Habecks Kehrtwende: Gasumlage zurück auf Start
Sogar der Koalitionspartner SPD meckert über Minister Habeck und seinen Plan. Die Bundesregierung möchte sich alles „nochmal genau angucken“.
Berlin taz | Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist mit seiner Entscheidung, Gasimporteure mit einer Umlage zu retten, in ein politisch heikles Unterfangen hineingestolpert. Juristisch ist das Konzept verzwickt, weil die Umlage einerseits, wie es Habeck formulierte, „einer Rechtsnorm verpflichtet“ sei. Das heißt: Vor dem Gesetz sind alle Firmen gleich. Jedes Unternehmen, das Erdgas neu beschaffen muss, das ursprünglich aus Russland kommen sollte, hat Anrecht auf Aushilfe. Gerade das sorgt aber für politische Unruhe, weil nicht alle Unternehmen, die Ansprüche angemeldet haben, auch bedürftig sind.
Nun sollen nur solche Firmen Unterstützung bekommen, die sie auch benötigen. „Trittbrettfahrer“ wolle er aussortieren, sagte Habeck am Freitag. Auf diese entfallen bislang knapp 10 Prozent der Umlagegelder in Höhe von 34 Milliarden Euro. Die Umlage soll ab Oktober gut 2,4 Cent pro Kilowattstunde für Endverbraucher betragen. Für einen vierköpfigen Durchschnittshaushalt sind das etwa 480 Euro plus Mehrwertsteuer im Jahr.
Dass einige Versorger wie die österreichische OMV in ihren Bilanzen Gewinne ausweisen, hatte für Kritik gesorgt. „Bei der Auszahlung muss klar sein: Ist es notwendig? Braucht das Unternehmen diese Unterstützung, um weiterhin auch die Versorgung sicherzustellen?“, sagte SPD-Co-Chefin Saskia Esken.
Eine rechtssichere Abgrenzung ist nicht trivial. Man stelle sich eine Konzerntochter vor, die ins Minus geraten ist, während zugleich der Mutterkonzern gut dasteht, weil eine andere Konzerntochter durch hohe Gaspreise gut verdient. Es habe bislang – trotz „einer Legion von Juristen“, mit denen er im Austausch gewesen sei – niemand gewusst, wie sehr der Gasmarkt verflochten ist, begründete Habeck das bisherige Konzept.
Tricksen ist auch nicht gut
Gleichwohl: Die Bundesregierung werde sich alles „jetzt noch mal genau angucken“. Moralisch sei es nicht richtig, dass Unternehmen, die „ein Schweinegeld verdient haben“, von den Gaskunden gestützt werden. Allerdings: Wenn man anfange zu tricksen und ein Konzept entwickle, das klageanfällig ist, werde „garantiert geklagt werden“, so Habeck.
Juristen prüfen ohnehin längst, ob die Umlage verfassungswidrig ist. Die Wirtschaftskanzlei Raue in Berlin hat bereits verfassungs- und europarechtliche Bedenken zusammengefasst. Gegen Europarecht könnte die Umlage als nicht genehmigte Beihilfe verstoßen. An welchen Stellschrauben Habeck nun drehen wird, um ein Modell zu entwickeln, das einerseits rechtssicher ist, andererseits dem gesellschaftlichen Gerechtigkeitsempfinden genügt, ist bislang unklar.
Leser*innenkommentare
stadtlandmensch
Verluste sozialisieren. Gewinne privatisieren. Grüne Risiko-Versicherung für Großkonzerne, AKW-Betreiber, Energiemultis...
Krieg ich das auch, wenn ich ins Spielkasino gehe?
Thüringer
Einige grundsätzliche Gedanken hierzu:
1. Die "Gaskriese" ist das vorhersehbare Resultat der durch die EU und die Bundesregierung beschlossenen Sanktionspolitik.
2. Die Sanktionen wurden also nicht durch die Gaskunden beschlossen, sondern vonSPD, Grünen und ! der FDP !
(Auch wenn jetzt einige Herrschaften nichts mehr davon wissen wollen !)
Ergo wäre also die "Rettung" systemrelevanter Gasimporteure eindeutig eine "gesamtgesellschaftliche" Aufgabe und somit zwingend (!) aus dem Staatshaushalt zu finanzieren !!!
3. Daß der FDP-Finanzminister diese Steuerfinanzierung ablehnt, ist letztlich eine Folge seiner offensichtlichen Klientelpoliti (siehe Tankrabatt).
Sein Hinweis "nicht im Koalitionsvertrag" ist - mit Verlaub - eine dumme Ausrede, der Ukrainekrieg steht auch nicht im Koalitionsvertrag !!!)
4. Daß jetzt auch sehr gering betroffene
Gasunternehmen Geld aus dem Hilfetopf haben wollen, ist bezeichnend für die "Mitnahme-Mentalität" dieser Unternehmen !
(Vergl.: Mitnahme von Kurzarbeitergeld mit anschließender Zahlung von Rekorddividenden an Unternehmenseigner/ Aktionäre)
Getreu dem Motto: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren!!
Rudolf Fissner
"„Trittbrettfahrer“ wolle er aussortieren,"
Momentmal. Da ist niemand auf eine Straßenbahn aufgesprungen. Da gabes eine offizielle Einladung zur Party von ganz oben!
Dietmar Rauter
Was ist der Unterschied zwischen Franz Josef Strauß und Robert Habeck? Bei Strauß wusste man, wo er stand…
Nansen
Der grüne Goldjunge Robert steht auf einmal nackig da?
Wenn sogar CDU-Leute davon reden, dass Verluste sozialisiert würden, dann muss schwer was schief laufen.
Anna Deiport
Ja, nun wird langsam allen klar, dass der Habeck auch mit Wasser kocht.
ke1ner
@Anna Deiport 》... dass der Habeck auch mit Wasser kocht.《
Tut ja jede*r (sonst wär's ja dünsten oder braten).
Trotzdem ist einer, der nur Kaffee, Tee oder Eier kann (kochen), dann als Koch ne krasse Fehlbesetzung.
Eigentlich ist er ja wohl auch eher Kellner, die Gasumlage, so wie er sie ausgestaltet hat, eigentlich klassische schwarz-gelbe Politik - Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren.
Nur eben so plump gemacht, dass selbst Union und FDP nicht mitziehen wollen.
Knackpunkt in H.'s Argumentation ist der Gleichbehandlungsgrundsatz, der es eben gebiete, auch Unternehmen, die boomen, diese Umlage zuzuschaufeln - der Fehler dabei ist die Fixierung auf Russland, Gas aus Russland als Ausgangspunkt.
Denn nur Gleiches muss gleich behandelt werden, wenn "russisches Gas" als Bezugspunkt gewählt wird, klar, kriegen alle Kohle.
Diese Wahl ist aber blödsinnig. Relevant für eine Stützung durch den Staat kann ja nicht die Bezugsquelle sein (es sei denn, es geht um einen Wirtschaftskrieg), sondern muss die Systemrelevanz und die Kapazität der Unternehmen sein: wie wichtig ist ihr Beitrag, und sind sie in der Lage, ihn alleine zu leisten (fast pleite oder nicht)?
Die grünen Minister*innen Habeck und Baerbock haben sich fürchterlich in einer Kriegslogik verheddert, die ihnen den Blick auf Lösungen versperrt (Baerbocks ständige Wiederholungen etwa, mit Russland gebe es nichts zu verhandeln, sind im Grunde das Gleiche: nicht nur eine Art Diplomatie-, also Arbeitsverweigerung, sondern angesichts der von der Ukraine unter Vermittlung der UN und der Türkei mit Russland verhandelten und inzwischen wieder aufgenommenen Getreidelieferungen auch kontrafaktisch).
resto
@ke1ner Ich weiß nicht, ob die Minister:innen sich verheddert haben, oder ob sie lediglich ganz im Sinne der bei den Grünen tief verankerten transatlantischen Logik handeln. Eigenständiges Denken bzw. unabhängige Interessen von Deutschland zählen da gar nicht oder hat es gleich gar nicht zu geben.
Tiene Wiecherts
@Anna Deiport Das ist ja nichteinmal Wasser, sondern bestenfalls heiße Luft!
"Es habe bislang ... niemand gewusst, wie sehr der Gasmarkt verflochten ist, begründete Habeck das bisherige Konzept."
Echt, niemand? Das erklärt Dir jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter im Gaseinkauf eines kleinen oder mittleren Stadtwerke-Unternehmens.
Unserer Minister ist schlicht eine plaudernde Dumpfbacke. Aber sowas liebt natürlich "die Wirtschaft", denn er schaufelt ihnen mit seiner Dummheit - oder ist das dann schon wieder Cleverness? - Milliarden in die Kasse und damit den Aktionären in die Tasche.
Rudolf Fissner
@Anna Deiport Nun wird sich zeigen, ob die
Konzepte der Besserwissenden überhaupt tragfähig sind und noch rechtzeitig wirken.
Bunkerratte
@Anna Deiport Und das deutlich länger als viele andere.
louisa
Die Beschaffung des Gases, das von einigen Importeuren an Großkunden wie z.B. Stadtwerke weitergegeben wird, beruht auf Verträgen, die gewisse Mengen Gas zur Grundlage hatten. Ausgangspunkt war dafür bei den Lieferanten das billige russische Gas, die Vor-Berechnungen dazu versprachen und erwirtschafteten den Unternehmen (und Aktienhaltern) enorme Gewinne. Gerade auch für Uniper und Fortum.
Nun ist der Markt anders als erwartet konstituiert. Es gibt weniger russisches Gas für bestimmte Länder, Gas aus anderen Quellen wurde aufgrund der Spekulationsgewinne teurer, vor allem weil eine Mangellage Monate im Voraus herbeigeredet wurde, die real noch nicht existiert.
Ideal für Gewinne an Börsen.
Uniper hatte durch E.Ons Beteiligung an NS 2 Verlustabschreibungen, ist über den Hauptanteilseigner mit 75% des finnnischen Staatskonzerns Fortum abgedeckt mit einem gewinnbringenden Energiemix.
Dennoch beurteilt das BMWK die Lage
als sei Uniper nicht in Hand eines Konzerns, der die Verluste selbst tragen könnte. Der Druck stammt von der finnischen Regierung.
Die Bundesregierung könnte Uniper direkt retten, wenn nötig, wie in der Bankenkrise oder in der Pandemie andere Unternehmen "gerettet" durch Steuermittel. Auch Steuern sind Lasten für Bürger und ungleich verteilt.
Gas an Privathaushalte geht in Mehrheit an Mieterhaushalte. Welcher Mieter sucht sich seine Energieform selbst aus?
Welche Unternehmen/Aktionäre hatten seit 1994 die Gaspolitik zu verantworten und profitierten davon?
Robert Habeck hatte mehrmals bekräftigt, dass er einen hohen Preis wünscht, um Haushalte zum Sparen zu zwingen; er glaubte noch vor der Bundestagswahl, dass Sozialgeldempfänger auf Staatskosten beliebig Energie (ver)heizen könnten.
Wer private Sparanreize über Staatssubvention bräuchte, dem würde Habeck sagen: Kriegste nicht, Alter.
Es ist entlarvend. Die gesellschaftliche Realität zeigt das Gegenteil.
Was hat das mit guter Energiepolitik zu tun, Aktionären Gewinne zu sichern?
Gerald Müller
Habeck ist ein Dampfplauderer der viel redet, betroffene handy-videos macht, so tut als ob er alle wirklich versteht ("He Alter.."), der aber erstens vom Fach wenig Ahnung hat und zweitens keinen halben Zug voraus denken kann. Das hat ihm in der Parteipolitik genutzt bzw nicht geschadet, aber jetzt wo Handlungen Konsequenzen haben, fällt er halt auf die Nase.. das war in Qatar so, dann in Kanada und jetzt halt mit der Gasumlage. Mal gespannt was als nächstes kommt. Und eine Strategie wie es mit der Energiewende im kurz-, mittel- und langfristigen Zeitrahmen vorangehen soll kann ich schon garnicht erkennen. Mit der Gasknappheit haben die Russen der Eergiewende den wichtigsten Baustein- die 25 bis 40GW Gaskraftwerke die die Ampel noch Ende 2021 angekündigt hatte - einfach herausgezogen und jetzt wackelt das ganze Gebäude ohne dass anscheinend irgendjemand weiss wie der Stein ersetzt werden soll. Wenn es nicht so ernst wäre, wäre es zum lachen..
ke1ner
@Gerald Müller 》Habeck ist ein Dampfplauderer der viel redet, betroffene handy-videos macht, so tut als ob er alle wirklich versteht ("He Alter.."), der aber erstens vom Fach wenig Ahnung hat und zweitens keinen halben Zug voraus denken kann《
Das sehe ich auch so - es kann aber sein, dass wir uns irren. Dass es viel schlimmer ist, insgesamt die Probleme, alle Krisen so komplex sind, dass sie kaum noch lösbar sind. Ein Indiz: der angeblich zu verworrene, verflochtene Gasmarkt - eigentlich müsste ein Wirtschaftsministerium trotzdem durchblicken.
Ein weiteres: Krieg ist immer auch eine Flucht vor einer zu komplexen Realität, Strukturen, in die sich alle so verkeilt haben, dass sie nur noch zerschlagen werden können.
Oder, ein letztes, dass eine Vergesellschaftung, Enteignung so wichtiger Unternehmen noch nicht mal diskutiert wird, obwohl das GG dies zuließe.
Nein, statt dessen bringt Habeck 'alternativlos' - und der vermeintliche Grund kann eigentlich nur die FDP, Koalitionsarithmetik sein: damit wird's aber virtuell statt sachorientiert.
Bolzkopf
Ich ja klar: Kein Konzern will einen Staatskredit in der Bilanz haben denn das vermindert die Eigenkapitalquote.
Beim Bürger ist es ja scheißegel - der ist ja nicht bilanzierungspflichtig.
Also lassen sich die Konzerne ganz gerne mal was schenken und tun natürlich die maßlosen Gewinne (auch der Vergangenheit) bei Zeiten selbst verschenken - in Form von Dividenden und Boni.
Also wie bekommt man diese staatliche Geldspritze irgendwie an die Konzerne, ohne die einfach mal zu beschenken aber auch ohne die Bilanz zu verhageln ?
Wie wäre es denn, wenn auf die gewährte Unterstützungsleistung in .. sagen wir mal ... 10 Jahren ... eine Steuer in gleicher Höhe fällig würde ?
Dann bleibt die Eigenkapitalquote unangestastet.
Ok: Die Liquidität nimmt ab - aber das macht ja nichts denn für die Rückzahlung müssen ja tatsächlich Rückstellungen gebildet werden.
Vllt rechnet mal ein WiWi-Prof das komplett für uns durch ... das wär' nett !
Nina Janovich
Statt Gasumlage sollte man es wie bei der Bankenrettung machen. Wenn Firmen, die für die Versorgungssicherheit relevant sind die Pleite droht, werden sie staatlich gerettet, allerdings sollte der Staat entsprechend der Rettungssumme Anteile erhalten, um auch an künftigen Gewinnen beteiligt zu werden. Logisch und moralisch wäre die Gegnfinanzierung aus einer Übergewinnsteuer hier das beste Instrument. Dann retten die Krisengewinner die Krisenverlierer.
Rudolf Fissner
@Nina Janovich Sie meinen der Staat sollte Banker statt Lehrer einstellen um all die Anteile dann auch managen zu können?
danny
@Nina Janovich Bankenrettungsartig - das liefe auf reine Verteilung der Kosten auf alle hinaus, egal ob sie Gas nutzen oder viel oder wenig. Und Lindner wollte seine Schuldenbremse, und zudem keine Übergewinnsteuer.
nutzer
Nennt sich das nicht bedürftigkeitsprüfung? Bei Hartz4 gehts doch auch.
Ich denke alle Hartz4 Empfänger würden jubeln, wenn sie alle gleich behandelt werden würden und Anspruch auf Leistung hätten, weil sie arbeitslos sind.
Ein Mensch.
@nutzer Das selbe hab ich auch gedacht - und dann kurz bitter gelacht! Kaum vorzustellen, dass einer Bundesregierung, in der sich (v.a.) die FDP befindet, die Bedürftigkeitsprüfung für Hartz4-Empfänger "durch ginge". Wenn zum x-ten Mal das "die Wirtschaft" gerettet wird, kann sowas dann schon mal vorkommen - Autokonzerne konnten ja auch Dividenden verteilen und gleichzeitig Corona-Rettungs-Pakete schlemmen. Die Dreistigkeit liegt darin, dass das Messen mit mehrerlei Maß nicht einmal im Verborgenen geschieht. Alles ganz offen und ehrlich und dabei "Gratismentalitäten und linkes Framing" anprangern. Pisperesk. Herrlich.
Taztui
Die Regierung kann ja gerne nochmal gucken. Aber der laue Sommer geht langsam vorbei.
Derzeit erhalten die ersten Gaskunden ihre neuen Abschlagsberechnungen und Nachzahlungen des Vorjahres. Etwas später wird es Fernwärmeabnehmer treffen. Wenn diese Gruppe auch noch einen Zuschlag zahlen soll, ist es dramatisch. Man wünscht sich die alte Öl- und Kohleheizung zurück.