Handgranaten-Anschlag in Villingen: Viele Fragen an die „Soko Container“
Zu Besuch in Villingen-Schwenningen, wo eine Granate auf ein Flüchtlingsheim geworfen wurde. Die Polizei präsentiert erste Ermittlungsergebnisse.
Was da passierte, in der Nacht, in Villingen? Polizeichef Ralf Thimm kann nur Folgendes sagen:
Um 1:29 Uhr ging die Polizeimeldung ein: Vermutlich sei eine Handgranate geworfen worden.
Spätestens um 3:25 Uhr, mit dem Eintreffen der Entschärfer, löst sich der Konjunktiv auf. Die Granate ist definitiv mit Sprengstoff gefüllt.
Um 5:08 Uhr sprengen die Experten sie in die Luft.
Zu diesem Zeitpunkt sind die unmittelbaren Anwohner evakuiert, das Gelände rund um das Rutschgerüst, wo die Granate gelandet war, mit Heuballen abgesichert.
Die Polizeibeamten kennen noch mehr Konjunktive: vermutlich sei ein fremdenfeindlicher Hintergrund nicht auszuschließen.
Die Granate des Typ M52 mit Kipphebelzündung landete direkt neben dem Sicherheitscontainer der Erstaufnahme. Andreas Stenger, leitender Kriminaldirektor, führt vor und erklärt. Wenn man den Sicherungsring zieht, hat man noch vier Sekunden bis der Detonator zündet, der zur Explosion der Granate führt. Der Sicherungsring sieht aus wie ein Schlüsselring.
Der Zünder wurde noch nicht gefunden
Das Ganze gleicht einem sperrigen Accessoire, das vermutlich auf illegalem Weg nach Deutschland gelangt ist. „Während des Bürgerkriegs auf dem Westbalkan weit verbreitet – so kommen die Dinger in den Umlauf“, sagt Stenger. Das Ding, das letzte Nacht über den Zaun flog, wird jetzt analysiert. Den Zünder haben die Sprengstoffexperten nicht gefunden. Die Stahlummantelung verhindert eine klare Röntgeneinsicht.
Detoniert die M52, dann ist die Wirkung stärker als ein Schusswaffenprojektil. Im Umkreis von 10-20 Metern kann sie Menschen töten. Aber nicht hinter soliden Mauern.
Die Straße, von der aus die Granate geworfen wurde, ist auch um ein Uhr nachts hellbeleuchtet. Ein Ziel wäre demnach klar zu erkennen gewesen. Vielleicht ist das Geschoss am Bauzaun abgeprallt, mutmaßen die Beamten. Das wäre eine Erklärung. Aber dann wäre der Werfer entweder sehr ungeschickt oder sehr dämlich oder beides. Ging es um Angstmache? Die Beamten wissen es nicht.
In der Nacht auf Freitag waren in dem Container lediglich drei Sicherheitsmänner anwesend. Sie waren es, die die Polizei informierten, nachdem sie draußen ein Geräusch gehört hatten. Zeugen gibt es – noch – keine. Und die Lage vor Ort sei auch jetzt ruhig, sagt Klemens Ficht, Freiburger Regierungsvizepräsident. Am Tatort, in der Dattenbergstraße, leben 104 Flüchtlinge. Hauptsächlich Syrer, Afghanen und Iraker. Die Einrichtung ist eigentlich auf 1.200 ausgelegt.
In der Dattenbergstraße bröckelt der Putz von den Balkonen und die türkisen Briefkästen sind mit Panzertape verklebt. Im Fenster von Gebäude D13 hängen Weihnachtssterne aus Papier. Der Rest ist Tristesse. In ihrer Mitte essen die Männer vom Sicherheitsdienst türkische Pizza. Neongelbe Jacken, die meisten sprechen arabisch.
„Klar, Arschlöcher gibt’s immer“
Vor einer Minute war Feierabend, sagt einer – und dass sie hier keine Probleme haben. Nicht mit den Anwohnern, nicht mit den Flüchtlingen, nicht mit den Angestellten. Sie glauben nicht, dass der Anschlag den Asylbewerbern galt. „Klar, Arschlöcher gibt’s immer – aber wir ziehen hier alle am selben Strang“. Die Nachbarn helfen, wo sie können, und spenden, was gebraucht wird. Vielleicht, denken sie, wollte da einer ein bisschen Panik machen. „Die Leute sind nett zu uns“, sagen auch die zwei jungen Syrer, die gerade vom Deutschunterricht kommen.
Wohlgesonnen sind ihnen sicher nicht alle. Auch in Villingen-Schwenningen gibt es eine immer stärker werdende rechte Szene. Am vergangenen Mittwoch erst wurde Ralph Thomas Kästner, Ordner der örtlichen Pegida, verhaftet. Daraufhin gab es einen Nazi-Aufmarsch in der Innenstadt. Sind sie involviert? Die Polizeibeamten können nichts dazu sagen.
Um 16:49 Uhr fällt das Absperrband. Ein paar Anwohner der Dattenbergstraße schauen noch argwöhnisch aus den Fenstern, aber der Tatort ist wieder frei. Ein kleiner Junge spielt Fußball neben den Heuresten, die die Entschärfer hinterlassen haben. Wenige Gärten weiter schaukeln zwei Mädchen um die Wette. Fast, als sei gar nichts passiert, gestern Nacht.
Angstmache? Sie lassen sich keine Angst machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Sicherheitsleck in der JVA Burg
Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen