Hassrede nach Vergewaltigungsprozess: Die standhafte Richterin
Die Hamburger Jugendrichterin Anne Meier-Göring wird seit Dienstag im Internet mit Hass überschüttet. Dabei ist sie mutig und klug.
Die Prozessbeteiligten hatten anderthalb Jahre lang unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die mehrfache Vergewaltigung einer 15-Jährigen im September 2020 im Stadtpark verhandelt. Im Corona-Lockdown war der Stadtpark zeitweise der einzige Ort gewesen, wo sich Jugendliche treffen konnten. Während eines abendlichen Besäufnisses mit Tausenden Jugendlichen nutzten neun von ihnen die Trunkenheit der 15-Jährigen aus und vergewaltigten sie in den Büschen.
Meier-Göring sprach am Dienstag alle Angeklagten schuldig und verhängte für acht von ihnen Jugendstrafen von bis zu zwei Jahren auf Bewährung. Für einen 19-Jährigen ordnete sie eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten an. Seitdem tobt in den sozialen Netzwerken der Mob. Die User*innen nennen Meyer-Göring „die Schande von Hamburg“ und wünschen ihr, sie möge selbst vergewaltigt werden.
Vielleicht würde der Hass nicht so überschäumen, wären die Verurteilten weiße Deutsche statt Jugendliche mit Migrationsgeschichte, und wäre die Richterin keine Frau. Zudem ist Meier-Göring nicht irgendeine Frau, sondern eine sehr mutige und kluge. Schon oft hat sie durch ihre Rechtsprechung gezeigt, dass sie sich nicht von öffentlicher Meinungsmache unter Druck setzen lässt und keine Angst hat, staatliche Stellen zu kritisieren.
Kritik an den Ermittlungen der Polizei
Dafür wurde sie bislang von verschiedenen Seiten angefeindet: Beim G20-Elbchaussee-Prozess 2018 schossen ihre Kolleg*innen aus dem Justizapparat schon gegen sie, bevor sie die Hauptverhandlung überhaupt eröffnet hatte. Mit dem Urteil dann stellte sich Meier-Göring gegen die windige Rechtsauslegung der Staatsanwaltschaft, die alle am Protest Beteiligten in Sippenhaft für den Sachschaden nehmen wollte. Stattdessen äußerte die Richterin massive Kritik an den Ermittlungen der Polizei.
Schon 2016 hatte sie im Prozess wegen sexueller Nötigungen an Silvester auf dem Kiez Bestürzung über die stümperhafte Polizeiarbeit geäußert.
Bei Verhandlungen wie dem Stadtpark-, G20- oder Silvester-Prozess liegt viel Druck auf den Richter*innen – die Öffentlichkeit hat oft schon geurteilt, bevor die Verhandlung abgeschlossen ist. Es macht Mut, dass Meier-Göring sich davon nicht bedrängen lässt. Möge sie die Hatespeech ignorieren oder anzeigen – und standhaft bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands