Inflation und Kaufkraftverlust: Löhne so schlecht wie 2016
Expert*innen bewerten die konjunkturelle Lage als sehr schlecht. Das liegt auch daran, dass die Kaufkraft vieler Menschen massiv gesunken ist.
Berlin taz | Die Wirtschaft in Deutschland lahmt. Wie sehr, das zeigen die am Dienstag veröffentlichten Konjunkturerwartungen des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für diesen Monat. Dafür interviewte das Institut 167 Analyst*innen sowie institutionelle Anleger*innen. Deren Einschätzung des Ist-Zustandes verschlechterte sich innerhalb eines Monats um 4,4 Punkte deutlich. Mit minus 81,7 Punkten bewerteten sie die konjunkturelle Lage so schlecht wie seit Juni 2020 nicht mehr.
In den vergangenen Monaten machte sich insbesondere die Inflation bemerkbar, weil diese die Kaufkraft der privaten Haushalte schmälerte. So befinden sich die Tariflöhne trotz der kräftigen Entgelterhöhungen des letzten Jahres aktuell auf dem Stand von 2016, wie eine ebenfalls am Dienstag veröffentlichte Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zeigt.
Demnach lag die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten Ende 2023 im Mittel 6 Prozentpunkte niedriger als drei Jahre zuvor, was eine Folge drastischer Reallohnverluste 2021 und 2022 ist. Damals sanken die realen Tariflöhne um 1,4 und 3,9 Prozent. Im vergangenen Jahr wurde die Inflation von 5,9 Prozent weitgehend kompensiert. Tariferhöhungen von durchschnittlich 5,5 Prozent führten dazu, dass sich die Reallohnverluste auf 0,4 Prozent begrenzten.
Niedrigere Inflation stimmt positiv
„Es ist ein wichtiger Schritt, dass die Kaufkraft der Tarifbeschäftigten 2023 im Mittel weitgehend gesichert werden konnte“, sagt WSI-Tarifexperte Thorsten Schulten. Um jedoch auch die massiven Reallohnverluste der beiden Vorjahre ausgleichen zu können, seien in den kommenden Tarifrunden „kräftige Reallohnsteigerungen“ notwendig. „Das ist auch wichtig, um die schwache Konjunkturentwicklung in Deutschland zu stabilisieren“, so Schulten.
Dass die Inflationsrate zuletzt gesunken ist, ist sowohl für die Forschenden des WSI als auch des ZEW ein gutes Zeichen. Laut WSI erleichtert es den Gewerkschaften, kräftige Lohnzuwächse durchzusetzen. Für die Befragten der ZEW-Umfrage erhöht die sinkende Inflation die Chance, dass die EZB die Zinsen wieder senkt. So wurden sie zumindest in Bezug auf die künftige Lage optimistischer.
Leser*innenkommentare
Herma Huhn
Habe ich etwas verpasst?
Was war denn an 2016 so schlimm, dass man es zum Aufhänger des Artikels machen muss?
Wenn das schlimmste an der Inflation tatsächlich ist, dass wir uns so viel leisten können wie vor 6 (in Worten: sechs!) Jahren, warum reden wir dann überhaupt noch über dieses Phänomen.
Es scheint ja im Alltag keine Auswirkungen zu haben.
Andreas J
@Herma Huhn Das bedeutet aber auch, dass es für Menschen mit niedrigen Löhnen keine Verbesserung gab. Und das ist bitter.
Herma Huhn
@Andreas J Kommt immer noch drauf an, wo wir starten.
Keine Verbesserung ist an dieser Stelle gleichbedeutend mit keine Verschlechterung. Und das ist nach drei Jahren Dauerkrise alles andere als bitter.
Zur Einordnung: Ich glaube nicht, dass alles supi dupi ist. Ich bin nur leicht entsetzt über den reißerischen Ton bei scheinbaren Nichtigkeiten. (Den Unterschied zwischen scheinbar und anscheinend kennen alle, oder)
Šarru-kīnu
Hier nur auf Tarifbeschäftigte abzustellen beschönigt doch sogar noch die eigentliche Situation. Hier bei uns in der Region zahlt sowieso nur der ÖD nach Tarif. Dafür verdienen 48% aller Beschäftigten lediglich den Mindestlohn.
lesnmachtdumm
KAUM
zu erwarten, dass es bei der Entlohnung, sprich dem Lebensstandard, noch nennenswert 'Fortschritt' geben wird. Wenn überlall ein Ausgleich des Lebenskostesnstiegs in tatsächlicher (!) Höhe erreicht würde (Mieten ...), wäre wahrscheinlich das schon so ziemlich Ende Fahnenstange. Noch besser kann das System nich. Wer weiß ein besseres ?
Rudi Hamm
"Das liegt AUCH daran, "
Vergessen sie nicht die anderen "auch", wie z.B. Energiekosten, Bürokratie, zusätzliche Steuerbelastungen, Umweltauflagen, etc., welche die deutschen Unternehmen in tiefe Rezession versetzt. Nur gesunde Unternehmen können und sollen gute Löhne zahlen, aber Deutschland krankt, während es den anderen EU-Ländern gut geht.
Littleneo
Ohne Kaufkraft gibt es nur Wachstum von Extern.
So viel zu unserer schlechten Wachstumsprognose der Wirtschaft.
Dietmar Rauter
Ein großes Problem: Es gibt einige Gruppen, die bessere Chancen im Tarifstreit haben, etwa Lokführer oder qualifiziertes Pflegepersonal, auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Für Andere, auch Rentner gilt das nicht, eher im Gegenteil: Wenn Preise steigen, fehlt ihnen ein Ausgleich. Nicht zuletzt werden die Preiserhöhungen aufgrund der Klimaänderungen, z.B. durch Überschwemmungen in der Landwirtschaft oder durch Steuererhöhungen bei Gaststätten dazu führen, dass insgesamt Kaufkraft in der Breite verloren geht, das wiederum die Geschäfts- und Ertragsaussichten vieler Selbstständiger gefährdet und einen Strudel auslöst, der Geldentwertung und Inflation erhöht. Wenn jetzt nicht vermeidbare Energie und Heizkostenerhöhung das verfügbare Einkommen zusätzlich einschränken, verschlechtert es die Aussichten für z.B. Autoindustrie, Haushaltsgerätehersteller und führen zu einer riskanteren Kreditwirtschaft und höheren Zinsen. Da hilft auch keine Reduzierung der Arbeitszeit ausgerechnet in für Viele relevanten Arbeitsbereichen.
Chris Ehl
@Dietmar Rauter Wer wie sie nur die Wirtschaft im Blick hat, sollte man anfangen sich zu fragen, wer die Güter, Produkte, Dienstleistungen am Ende bezahlt...selten sind es andere Unternehmen. Lohnerhöhungen gehören neben Sondervermögen x und y, Steuervergünstigungen von Unternehmenssparten hier und da, eben dazu.
Auch das Thema Rentner gegen Tariflöhner ist nicht wirklich zielführend, ihren Wink mit dem zaunpfahl gegen Personen die starke Arbeitnehmerverbände besitzen, ist denke ich kaum zu übersehen. Am Ende soll es bei Ihnen die Wirtschaft richten, oder "regeln". Nur die macht es gerade nicht. Aber aufregen gegenüber jenen die ihr Recht ausüben ist halt einfacher...