Hamas und Israel: Krieg der Bilder
Die Hamas hat ihren Krieg penibel vorbereitet, um den Image-Schaden für Israel möglichst groß ausfallen zu lassen. Aber nicht nur deshalb bröckelt die internationale Solidarität mit Israel.
W as sich in Nahost abspielt, ist auch ein Krieg der Bilder, ein Kampf um Narrative, um Verständnis und Solidarität. Als diese Woche Babys in einem Krankenhaus in Gaza in Lebensgefahr schwebten, stellte sich in Israel eine Frau, weiß gekleidet wie eine Krankenpflegerin, vor einige Brutkästen und sagte in die Kamera: „Israel ist bereit zu helfen.“ Die Armee werde die Brutkästen nach Gaza liefern. „Unser Krieg ist gegen die Hamas, nicht gegen die Menschen in Gaza.“
Eine klare Nachricht an alle, die nicht wahrhaben wollen, dass Israel von einer Terrororganisation in diesen Krieg gezwungen wurde und offenbar – trotz der enorm hohen Zahl getöteter Zivilist*innen – bemüht ist, das Allerschlimmste zu verhindern. Armeesprecher Daniel Hagari fuhr selbst ins Kriegsgebiet nach Gaza-Stadt, um in fließendem Englisch durch Waffenlager und Geiselverstecke der Hamas zu führen, die Israels Truppen dort eigenen Angaben zufolge unter Krankenhäusern entdeckt hatten.
Die Aufnahmen erreichten die Wohnzimmer weltweit. Auch die „Tagesschau“ brachte die Bilder. Im Netz bekommen die Posts der israelischen Armee regelmäßig hunderttausende Klicks. Die Liste der öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Medienarbeit ist lang und nicht auf das Netz beschränkt. In Berlin, Paris und Washington haben die Parlamentarier*innen einen grauenhaften 40-minütigen Film zu sehen bekommen, ein Zusammenschnitt von Aufnahmen des Hamas-Massakers.
Auch die taz und andere Medien wurden in der israelischen Botschaft empfangen, um sich das „Rohmaterial“ anzuschauen. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit, so scheint es, die der Terrorpropaganda der Hamas und ihrer antiisraelischen Sympathisanten ein anderes Bild entgegensetzt: das eines Staates, der sich berechtigterweise gegen Terroristen verteidigt, dabei aber Humanität bewahrt und palästinensische Zivilist*innen verschont.
Strategisch katastrophal
Man muss sich allerdings verwundert die Augen reiben, wenn man hört, wie ein israelischer Minister tatsächlich von einer „Gaza-Nakba“ spricht; ein anderer empfiehlt „freiwillige Migration“ der Palästinenser*innen als „humanitäre Lösung“. Und aus Regierungskreisen in Jerusalem wird ein Dokument geleakt, in dem die Vertreibung der gesamten Bevölkerung aus dem Gazastreifen empfohlen wird. Hieß es nicht, dieser Krieg gelte allein der Hamas, nicht der Bevölkerung?
Regierungschef Benjamin Netanjahu pfiff letzte Woche seine Minister*innen zurück. Wer sich öffentlich äußere, müsse mehr Fingerspitzengefühl zeigen. Kontraproduktiv in ihrer Außenwirkung ist auch die Armee unterwegs: Wozu das Foto schwer bewaffneter Soldaten, die diese Woche mit Israelflagge im frisch eingenommenen Parlamentsgebäude von Gaza-Stadt vor der Kamera posierten? Natürlich: Das existenziell bedrohte Land muss nach dem Schock vom 7. Oktober seine Abschreckungskraft wiederherstellen.
Und klar: Anzunehmen, dass die Israelis im Gazastreifen selbst als Befreier statt als Eroberer empfangen werden, wäre ohnehin weltfremd. Aber den militärischen Erfolg derart als Eroberung in Szene zu setzen und die Öffentlichkeit im Westen und auch in den arabischen Ländern mit entsprechenden Bildern zu versorgen, ist strategisch katastrophal – und untergräbt Israels aufwendige Öffentlichkeitsarbeit.
Wirklich tragisch ist, dass jede Eroberungsgeste und jede Nakba-Äußerung der Hamas direkt in die Hände spielt. Der Terrorgruppe geht es nicht darum, die weit überlegene israelische Armee militärisch zu besiegen, sondern darum, den jüdischen Staat zu delegitimieren. Sie hat diesen Krieg lange und penibel vorbereitet, um den Image-Schaden für Israel möglichst groß ausfallen zu lassen. Dazu dienen ihr die Krankenhäuser, unter denen sich die Terroristen mutmaßlich verstecken.
Dazu dient ihr das weite Tunnelnetzwerk unter ziviler Infrastruktur, in dem die Kriegsführung für Israel enorm schwierig ist, vorausgesetzt, man will sich so weit wie nur möglich an völkerrechtliche Standards halten. Die Zerstörung des gesamten Netzwerks würde mit einem „zivilen Kollateralschaden“ einhergehen, der international kaum akzeptiert werden würde. Israel kann es also nur falsch machen.
Vor diesem Hintergrund bieten Israels Armee und die derzeitige in Teilen rechtsextreme Regierung eine enorme Angriffsfläche. Wer zweifelt, ob sich Israel wirklich nur gegen die Terroristen der Hamas selbst verteidigt, findet reichlich Stoff für Gegenargumente. Je mehr sich Israel als Eroberer in Szene setzt und je öfter Minister*innen von Nakba, Vertreibung, ja sogar von einem Atomwaffeneinsatz im Gazastreifen faseln, desto weiter rückt das Ziel in die Ferne, Verständnis für und Solidarität mit Israel zu erzeugen in diesem berechtigten Krieg gegen die Hamas.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe