Hilfe für Gaza: Eine Waffenruhe ist kein Friedensplan
Für die Menschen in Gaza geht es vor allem um schnelle Hilfe. Diskutiert wird über den Einfluss des designierten US-Präsidenten Trump.
Guten Willen zu zeigen, sieht anders aus. Am Mittwochabend feiern Menschen auf den Straßen des Gazastreifens zunächst einen Geisel-Waffenstillstands-Deal. Doch schnell haben sie es wieder eilig, nach Hause zu kommen. Denn die Nachricht verbreitet sich, dass die israelischen Angriffe noch in derselben Nacht weitergehen. Bis zu den Morgenstunden sind mehrere Dutzend Palästinenser, darunter auch Kinder, tot.
Der israelische Premier Benjamin Netanjahu möchte anscheinend noch einmal Stärke zeigen, bevor ein Waffenstillstand am Sonntag in Kraft treten könnte, wohl auch um seiner eigenen rechten Koalition zu beweisen, wer immer noch der vermeintliche Herr im Hause Gaza ist. Die Angehörigen der israelischen Geiseln sorgen sich deshalb, dass der Deal vor seiner Implementierung noch platzen könnte – während die Familien in Gaza, die nun 15 Monate Hölle überlebt haben, zusammensitzen und hoffen, dass sie auch noch die nächsten Stunden und Tage unbeschadet bleiben, bevor es dann vorbei sein soll. Für die Menschen im Gazastreifen geht es vor allem um eines: dass endlich die Waffen schweigen, dass sie nicht mehr Tag und Nacht Angst haben müssen, bombardiert zu werden.
Aber selbst wenn dieser Wunsch am Sonntag dann tatsächlich in Erfüllung geht, wird es für sie auch ganz schnell um andere Dinge gehen, denn die verzweifelte Wunschliste ist lang. Neun von zehn palästinensischen Familien im Gazastreifen wurden laut UN-Angaben seit Beginn der israelischen Offensive aus ihren Häusern vertrieben. Sie leben meist in Zelten oder selbst gezimmerten Verschlägen. Für sie geht es jetzt konkret darum, wie schnell sich die israelische Armee zurückziehen könnte, um ihren Weg nach Hause freizumachen.
Und über all dem steht natürlich die Versorgungsfrage, an der die Menschen in Gaza einen Deal messen werden. Die 2,3 Millionen Einwohner des Streifens sind 15 Monate lang ausgehungert worden. Ihre Behausungen sind nicht winterfest. In den letzten Wochen sind acht Babys in den Zelten und Verschlägen erfroren.
Wer dort lebt, dem kann es nun gar nicht schnell genug gehen, dass Lkws mit Nahrungsmitteln und Winterkleidung kommen – die dann auch erst mal verteilt werden müssen. Und das bleibt eine große logistische Herausforderung, selbst wenn die Hilfslieferungen in großem Stil, wie vereinbart, von israelischer Seite zugelassen werden. Das gilt umso mehr, da das Palästinenser-Hilfswerk UNWRA, die UN-Organisation, die als Einzige das Personal hat, diese Logistik durchzuführen, von Israel als angeblicher Terrorbeihelfer delegitimiert wurde.
Zwei Forderungen der Hamas
Die Hamas wiederum hatte zwei Forderungen für den Deal: den vollständigen Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen und, dass ein permanentes Ende des Kriegs festgeschrieben wird. Das Erste haben sie erreicht, sollte der Deal zustande kommen: den vollständigen Rückzug in mehreren Phasen.
Wenn der Deal eingehalten wird, wird es am Ende keine israelische Pufferzone im Norden des Gazastreifens mehr geben und keine israelische Truppenpräsenz zwischen dem Gazastreifen und der ägyptischen Grenze. Und so mancher Traum der rechten israelischen Siedlerbewegung, im Gazastreifen wieder einzuziehen, würde enttäuscht.
Bei der zweiten Forderung, dem Festschreiben eines permanenten Waffenstillstands und einem Ende des Krieges, ist die Hamas gescheitert. Netanjahu hat sich dem verweigert, aus Angst, dass ihm das als Niederlage angerechnet wird. Schließlich hatte er sich die Zerstörung der Hamas auf die Fahnen geschrieben. Netanjahu möchte sich die Tür offenhalten, diesen Krieg nach der Freilassung der Geiseln weiterzuführen.
Kann es eine politische Lösung geben?
Diese Tür geschlossen zu lassen, wird aber am Ende entscheiden, ob man zu einer größeren politischen Lösung kommen kann. Denn eins ist klar: Ein Waffenstillstand bedeutet noch lange nicht, dass die darunterliegenden Probleme gelöst sind. Im Moment gibt es noch nicht einmal einen Plan, wer den Gazastreifen verwalten und regieren soll.
Vonseiten Washingtons hieß es bisher, dass eine reformierte palästinensische Selbstverwaltungsbehörde diese Aufgabe übernehmen könnte. Die residiert im Moment nur in Ramallah im Westjordanland. Vonseiten Israels gibt es dazu bisher keinen ernstzunehmenden Plan.
Und da haben Palästinenser, Israelis und die internationale Gemeinschaft noch nicht einmal begonnen, über einen möglichen palästinensischen Staat und eine Zweistaatenlösung zu sprechen, also einer langfristigen und nachhaltigen Lösung des Problems. Das scheint mit der gegenwärtigen rechten Regierung in Israel auch unmöglich zu sein. Im Gegenteil, dort spricht man darüber, dass man, um den Rechten den Gaza-Deal schmackhaft zu machen, sich nun mehr auf eine weitere israelische Besiedlung des Westjordanlandes konzentrieren möchte. Da das israelisch besetzte Westjordanland ein Teil eines palästinensischen Staatsgebiets im Rahmen einer Zweistaatenlösung wäre, würden damit weiter Fakten gegen eine große politische Lösung geschaffen. Von einer wirklichen Lösung der Palästinenserfrage ist man damit nicht meilenweit, sondern mehrere Universen entfernt.
Hier kommt Trump ins Spiel
Und hier kommt der designierte US-Präsident Donald Trump ins Spiel, dessen Intervention der Geisel-Waffenstillstands-Deal geschuldet ist. Aber auch da bleibt eine palästinensische Skepsis. In den arabischen Medien wird spekuliert, was Trump Netanjahu im Gegenzug für die Unterzeichnung dieses Deals versprochen hat, der für ihn und sein Kabinett so schwer zu schlucken ist.
Zwei Dinge werden dabei immer wieder genannt: Freie Hand für Netanjahu und seine rechte Siedlerkoalition im Westjordanland. Oder dass Netanjahu den Krieg in Gaza nach der Freilassung der Geiseln wieder aufnehmen kann, und er dafür grünes Licht aus Washington bekommen wird.
All das würde einem anderen erklärten Ziel Trumps widersprechen: Er würde gerne in die Geschichte eingehen als der US-Friedenspräsident, der eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der arabischen Welt und Israel, allem voran zwischen Israel und Saudi-Arabien erreicht hat. Und Saudi-Arabien besteht auf einer langfristigen Lösung des Nahostkonfliktes. Trump bleibt im Nahen Osten also das, was er schon immer war: eine nicht lenkbare Rakete, von der niemand weiß, wo sie nach einem Waffenstillstand in Gaza genau einschlagen wird.
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