Grüner Fraktionsvize zu Maut-Ausschuss: „Zeit, dass der Minister beichtet“

Jeder Baudezernent, der sich so etwas wie der Bundesverkehrsminister geleistet hätte, wäre fristlos entlassen worden, sagt Grünen-Politiker Oliver Krischer.

Andreas Scheur vor Presse und Aktenordnern

Bitte recht freundlich, Andi Foto: Christian Ditsch

taz: Herr Krischer, am Donnerstag kommt CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer zum Finale in den Untersuchungsausschuss des Bundestags zur gescheiterten Ausländer-Pkw-Maut. Danach soll die Beweisaufnahme geschlossen werden. Hat sich die bisherige Ausschussarbeit gelohnt?

Oliver Krischer: In jedem Fall. Die Vorwürfe, die es im Vorfeld gegen Andreas Scheuer gab, haben sich alle bewahrheitet, und es sind noch etliche Dinge hinzugekommen.

Jahrgang 1969, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und ihr Obmann im Untersuchungsausschuss zur deutschen Ausländer-Pkw-Maut, gegen die Österreich und die Niederlande erfolgreich geklagt hatten.

Was hat sich bewahrheitet?

Es hat sich zum Beispiel bewahrheitet, dass Scheuer die Chance ignoriert hat, den Start der Maut und die Unterzeichnung des Vertrags mit den Betreibern zu verschieben und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über deren Rechtsmäßigkeit abzuwarten. Mehr noch, er hat sich nicht dafür interessiert, was es die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler kostet, wenn das Projekt vor Gericht scheitert. Dabei geht es um mehr als 500 Millionen Euro, den die Betreiber als Schadenersatz verlangen.

Warum hat der Verkehrsminister der Verschiebung nicht zugestimmt?

Er wollte die Maut unbedingt vor der Bundestagswahl etablieren, um sie als großen Wahlkampfrenner in Bayern 2021 zu verkaufen.

Was hat der Untersuchungsausschuss Neues herausbekommen?

Zum Beispiel, dass auch gegen das Haushalts- und Vergaberecht verstoßen worden ist. Das klingt harmlos, aber das ist die Veruntreuung von Steuergeldern mit krimineller Energie. Es gab ein Angebot von den Mautbetreibern, das 1 Milliarde Euro über den vom Bundestag bewilligten Mitteln lag. Scheuer hat mithilfe des Bundeshaushalts und des bundeseigenen Lkw-Mautabwicklers Toll Collect dafür gesorgt, dass die Betreiber ein günstigeres Angebot machen konnten.

Wenn ein Baudezernent in der Kommunalverwaltung die Kosten für ein Projekt so verschieben würde, würde er sofort fristlos entlassen. Deswegen finde ich es auch nur folgerichtig, wenn die CSU die voraussichtliche Schadenssumme von über 500 Millionen Euro aus der Parteikasse zahlt. Ihr Spitzenpersonal hat mit Inkompetenz und Fahrlässigkeit den Schaden verursacht. Eine Partei mit bürgerlichen Tugenden bietet so etwas von sich aus an.

Hat der Minister im Bundestag gelogen, als er gesagt hat, es habe kein Angebot der Betreiber gegeben, die Unterzeichnung des Mautvertrags bis zum EuGH-Urteil zu verschieben?

Ja, er hat gelogen. Wir haben im Ausschuss sechs Zeugen gehört, die bestätigen, dass es dieses Angebot gegeben hat. Er selbst hat gesagt, das Angebot hat es nicht gegeben. Dann konnte er sich bei seiner ersten Aussage im Untersuchungsausschuss nicht mehr erinnern. Sein früherer Staatssekretär Gerhard Schulz, der jetzt einen gut bezahlten Job beim Lkw-Maut-Unternehmen Toll Collect hat, kann sich auch nicht erinnern.

Die SPD sagt, es steht Aussage gegen Aussage.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir als Opposition haben der SPD angeboten, eine Gegenüberstellung der Zeugen vorzunehmen und Scheuer mit den Aussagen der anderen zu konfrontieren. Das hat die SPD abgelehnt. Ich habe den Eindruck: Man will es gar nicht so genau wissen. Die SPD hat ursprünglich gesagt, bei einer Lüge des Ministers im Bundestag wäre die rote Linie überschritten. Jetzt, nachdem SPD-Finanzminister Scholz mit dem Wirecard-Untersuchungsausschuss zu tun hat, ist der Aufklärungswille der SPD ganz merklich erlahmt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es eine Art Stillhalteabkommen gibt.

Was bringt die Befragung von Scheuer am Donnerstag? Er ist ja schon mal befragt worden.

Wir haben ihn beim ersten Mal speziell zu den Gesprächen mit den Betreibern und dem Lügenvorwurf befragt. Jetzt stehen alle Themenkomplexe an, die wir untersucht haben. Es ist für uns etwa interessant zu wissen, warum den Mautbetreibern eine unüblich hohe Rendite von 24 Prozent über 12 Jahre garantiert wurde, oder warum Staatssekretär Schulz ausgerechnet in dem Moment zu Toll Collect gewechselt ist, als die Verträge geschlossen wurden und er hier deutlich mehr als im Ministerium verdient. Außerdem ist es an der Zeit, dass der Minister endlich beichtet und sich freiredet. Dazu wollen wir ihm ausgiebig die Möglichkeit geben.

Dieselskandal, verpatzte Reform der Straßenverkehrsordnung – das Mautdesaster ist nicht der einzige Fauxpas des Ministers. Warum ist er immer noch in seinem Amt?

Er ist für Teile der CSU eine Art Prügelknabe. Für das Mautdesaster tragen auch die CSU und sein Vorgänger Alexander Dobrindt die Verantwortung. Andreas Scheuer zieht die Kritik auf sich. Deshalb hat sich die CSU damit arrangiert, dass er im Amt bleibt.

Wenn es nach den Bundestagswahlen eine grün-schwarze oder schwarz-grüne Bundesregierung geben sollte, hätte Andreas Scheuer darin einen Platz?

Ich mische mich grundsätzlich nicht in die Personalentscheidungen anderer Parteien ein. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass Scheuer aus Sicht der CSU nach der Bundestagswahl noch einen Aktivposten darstellen könnte. Bei der Bundestagswahl geht es darum, dass endlich jemand ins Verkehrsressort kommt, der die vielen Herausforderungen der Mobilitätspolitik anpackt. Und das ist zuallererst die Klimaschutzfrage.

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