Greta Thunbergs Atlantik-Überquerung: Mit Liebe in New York begrüßt
Nach zwei Wochen auf dem Atlantik erreicht die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg New York. Am Freitag will sie hier wieder streiken.
Auf dem allerletzten Stück ihrer Atlantiküberquerung ohne fossile Brennstoffe verlangsamen Nordwind und Ebbe die Fahrt. Die Jacht muss immer wieder auf dem Hudson River vor dem Wind kreuzen und nähert sich nur ganz allmählich dem Ufer. Dabei umkreist sie eine Flotille von 17 kleineren Booten. Jedes hat Segel in einer anderen Farbe, auf die eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen geschrieben ist – von der Abschaffung der Armut über die Gleichstellung der Geschlechter bis hin zu Aktionen gegen den Klimawandel.
Kurz vor 16 Uhr ist die „Malizia II“ in Rufweite der kleinen Marina am Fuß des World Trade Centers in Manhattan angelangt. Auf den letzten Metern bugsiert ein Motorboot sie zu dem Anlegeplatz. „Danke, dass du gekommen bist“, rufen Jugendliche. Der Kapitän hilft Thunberg von Bord. Sie hat das große weiße Schild mit der schwedischen Aufschrift „Skolstrejk för Klimatet“, mit dem sie berühmt geworden, unter einem Arm.
Als sie ihre ersten Schritt an Land tut, wankt sie ein wenig. Aber sie geht unbeirrt weiter auf die kompakte Menschenmenge zu, die seit Stunden auf sie wartet. Die meisten Wartenden sind Teenager. Auch sie haben noch nie gewählt und fühlen sich bereits verantwortlich für die Zukunft des Planeten. Wie Greta Thunberg, deren Mutter Opernsängerin und deren Vater ein ehemaliger Schauspieler ist, die beide ihr Leben rund um den Aktivismus der Tochter umorganisiert haben, stammen auch die meisten jungen New Yorker Klimaaktivisten aus der gebildeten Mittelschicht.
„Wir alle haben Klima-Probleme“
Wenige Minuten nach ihrer Landung steht die Schwedin in ihrem schwarzen Overall auf einer Bühne unter zwei Bäumen am Rand der North Cove Marina. Vor ihr liegt der Finanzdistrikt von New York, hinter ihr der Hudson River, aus dem sie gerade gekommen ist und von wo aus die Freiheitsstatue alles überragt. Neben ihr stehen zwei Mädchen, die zwar ein wenig größer, aber noch jünger sind als sie. Die beiden begrüßen Thunberg wie langjährige Profis am Mikrofon.
Gretas große Fahrt
„Greta bringt die Zukunft nach Amerika“, sagt die 14-jährige Alexandria Villaseñor. „Sie hat Hunderttausende von Jugendlichen ermutigt.“ Die New Yorkerin folgt seit Ende vergangenen Jahres dem Beispiel der Schwedin. Sie macht jeden Freitag, auch bei Schnee und bei brütender Hochsommerhitze, einen Schulstreik für das Klima auf einer Metallbank vor dem Sitz der Vereinten Nationen. Dabei trägt sie Wanderschuhe, wie auch an diesem Mittwoch an der Marina. Im Laufe der Zeit ist der Zirkel um Alexandria Villaseñor größer geworden. An diesem Tag hat sie sogar einen Pro-bono-Pressesprecher, der ihre Interviews organisiert. Aber von den Massen, die Greta Thunberg in Europa folgen, ist sie noch weit entfernt.
Als Zweite spricht die 17-jährige Xiye Bastida, die in Mexiko geboren ist und deren Familie nach einer extremen Trockenheit gefolgt von einer Überflutung in ihrer Region nach New York gezogen ist, wo kurz zuvor Hurrikan „Sandy“ gewütet hatte. „Wir alle haben Klima-Probleme – Schweden, Mexiko und New York“, sagt Xiye Bastida.
Dann stellt sie eine der vielen existenziellen Fragen, mit denen sich die Teenager um sie herum befassen: „Nächste Woche beginnt bei uns das neue Schuljahr. Aber wie sollen wir lernen, wenn die Gletscher schmelzen?“ Im Publikum erzählt ihre stolze Mutter, die Ethnologin Geraldine Patrick, wie ihre Tochter den Umweltclub an ihrer New Yorker Schule aufgemöbelt hat. „Diese Generation versteht, dass es darum geht, das Narrativ zu verändern und die Kommerzialisierung der Natur zu beenden“, sagt die Mutter.
Empfohlener externer Inhalt
Wenig später übernimmt Greta Thunberg das Mikrofon. „Das ist ein wenig überwältigend“, sagt sie. „Der Boden schwankt noch.“ Doch sie plaudert weiter. Über ihre Reise, die „überraschend gut“ gewesen und bei der sie kein einziges Mal seekrank geworden sei. Über die „globale Klimakrise, bei der wir trotz unserer Unterschiede alle zusammenkommen müssen“. Und darüber, wie seltsam es sei, dass sie den Atlantik überqueren muss, um „Stellung zu beziehen“. Einmal verhaspelt sie sich, verliert den roten Faden und sagt: „Tut mir leid, mein Hirn arbeitet nicht korrekt.“ Aber als aus dem Publikum der Ruf „Wir lieben dich“ kommt, fängt sie sich wieder und ermuntert ihre Zuhörer, nicht aufzugeben. Auch dann nicht, wenn es hoffnunglos aussehe: „Wenn genügend Leute zusammenkommen, ist alles möglich.“
Schon am Freitag dieser Woche will Greta Thunberg an ihrem ersten Friday for Future in den USA teilnehmen. Er wird vor dem Gebäude der Vereinten Nationen stattfinden. Vor dem Sitz von Generalsekretär António Guterres, der die junge Schwedin an diesem Mittwoch mit einem Tweet begrüßt. „Ihre Entschlossenheit und Ausdauer sollten alle von uns stärken, die im nächsten Monat an dem Climate-Action Gipfel der UNO teilnehmen“, schreibt er.
Zwei Tage vor dem Beginn des UN-Klimagipfels wollen die jungen Aktivisten einen „globalen Streik“ organisieren. Greta Thunberg soll helfen, damit auch eine größere Öffentlichkeit in den USA zu erreichen.
Vor der Ankunft der Schwedin haben Mitarbeiter des Generalsekretärs nicht nur die Flotille mit wohlwollenden privaten Bootsbesitzern organisiert, sondern auch kleine, bunte Transparente an die Wartenden an der Marina verteilt, auf denen – wie auf den Segeln der Boote – die 17 Nachhaltigkeitsziele aufgelistet sind und die zur Begrüßung geschwenkt werden. Florencia Soto Nino, eine Sprecherin von Guterres, erinnert daran, dass die UNO schon früher mit Jugendlichen zusammengearbeitet hat. Aber deren Engagement für eine Sache sei nie zuvor so groß gewesen wie jetzt in der Klimafrage.
Eine andere politische Atmosphäre
Nach ihrer kurzen Ansprache stellt sich Greta Thunberg auf der Bühne an der Marina den Fragen von Journalisten. Hunderte von Reportern sind gekommen. Die meisten sind Europäer und unter ihnen stellen die Deutschen die Mehrheit. Greta Thunberg wiederholt zum x-ten Mal, dass sie keinen Wert darauf legt, den US-Präsidenten zu treffen. Sie fände es gut, „wenn er der Wissenschaft folgen würde“, glaubt aber nicht, dass sie ihn dazu bringen könne, nachdem alle anderen damit gescheitert sind. Und sie beschreibt ihre weiteren Reisepläne, nach den USA. Sie will in den Süden des Kontinents fahren – bis nach Chile – und sie will aus Rücksicht auf das Klima auch dabei wieder auf das Fliegen verzichten.
Nur wenige US-amerikanische Reporter sind an die Marina gekommen. Die US-Fernsehsender melden die Ankunft der Schwedin, wenn überhaupt, nur knapp. Der US-Präsident, der schon 2017 aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist und der zuletzt die Klimarunde beim G7-Gipfel in Biarritz geschwänzt hat, interessiert sich schon gar nicht für das Thema. Nach verschiedenen Informationen aus dem Weißen Haus will er auch im September nicht an dem UN-Klimagipfel in New York teilnehmen.
„Die politische Atmosphäre hier ist anders als in Europa“, sagt die 16-jährige New Yorker Schülerin Olivia Wohlgemuth. „Dieses Land ist tief gespalten, und wir wissen nicht, ob wir den Medien trauen können.“ Wie viele andere Gleichaltrige ist auch sie über „Veränderungen in ihrem Lebensstil“ zum Klima gekommen. Es begann damit, dass sie Vegetarierin wurde, auf Plastikverpackungen verzichtete und eine Bambuszahnbürste anschaffte. Dann erfuhr sie von Greta Thunberg. Seither streikt Olivia Wohlgemuth und will auch am Freitag dieser Woche wieder zur UNO kommen.
Was Greta Thunberg bei ihrer Atlantiküberquerung besonders genossen hat, waren die Ruhe und der Frieden. „Ich werde das Gefühl vermissen, verbunden zu sein und den Ozean anzuschauen“, sagt sie. Nach ihren 15 Tagen Einsamkeit und frisch vom Boot ist die Ankunft ein erstes Kontrastprogramm. Am Ende ihrer Pressekonferenz geht die 16-Jährige über den mit Absperrgittern markierten Weg von der Bühne zurück zur „Malizia II“, um ihr Gepäck abzuholen. Unterwegs schüttelt sie Dutzende von Händen, die sich nach ihr ausstrecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour