Greenwashing auf der IAA: PS-Porno grün inszeniert
Die Internationale Automobil-Ausstellung öffnet, die Stimmung ist gereizt. Denn verkehrspolitisch hat sich der Wind gedreht.
Die Hostessen mögen noch so sexy blinzeln, der Autoschau der Automobilindustrie droht dieses Jahr dennoch Tristesse. Einige Firmen hatten auf eine coronabedingte Absage gehofft, andere haben die Teilnahme ohnehin verweigert. Die großen deutschen Autobauer werden in München zwar vertreten sein. Aber schon Opel wird der IAA fern bleiben, ebenso die meisten internationalen Autobauer. Die Stimmung der Branche könnte schlechter kaum sein.
Schon vor der Pandemie war das Interesse an der IAA deutlich zurückgegangen. Die Branche fühlt sich im Zuge der Digitalisierung und der Elektromobilität auf Technikmessen wie der CES in Las Vegas besser aufgehoben als auf den klassischen Automessen. Mit dem Umzug der IAA von Frankfurt am Main nach München wagen die Veranstalter denn auch eine Neuausrichtung.Nicht mehr nur über Autos wollen die Veranstalter auf der Messe reden, sondern über Mobilität im Allgemeinen. Ausgestellt werden sollen auch elektrifizierte Zweiräder, Fluggeräte und öffentliche Verkehrsmittel. Ziel sei es, „verschiedene Mobilitätsformen“ eng zusammenzubringen, betonte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), dem Veranstalter der IAA. „Das Bekenntnis zur klimaneutralen Mobilität steht“, sagt Müller.
Die großen deutschen Autobauer wie Volkswagen und Daimler schieben ihre Elektroautos nach vorne, um sich so grün wie möglich zu inszenieren. Das gelingt ihnen aber nur bedingt. Zehntausende Demonstrierende haben sich angekündigt und wollen unter anderem mit einem eigenen Kongress gegen die IAA und die Autoindustrie protestieren.
Branche ist geschüttelt
Dazu die heißgelaufene Klimadebatte und der politische Druck auf die Verkehrspolitik lassen zwei Wochen vor der Bundestagswahl keine Freude an four-wheel-drive und next level mobility aufkommen. Da mag der Fahrgastraum des neuen Daimler Elektrogefährts EQS noch so viel Raumschiff-Feeling vermitteln.
Trotz hoher Gewinne im ersten Halbjahr 2021 ist die Branche geschüttelt. Wegen Engpässen bei den Mikrochips muss aktuell die Produktion gedrosselt werden. Weit gravierender sind die gewaltigen Umwälzungen aber durch den Wechsel vom Verbrenner zum Elektroantrieb. VW und Daimler haben zwar mit neuen E-Modellen aufgeholt, andere wie BMW fahren hinterher und versuchen verzweifelt mit E-Fuels (Synthetische Treibstoffe) eine Verbrenneralternative künstlich am Leben zu halten.
Verkehrspolitisch hat sich der Wind gedreht
Den schwersten Schlag hat die Branche teilweise noch gar nicht realisiert. Verkehrspolitisch hat sich der Wind gedreht. Die jahrzehntelange Symbiose – man könnte es auch Gefangenschaft nennen – zwischen Politik und Automobilindustrie ist zumindest angeschlagen. Kein anderer Sektor hat beim Ausstoß von Klimakillern so versagt wie der Verkehr, das wird nicht länger hingenommen. Unübersehbar wird der Straßenraum in den Metropolen gegenwärtig neu verteilt. Die aktive Mobilität, also Fuß- und Radverkehr, fordert immer selbstbewusster ein größeres Kuchenstück und bekommt tatsächlich mehr Platz zu Lasten des Stehzeugs Auto. Paris exekutiert bereits Tempo 30 wie auch die spanischen Städte. London verbietet den Bau weiterer Tiefgaragen, Singapur erklärt wenigerAutos zum Ziel amtlicher Verkehrspolitik.
Schnellwege, breitere und bessere Spuren und Stellflächen für Fahrräder, mehr Tempo-30-Zonen sind vielerorts on track. Wären die Kommunen verkehrspolitisch durch Bundesgesetze weniger geknebelt, würde alles noch deutlich schneller gehen. In einschlägigen Städte-Rankings wird schon längst statt der autogerechten die fahrradgerechte Stadt hoch bewertet und bepunktet.
Wird die IAA grüner?
Wird nach der Bundestagswahl ein Mobilitätsgesetz auf den Weg gebracht, könnte endlich auch der berüchtigte Bundesverkehrswegeplan aus dem Verkehr gezogen werden, der immer noch Straßenbauprojekte aus dem vorigen Jahrhundert mitschleppt und streng im alten Narrativ der Windschutzscheibenperspektive verhaftet ist. Mit der neuen Bundesregierung unter vermutlich grüner Beteiligung würde dann auch das ewig umstrittene Tempolimit auf Autobahnen kommen. Es scheint fast so, als habe die Branche zumindest diese Kröte schon geschluckt.
Gleichwohl reagiert die Automobilbranche schizophren auf die neuen Herausforderungen. Sie vereint umstandslos grüne Inszenierungen und PS-Porno in ihrem Portfolio. Verbal und mit neuen Modellen unterstützt sie die Transformation zur Elektromobilität. Doch ihr Geld verdient sie immer noch und auch in den nächsten Jahren hauptsächlich mit Verbrennern, bei VW sind es mehr als 95 Prozent der Flotte. Die Autos werden nach wie vor immer größer, schwerer und schneller. Aktuell sind wir bei den Neuzulassungen bei verrückten 170 PS angekommen. Mehr als ein Drittel der Neufahrzeuge sind SUVs mit 190 PS im Schnitt. Schon steht die ernsthafte Forderung im Raum, die öffentlichen Parkplätze für Autos zu vergrößern.
Altes Leitbild bleibt unangetastet
Von „Greenwashing“ spricht denn auch Roland Süß vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac, der sich in München im Bündnis #aussteigen engagiert und die große Demonstration mit Radsternfahrt am 11. September organisiert. Daimler, BMW und VW setzten auch weiter auf immer große Gefährte, die mehr CO2 ausstoßen. „Das ist einfach die Realität.“
Das alte Leitbild der Übermotorisierung und Überdimensionierung des Automobils ist bei den Herstellern noch immer unangetastet, die soziale Ächtung der Dickschiffe nicht in Sicht. Daimler etwa lässt den bis zu 900 PS starken Geländewagen Brabus G 900 Rocketvom Fließband laufen. Von null auf 100 in drei Sekunden, von der gesellschaftlichen Restvernunft zum kompletten Irrsinn in Nullkommanix. Bestellungen für das Monster kämen vor allem aus dem Nahen Osten, heißt es, dort sei schließlich noch genug billiges Benzin vorhanden. Wird sich Daimler trauen, das Brabus-Ungetüm in München auszustellen?
Und was macht der in der Regel männliche Besucher der IAA? Er wird in sehr viel kleinerer Zahl die Automesse stürmen. Die Imageprobleme der Branche sind ihm nicht verborgen geblieben. Die Veranstalter haben aber schon vorgesorgt. Bei der Zählung werden sicherheitshalber auch alle virtuellen Gäste, die nur per Mausklick anwesend sind, als vollwertige Besucher mitgerechnet. Den Hostessen wird es egal sein.
Mitarbeit: Felix Lee
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken