaftliche Hegemonie irgendwie bedroht wähnen.



    Wenn es um unser Verhältnis als Deutsche zum Staat Israel geht - als Konsequenz aus dem Zivilisationsbruch des NS und der Shoa -, wäre es aus konservativer Sicht besonders heikel, wenn aus dieser Geschichte noch andere Schlussfolgerungen als die seit Adenauer vorgegebenen gezogen würden.

  • Würde sich Israel auf Waffenlieferungen aus Deutschland verlassen, es wäre wohl längst von Hamas und Irans Proxies überrannt. Es hat, wie die Ukraine, frühzeitig erkannt, dass Deutschland kein verlässlicher Partner ist.

    Deutschland liefert an Israel defacto eh keine Waffensysteme von Relevanz sondern vorrangig Infrastruktur und Schutz für das Militär, die aber auch als Waffenlieferung gewertet wird. Lediglich 2 (!) Prozent der Lieferungen sind Kriegswaffen.

    www.tagesschau.de/...utschland-100.html

    Umgekehrt importiert Deutschland in weitaus höherem Maße Waffensysteme aus Israel bspw. die Raketenabwehr, die sich bereits beim Angriff des Irans bewährt hat und südlich von Berlin installiert wird...

  • Tja, recht haben sie.



    Eine Einschränkung würde ich machen: Ein U-Boot kann mensch liefern. Aber Völkerrecht sollte auch für den enthemmten Netanyahu gelten. Den ich lieber heute als morgen in Den Haag sähe, auch um die Seele Israels noch zu retten, bevor es in eine Mischung aus Sparta und Südafrika abrutscht.

  • Die Berichterstattung in den deutschen Medien über den israelischen Krieg in Gaza zeigt nicht die ungeheure Gewalt, die dort wütet. Hierzu ein Kommentar von Politikern der Linken. www.fr.de/kultur/g...hren-93704634.html

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Nein, so nicht. So darf man die bundesrepublikanische Staatsräson nicht untergraben. Es wäre eine infame Posse, einen terroristischen Failed State wie Gaza anzuerkennen, der vor anderthalb Jahren den tödlichsten Massenmordanschlag gegen das Judentum seit dem Holocaust verübte. Nicht minder destruktiv wäre es, Israels Fähigkeit zur Selbstverteidigung, inkl. Gegenoffensive, mittels eines Waffenembargos zu beeinträchtigen.

    Es ist unbestreitbar, dass die humanitäre Lage in Teilen des Gazastreifens äußerst prekär ist und Berichte über akute Ernährungsunsicherheit, die stellenweise das Ausmaß von Hunger erreichen, besorgniserregend sind. Jedoch ist es entschieden zurückzuweisen, die alleinige oder primäre Verantwortung für diese Umstände Israel zuzuschreiben. Die komplexen Dynamiken in Gaza, einschließlich der langjährigen Herrschaft der Hamas, die Ressourcen für den Aufbau einer terroristischen Infrastruktur statt für das Wohl der Zivilbevölkerung priorisiert hat, sowie die anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen, die von der Hamas bewusst in dicht besiedeltem Gebiet geführt werden, tragen maßgeblich zu den gegenwärtigen Schwierigkeiten bei.

    • @Michaela Dudley:

      Die Humanitäre Lage in Gaza ist Ihrer Meinung nach also "äusserst prekär" und "die komplexen Dynamiken in Gaza...tragen zu den gegenwärtigen Schwierigkeiten bei"? Während die Welt angesichts der Kriegsverbrechen der israelischen Regierung mit Kollektivbestrafung durch Aushungern der Bevölkerung den Atem anhällt, sprechen Sie von "prekär" und "Schwierigkeiten". Absurder kann Mensch die Realität in Gaza nicht verdrehen.

  • Haben diese Leute auch nur den blassesten Schimmer über was sie da reden? Auch nur die geringste Kenntnis der Zahlen? Und was diese bedeuten?

    Zwischen Januar und September 24 lieferte Deutschland an die Ukraine für 7056 Millionen Euro Waffen. An Katar, die Kumpels der Hamas, für 107 Millionen Euro.

    An Israel für 14 Millionen Euro. Was grade reicht um für ein paar Tage Raketen aus Iran, Libanon und Gaza abzuwehren. Praktisch ein Waffenembargo. Und das in den wichtigsten Kriegsmonaten!

    Die Bundesregierung hat aber kein Problem mit der Lieferung der deutschen Industrie an Iran, welches wiederum die Hamas ausrüstet.

    Capital: "Deutschlands Industrie finanziert Irans Terrorregime".



    "Obwohl der Iran seit vielen Jahren mit westlichen Sanktionen aller Art belegt ist, exportierten deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr Waren im Gesamtwert von 1,58 Milliarden Dollar in das Land."



    "Seit dem bestialischen Angriff der Hamas auf Israel sollte auch der Letzte begreifen, dass der Iran der Hauptunterstützter des Terrors im ganzen Nahen Osten ist."

    Wake up!

    www.capital.de/wir...mit--33929980.html

  • Haben die Abgeordneten eigtl. auch mal einen Blick in die Unterlagen geworfen oder reicht heutzutage die Lektüre via TikTok aus?

    Würde sich Israel auf Waffenlieferungen aus Deutschland verlassen, es wäre wohl längst von Hamas und Irans Proxies überrannt. Es hat, wie die Ukraine, erkannt, dass Deutschland kein verlässlicher Partner ist. Deutschland liefert an Israel defacto keine Waffensysteme von Relevanz sondern vorrangig Infrastruktur und Schutz für das Militär, die aber auch als Waffenlieferung gewertet wird. Lediglich 2 (!) Prozent der Lieferungen sind Kriegswaffen.

    www.tagesschau.de/...utschland-100.html

    Umgekehrt importiert Deutschland in weitaus höherem Maße Waffensysteme aus Israel...

  • Die deutsche Staatsräson besagt, dass wir aus der Erfahrung des Dritten Reichs heraus jüdisches Leben schützen wollen. Sie besagt gerade nicht, dass wir den Fehler, den wir an Juden begangen haben, nun nochmal an Palästinensern wiederholen und ein Aushungern im Ghetto unterstützen dürften. Jedem, der das tut, müssen wir energisch in den Arm fallen. Das ist die Lehre. Wer das nicht begreift und das Lebensrecht von Zivilisten nach Freund und Feind einteilt, der hat von unserer Geschichte gerade nichts begriffen, sondern Irrlehren gezogen. Es tut mir als Feund Isreals leid, aber man muss nach all den zahllosen Beispielen von Kriegsverbrechen schlicht erkennen, dass hier kein Einzelversagen in diversen Rängen mehr zu beklagen ist, sondern Netanjahu die Bevölkerung im Gazastreifen systematisch vertreiben - und wo nötig für dieses Ziel und den dafür erforderlichen Leidensdruck - auch direkt vernichten will. Das dürfen wir nicht zulassen.

    • @hedele:

      Mit dem Wort Kriegsverbrechen wäre ich vorsichtig. Wir wissen heute, dass die Hamas Hilfslieferungen aus dem Ausland gekapert hat und nicht etwa an ihre Landsleute verteilt hat, sondern die Hilfslieferungen verkauft und mit dem so eingenommenen Geld den Terror gegen Israel unterstützt und gefördert hat. Es ist daher aus meiner Sicht absolut nachvollziehbar, dass Israel die Hilfslieferungen nunmehr nicht mehr ins Land lässt.



      Dass dies für die dort wohnenden Palästinenser schrecklich ist, steht völlig außer Zweifel. Aber was soll Israel machen? Die moralischen Grenzüberschreitungen gingen in der Vergangenheit zu oft von der Hamas aus (das aktuelle Beispiel, Kommandozentralen in Krankenhäusern etc). Die 3 Initiatoren gehen aus meiner Sicht einer gewollten Propaganda der Hamas auf den Leim....

    • @hedele:

      Sie verharmlosen den Holocaust als "Fehler, den wir an Juden begangen haben", und werfen mit Begriffen wie "Aushungern im Ghetto" und "vernichten" dem jüdischen Staat implizit vor, die Verbrechen der Nazis an den Palästinensern zu wiederholen. Das ist infam.

    • @hedele:

      Wir sollten aus dem Holocaust gelernt haben, dass Menschenrechte unbedingt geschützt werden müssen! Darum haben wir auch das Menschenrecht auf Asyl im Grundgesetz - wo es AfD und CDSU heraushaben wollen.



      Es geht nicht darum, jüdisches Leben zu schützen, sondern jedes Leben zu schützen. Wer das anders liest, instrumentalisiert den Holocaust für seine eigene Agenda.

    • @hedele:

      Dreimal jaaaaa!!! Toll geschrieben!

    • @hedele:

      Bei sonstiger Zustimmung zwei kritische Anmerkungen, die ich in diesem Zusammenhang keineswegs für Erbsenzählerei halte:



      1. Zum Konstrukt der deutschen Staatsräson zur Beschreibung dessen, was Deutschlands Verhältnis zu Israel vor dem Hintergrund der Shoa ausmachen sollte, ist ja schon einiges Kritische geschrieben worden. Kurz: ich halte den Begriff in diesem Kontext NICHT für brauchbar und verlinke daher nochmals einen Beitrag von Meron Mendel dazu, dem ich mich inhaltlich voll anschließen kann:



      www.meronmendel.de...080_265353_All.pdf



      2. Im Zusammenhang mit der Situation in Gaza - die für die dort lebenden Menschen sicherlich unerträglich ist -, finde ich es unangemessen, von einem Ghetto zu sprechen. Das israelische Vorgehen in Gaza kann nicht scharf genug verurteilt werden, aber die Konnotation zur NS-Vernichtungspolitik gegenüber den europäischen Juden verbietet es m.E. schlicht, den Begriff Ghetto auf die Situation in Gaza zu übertragen.



      Der Initiative der drei Bundestagsabgeordneten kann ich mich im übrigen voll anschließen, sie entspricht der deutschen Verantwortung, die aus der Shoa abzuleiten ist.

    • @hedele:

      Es gibt keine „Staatsräson“, Israel irgendwie zu unterstützen. Das ist eine politische Entscheidung, die einfach einen schönen Namen bekommen hat. Der nicht passt: Gäbe es diesen „Daseinszweck“ für Deutschland - dann müsste sich Deutschland im Zweifel für Israel aufgeben. Das will keiner, meiner Meinung nach. Und das Volk und seine Vertreter haben auch nicht in der Verfassung oder sonst einem Gesetz eine solche Entscheidung getroffen.

      Und praktisch? Wir haben nicht geholfen bei der Abwehr der iranischen Raketen und Drohnen. Wir haben dazu nicht mal das Potential. Also ist es auch praktisch nicht weit her.

      Von daher: Alles Politik. Kann man so machen, weil ggf. im Interesse Deutschlands. Aber man sollte aufhören, dem irgendeine höhere Weihe zu geben.

      • @Peter Rabe:

        Super!!!

      • @Peter Rabe:

        „Und das Volk und seine Vertreter haben auch nicht in der Verfassung oder sonst einem Gesetz eine solche Entscheidung getroffen.“



        Vielen Dank für die klare Einordnung, da bin ich ganz bei Ihnen.



        Im konkreten Fall gibt schlicht keine Staatsräson, die uns verpflichtet, Israel mit Waffen zu beliefern, zumal wenn es völkerrechtswidrig handelt und in Gaza bezüglich der israelischen Kriegsführung ein Genozid-Verdacht im Raum steht.



        Der parlamentarische Vorstoß, die Waffenlieferungen an Israel zu stoppen/auszusetzen, steht also nach meiner Auffassung genau im Einklang mit der Verpflichtung und dem Auftrag, die sich für Deutschland aus dem Holocaust ergeben.



        Wenn man sich im deutschen Bundestag schon Gedanken über die Verantwortung gegenüber Israel und dem jüdischen Voll machen will, sollte einem folgende Meldung viel mehr beunruhigen:



        www.tagesschau.de/...mo-studie-100.html

    • @hedele:

      Was sollte Israel denn tun? Zehntausende Raketen aus Gaza und Libanon wurden ja jahrelang akzeptiert und das Land mit Bunkern gespickt. Ebenso der offene Angriff mit ballistischen Raketen aus dem Iran.



      Der Überfall vom 7. Oktober war ein beispielloses Massaker und ich finde es durchaus verständlich, dass man diese Bedrohung ein für allemal beseitigen möchte. Ich würde von Deutschland auch erwarten, dass so handelt (selbst wenn man davon ausgehen muss, dass die Bundeswehr eine höhere Quote ziviler Opfer verursachen würde).



      Es läge in den Händen der Palästinenser, diesen Krieg zu beenden - sie wollen es aber nicht.

    • @hedele:

      》... ein Aushungern im Ghetto [nicht] unterstützen dürf[...]en. Jedem, der das tut, müssen wir energisch in den Arm fallen《



      .



      Was spricht eigentlich in dieser Beurteilung der Lage dagegen, Ägypten dazu zu drängen, die Grenzen zu Gaza zu öffnen, die Menschen ins Land zu lassen und sie dort, mit Hilfe der UN zu versorgen und zu unterstützen?



      .



      Wo sich die Hamas nicht hinter (bzw. unter) ihnen verstecken könnte, den von ihr begonnene Krieg ohne menschliche Schutzschilde führen müsste?



      .



      Warum wird das - soweit ich sehen kann - nicht nachdrücklich gefordert oder wenigstens diskutiert?

  • Besser spät als nie.



    "mit einer Blockade von Waffenlieferungen nach Israel „gegen die Staatsräson zu verstoßen“- Wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits angemerkt hat, ist die Staatsräson eine "rein politische Maxime, nicht aber um einen die deutsche Staatsgewalt bzw. die deutsche Außenpolitik rechtlich bindenden Grundsatz oder Verfassungsrechtssatz." Die Staatsräson kann sowieso niemals über Völkerrecht stehen.



    Wir haben jetzt auch schon den zweiten Tag Anhörungen vor dem IGH zu Israels Pflichten als UN Mitglied und als Besatzungsmacht in Bezug auf Hilfslieferungen und Entwicklungshilfe und von den rund 40 Nationen und Organisationen die vorsprechen, werden nur die USA und Ungarn für Israel sprechen. Das sollte einem schon zeigen, dass die Rechtslage doch mittlerweile sehr eindeutig ist und Israel gleich gegen mehrere Artikel des humanitären Völkerrechts verstößt. Und trotzdem finden sich noch Leute die all dies rechtfertigen, selbst dem WFP das Essen ausgegangen ist und es in Krankenhäusern an Notwendigstem fehlt.

  • „ So hatte der designierte Außenminister Jo Wadephul (CDU) der Ampel-Regierung vorgeworfen mit einer Blockade von Waffenlieferungen nach Israel „gegen die Staatsräson zu verstoßen“.“

    Beruhigend zu wissen, dass der zukünftige Außenminister sich klar auf rechtliche Grundlagen deutscher Politik stützen will, wie eben die Staatsräson. Oh, wait…

    Spannend, dass Merkel dafür anscheinend dann doch noch gut genug ist für die neue, alte CDU.

  • >Initiative von Rot-Rot-Grün-Abgeordneten

    Was ist denn das für eine Koalition?



    Oder würde man bei gemeinsamem Abstimmen von CDU und Die Linke im alten Bundestag, das es ja auch mal gegeben hat, auch diesen Eindruck einer Koalition erwecken?

  • Endlich

  • Nicht viel, aber immerhin ein erster Schritt. Man kann, nein, man darf nicht nur zusehen, wie jeden Tag Israel das Völkerrecht mit Füßen tritt, man muss auch mal was dazu sagen. Das ist doch das mindeste, Staatsräson hin oder her.

  • Wurde im Wahlkampf nicht noch behauptet dass Deutschland nur Schrauben und andere Kleinteile liefern würde?

    Ich bitte die Beteiligten im Bundestag Inititive zur Durchführung von Hilfslieferungen zu ergreifen. Das dürfte sogar Menschen mit christlichen Wertvorstellungen einbinden können.

  • Ein echter Hoffnungsschimmer entgegen der ständigen Vorverurteilungen von Politikern, die ja angeblich eh nichts zu sagen geschweige denn etwas zu ändern hätten.

    Mir würde es wieder ein Stück Glaube und Stolz zurückgeben auf unserer Demokratie.

  • Angesichts der Zerstörung kann ich verstehen weshalb der erste Impuls ist keine Waffen zu liefern. Nun waren es aber Waffen die den Jüdinnen und Juden ermöglicht haben überhaupt noch zu existieren

    Jom-Kippur-Krieg



    Intifadas



    Der sechs Tage Krieg



    7. Oktober

    Und viele Angriffe mehr konnte Israel nur mit Waffen abwehren. Wenn wir Israelis schutzlos zurück lassen, dann wird es Israel nicht mehr geben.