Graichen-Aus entfacht Heizungsstreit neu: Hundert Fragen an Habeck
Nach der Entlassung seines Staatssekretärs steht auch das Heizungsgesetz auf der Kippe. Die FDP bremst - auch die SPD ist noch nicht zufrieden.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hält dagegen. „Wir sind gegen einen späteren Start des Gesetzes, das löst nämlich keines der aktuellen Probleme“, sagte er der taz. Greife das Gesetz erst später, verkürze das nur den Zeitraum, in dem die gesetzlich festgelegten Klimaziele erreicht werden müssten. Umso drastischer fielen die klimapolitischen Eingriffe dann aus. „Die Alternative wäre, dass wir unsere Klimaziele reißen“, sagte Kühnert. Beides sei für die SPD nicht akzeptabel.
Das Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein muss, ab dann also kein Gramm CO2 zusätzlich in die Atmosphäre blasen darf. Ein Schlüssel dafür ist der Austausch klimaschädlicher Heizungen. Aktuell wird jede zweite Wohnung mit Erdgas und jede vierte mit Öl beheizt. Ab Januar sollen neu eingebaute Heizungen zu mindestens 65 Prozent aus erneuerbaren Quellen betrieben werden, bis 2045 sogar alle Heizungen. Kurzum: ein schrittweises Aus für reine Öl- und Gasheizungen. Entsprechend heftig umstritten ist das Vorhaben.
Mit Graichen musste Habeck am Mittwoch den Kopf hinter dem Heizungsgesetz entlassen. Was aber nicht am Gesetz lag, sondern daran, dass Graichen private und dienstliche Interessen nicht sauber trennte. Im April kam heraus, dass der Staatssekretär daran beteiligt war, seinen Trauzeugen in die einflussreiche und gut bezahlte Position des Geschäftsführers der Deutschen Energieagentur zu bugsieren. Nachdem Graichen seinem Chef die Verbindung gebeichtet hatte, stellte sich Habeck zunächst vor seinen wichtigsten Mann für Klimaschutz.
Intern ließ er aber alle Vorgänge und Besetzungen durchleuchten, an denen Graichen beteiligt war. Und voilà, es gab noch mehr Verquickungen. Etwa die Bewilligung von 600.000 Euro an den Berliner Landesverband des BUND, den Graichens Schwester bis Mai 2022 leitete. „Es war der eine Fehler zu viel“, sagte der grüne Vizekanzler zerknirscht, als er Graichen am Mittwoch in den einstweiligen Ruhestand schickte.
Nun, da Graichen aus dem Weg ist und Habeck angeschlagen ist, blasen die Gegner des Gesetzes zum Sturm. „Das Heizungstauschgesetz muss zurück in die Werkstatt“, tönt etwa Sebastian Brehm, Vorsitzender der CSU-Mittelstandsvereinigung, und fordert einen ganz neuen Gesetzentwurf.
Die FDP, die mit der Union um die gleichen Wähler:innen konkurriert, versucht sich ebenfalls zu profilieren. „Die Versetzung von Herrn Graichen in den einstweiligen Ruhestand bietet Robert Habeck die Chance, das Gebäudeenergiegesetz unter neuen Vorzeichen gründlich zu überarbeiten“, so der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion Michael Kruse zur taz. „Ein Gesetz, das derartig tief in die Entscheidungsfreiheit der Menschen eingreift, kann nicht im Schweinsgalopp beraten werden.“
Start im Jahr 2024 wegen der FDP
Kurioserweise ist es den Liberalen zu verdanken, dass das Gebäudeenergiegesetz, welches laut Koalitionsvertrag erst für 2025 geplant war, um ein Jahr vorgezogen wurde. Als die Spitzen der Ampelkoalition im März 2022, Russland hatte gerade die Ukraine überfallen und die Energiekrise nahm Fahrt auf, darüber stritten, wie diese abgefedert werden könnte, bekam die FDP den Tankrabatt.
Im Gegenzug gestanden die Liberalen den Grünen zu, dass der Austausch fossiler Heizungen bereits im Jahr 2024 startet. Ein Jahr später wiederholte der Koalitionsausschuss den Deal: FDP und SPD setzten den beschleunigten Ausbau von 140 Autobahnabschnitten durch – im Gegenzug versicherte man den Grünen, dass das Heizungsgesetz 2024 startet. Aber wirklich.
Doch als Habecks Ministerium im vergangenen Monat einen Gesetzentwurf vorlegte, bröckelte die Einigung bereits. Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner wies sofort darauf hin, dass er dem Entwurf so nicht zugestimmt habe. Zugleich verlangte er Änderungen.
Doch nicht nur aus FDP und Union kommen Bedenken, sondern auch aus den Bundesländern. So wie das Gesetz derzeit konzipiert sei, dürfe es nicht in Kraft treten, so ein Ministerpräsident aus der sogenannten A-Runde, also den von der SPD regierten beziehungsweise mitregierten Ländern. Die Ländervertreter:innen stört zum einen die Fokussierung auf die Wärmepumpe. Das nach dem Kalt-macht-warm-Prinzip und mit Strom betriebene Gerät ist das Herzstück des Gesetzes.
Verabschiedung bis zur Sommerpause? Unklar
Sinnvoller wäre doch, Fernwärmebetreiber, die viele Haushalte versorgen, zu ertüchtigen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Besser jedenfalls, als jedem Haushalt die Aufstellung einer Wärmepumpe im Vorgarten zu subventionieren, so der Einwand von Länderseite. Ein zweiter lautet, dass bislang eine sozial gestaffelte Förderung fehle. Die Länderkammer beschloss vergangene Woche einen Antrag mit Änderungswünschen. Gründlichkeit vor Schnelligkeit, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Das Gießkannenprinzip der Förderung stößt aber auch in der SPD-Bundestagsfraktion auf Kritik. Laut Gesetzentwurf sollen Wohnungseigentümer:innen und Kleinvermieter:innen einen Grundzuschuss von 30 Prozent erhalten. „Es gibt Menschen, die diesen Zuschuss nicht brauchen. Wir sollten uns jetzt die Zeit nehmen, Gerechtigkeitselemente in das Gesetz einzubauen“, sagte Fraktionsvize Matthias Miersch jüngst im Interview mit der taz.
Der Bundestag will eigentlich in der kommenden Sitzungswoche über das Gesetz beraten. Die erste Lesung ist für den 25. Mai geplant. Ab Mitte Juni sollen die Anhörungen stattfinden. Pünktlich zum Beginn der Sommerpause am 7. Juli soll das Gesetz dann verabschiedet und vom Bundesrat gebilligt werden. Ablehnen können es die Länder zwar nicht, aber sie können zumindest den Vermittlungsausschuss anrufen und so den straffen Zeitplan sprengen.
Doch noch steht das Gesetz nicht auf der veröffentlichten Tagesordnung des Bundestages. Ob es aufgesetzt wird, entscheidet die Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer:innen am kommenden Dienstag. Die Debatte um den Start von Robert Habecks Heizungsgesetz dürfte sich bis wohl kaum abkühlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs