Holpriges Fußball-Deutsch im TV: Der Fußball kommt zum Abschluss
Reporterinnen und Reporter reden immer öfter gekünstelt, unverständlich und letztlich falsch über den Fußball. Warum denn eigentlich?
Haben Sie Vertrag?“, fragte einst Moderatorin Dunja Hayali im ZDF-„Sportstudio“ einen Spieler. Und der antwortete: „Ich habe noch nicht Vertrag.“ Die Journalistin steht mit ihrer falschen Grammatik zur besten Sendezeit nicht alleine da. Auch solche Sätze sind in Fußballreportagen zu hören: „Geht weiter mit Einwurf.“ Oder: „Aber Spiel geht weiter …“ So formulierte es jüngst Claudia Neumann als Kommentatorin während des WM-Spiels der Frauen Deutschland gegen Südkorea.
Kurze, abgehackte Sätze sollen Spannung und Dynamik erzeugen – aber muss es denn so oft unvollständiges und damit falsches Deutsch sein?
In den deutschen TV-Fußballreportagen haben sich Reporterinnen und Reporter in letzter Zeit eine Sprache geschaffen, die mit dem Wort „Kauderwelsch“ nur milde umschrieben ist.
Zweifellos ist die Fähigkeit vieler bewundernswert, blitzschnell eine hektische Situation in der „Box“ (früher „Strafraum“ ) zu erklären sowie ein Spiel zu analysieren und zu kommentieren, bevor der Schlusspfiff ertönt.
Ständig wird „umgeschaltet“
Und Sprache wandelt sich. Wir alle reden nicht mehr wie unsere Vorfahren im Mittelalter und auch nicht wie unsere Eltern. Aber was jetzt zu hören ist, ist schlicht manieriert und pseudo-abstrakt.
Es ist zum Beispiel von „Unterschiedsspielern“ die Rede. Diese spielen nicht etwa die neue Sportart „Unterschied“. Sie sind einfach sehr gut. Da wird ständig „umgeschaltet“, da ergeben sich „Umschaltsituationen“ oder auch nicht. Zuweilen „setzen“ Spielerinnen und Spieler „mehr und mehr auf Umschalten“.
Und da wird in die „Schnittstelle gespielt“. Da werden „Räume aufgetan“ und gegebenenfalls „enger“ gemacht. Manchmal sind es nur „Halbräume“. Da werden Spielanteile „gesucht“ und „Abläufe“ beschworen, in denen ein Spieler womöglich auch noch „den Fuß hat“.
Der Abschlussabschließer
Die Reporterinnen und Reporter analysieren die „Körpersprache“, die in das Spiel „gebracht“ wird – ohne zu sagen, was sie eigentlich konkret meinen. Lassen die Akteure Köpfe und Schultern hängen, laufen sie zu langsam?
Die Fußballerinnen und Fußballer schießen nicht mehr, sondern kommen „zum Abschluss“, nachdem sie ihn, versteht sich, zuvor „gesucht“ haben. Zum „Abschluss“ kommt aber oft erst, wer in die „Tiefe gekommen“ ist beziehungsweise wer sie „gesucht“ hat wie ein Taucher oder Bergmann. Es fehlt nur noch, dass ein Torschütze zum „Abschlussabschließer“ befördert wird. Vom „Abschlussspieler“ ist bereits die Rede.
Hübsch wird es, wenn jemand in der „Spitze die Breite“ gesucht hat, komplizierter, wenn sie oder er eine „Gegenbewegung orchestriert“ hat und womöglich zuvor „gegen den Ball gearbeitet“.
Die sprachliche Tiefe suchen
Ein Ball wird nicht mehr angenommen, gestoppt, ge- oder verpasst. Nein, er wird „verarbeitet“. Noch geschwurbelter klingt es, wenn der Ball zum „Spielgerät“ befördert wird. Man stelle sich nur vor, wie auf dem Feld Spielgeräte in der Tiefe verarbeitet werden.
Warum verbiegen die Reporter die Sprache so? Warum werfen sie uns Zuschauerinnen und Zuschauern solche verqueren Sprachkonstruktionen um die Ohren, die zuweilen an die Hörsaal-Sprache von Soziologen erinnern?
Liegt es daran, dass Fußball schneller und komplizierter geworden ist? Viererkette, Fünferkette, Sechser und Doppelsechs, Taktik hier, Taktik dort – vermeintlich schwierige Sachverhalte erfordern offenbar eine neue, komplizierte Sprache, auch wenn womöglich nur noch wenige wissen, was genau gemeint ist.
Oder fühlen sich zu viele Sportreporter in die Show-Ecke abgedrängt, nicht mehr ernst genommen? Versuchen sie deshalb, einfache Sachverhalte wie einen banalen Torschuss oder einen genialen Pass sprachlich zu erhöhen? Wollen sie sprachliche „Tiefe suchen“, da, wo es eigentlich flach ist, bis ihnen keiner mehr folgen kann oder – nicht mehr will?
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