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Globale Ungleichheit in der PandemieDie Coronakrise fängt erst an

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Zu wenig Impfstoff und Behandlungsmöglichkeiten, kaum soziale Hilfen. Die armen Länder werden ärmer, während sich die reichen wirtschaftlich sanieren.

Zwei Männer bringen den toten Körper eines Angehörigen in ein Krematorium von Neu-Delhi Foto: Amit Sharma/ap

E ndlich ist ein Ende der Coronapandemie in Sicht. Was Israel, Großbritannien und die USA vormachen, dürfte bald auch den Rest Europas erfreuen: Immer mehr Menschen sind geimpft, Kontaktbeschränkungen fallen, sogar Sommerurlaube rücken in den Bereich des Möglichen, mit Impfpässen natürlich. Licht am Ende des Tunnels? Wer so denkt, leidet an Tunnelblick. Für große Teile der Welt ist die Coronakrise keineswegs vorbei. Sie fängt für viele gerade erst an. Mit neuen Mutanten, die die Pandemie am Leben halten.

Mit einer zunehmenden Überlastung von Gesundheitssystemen, die schon sonst nicht ausreichen. Mit der schleichenden Wucht des ökonomischen und sozialen Zerfalls, der sich nach einem Jahr halbwegs überbrückbarem Ausnahmezustand jetzt erst als unerträglicher und unerbittlicher Dauerzustand etabliert.

Die brennenden Coronaleichenberge Indiens und die zuhauf an Sauerstoffmangel erstickenden Kranken von Südamerika sind sichtbare Zeichen einer weitgehend unsichtbaren Krise, die mit jedem Todesfall noch mehr Familien und Gemeinschaften zerreißt und noch mehr Menschen in Armut stürzt. Schon der Beginn der Pandemie zeigte, wie mörderisch globale Ungleichheit ist: Manche Länder konnten ihre Bürger schnell und effektiv schützen, andere nicht. Das nahende Ende ist noch viel ungleicher:

Einige Privilegierte werden bald seuchenfrei sein, viele andere werden es nie. Die reichen Volkswirtschaften gesunden, die ärmeren schrumpfen. Die EU saniert sich ökonomisch nach der Coronakrise mit 750 Milliarden Euro, die USA sogar mit 1,9 Billionen – aber für Investitionen in Corona-Impfstoffe oder medizinischen Sauerstoff für die ganze Welt fehlt angeblich das Geld, und niemand hat die 400 Milliarden Euro übrig, die laut IWF die Länder niedrigen Einkommens brauchen, um nicht zu kollabieren.

Es gibt nicht nur zu wenig Impfstoff für alle. Es gibt auch für die meisten Kranken der Welt zu wenig angemessene Behandlung, und nach ihrem Tod für die meisten Hinterbliebenen zu wenig soziale Netze. Für sie fallen vielleicht mildtätige Gaben ab: Sauerstoffzylinder für Indien hier, Impfdosen für Afrika dort. Aber ein globales Gesundheitswesen, in dem die Errungenschaften der Medizin allen Menschen zur Verfügung stehen – das steht in den Sternen.

Was wird das für eine Welt sein, in der die oberen zehn Prozent der Menschheit geimpft und glücklich sind, während der Rest froh sein kann, das Jahr heil zu überstehen? Eine bessere Welt ist möglich, hieß es einst. Die Coronakrise zeigt: Eine schlechtere ist viel wahrscheinlicher.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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11 Kommentare

 / 
  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Kommentar entfernt. Bitte verzichten Sie auf überzogene Polemik. Danke, die Moderation/dg

  • 7G
    7363 (Profil gelöscht)

    Herr Johnson, ich lese ihre Artikel immer wieder mit Freude. Stabil, auf den Punkt, eigensinnig.

    Was die anderen Kommentare angeht die dem Artikel ideologische Absichten unterstellen:

    Welche Absicht kann jemand haben, zu verneinen dass die Lage in Indien und Brasilien natürlich aufgrund der globalen Machtverhältnisse und ungerechten Verteilung so verhängnisvoll ist, wie sie ist. Doch nur jemand, der dieses ungerechthe klassenbehaftete System mit ihren globalen Privilegieninhabern zu legitimieren sucht.

    • @7363 (Profil gelöscht):

      Wenn wir schon von Gerechtigkeit reden:



      Warum hat Indien den 3-größten Militärhaushalt der welt, wenn sich das land kein Gesundheitssystem für das eigene Volk leiten kann (will).



      Das Klassensystem in Indien heist Hinduismus mit seinem Unsäglichen Kastensystem.



      Ich wette, für die oberen Kasten ist genügend Impfstoff und O2 vorhanden, der Rest der Bevölkerung ist den Herrschenden einfach egal.



      Wir sollten uns nicht anmaßen, die ganze welt zu retten zu wollen.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @7363 (Profil gelöscht):

      ""......Kommentare .... die dem Artikel ideologische Absichten unterstellen:""

      "............zu verneinen dass die Lage in Indien und Brasilien natürlich aufgrund der globalen Macht - verhältnisse und ungerechten Verteilung so verhängnisvoll ist, wie sie ist. Doch nur jemand, der dieses ungerechthe klassenbehaftete System mit ihren globalen Privilegien - inhabern zu legitimieren sucht."

      ===

      1..Eine Antwort/Argumente auf die unten stehenden Kommentare sind nicht aufzufinden.

      2..Indien leidet unter Covid-19, China könnte helfen.

      Als das Coronavirus in Wuhan entdeckt wurde, war Indien eines der ersten Länder, noch vor der EU, das Hilfsgüter in die chinesische Metropole schickte.

      Guo Shengkun, Mitglied im Politikbüro des ZK der KP China sendete folgendes Tweet an Indien:

      Collage aus zwei Fotoaufnahmen: Links zündet eine chinesische Weltraumrakete bei ihrem Start in den Orbit, rechts zünden indische Helfer Tote der Corona-Pandemie auf Scheiterhaufen an. Der Text dazu: "China zündet versus Indien zündet."

      www.zeit.de/politi...inesische-behoerde

      (Indien ist Hersteller Nr.1 von Impfstoffen und Medikamenten & China ist in Bereichen der Lieferung von med. Hilfsmitteln Weltmarktführer)

      Frage: Wer delegitimiert hier wen? und ist Ihr Begriff des Klassenstandpunktes tauglich die wirtschafliche Realität, die nicht nur in diesem Besispiel sichtbar wird, zu erklären?

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @7363 (Profil gelöscht):

      Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

      Die Moderation

  • Indien produziert auf Hochtouren AstraZeneca: www.tagesschau.de/...on-indien-101.html

    Es ist mitnichten so, dass Impfstoffe nur dem globalen Norden, der 10% auf dem Oberdeck zur verfügung stehen.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Schade das hier ein ideologischer Blick die Sicht auf die Wirklichkeit verstellt. Schade deswegen weil diese ideologische Voreingenommenheit die Hebel vernebelt die bewegt werden müssen um effektive & schnelle Hilfe leisten zu können.

    In Brasilien haben grundsätzlich alle Menschen einen Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung. Und in der Vergangenheit gelang es auch, große Impfkampagnen zu organisieren, etwa 2009 während der Schweinegrippe-Epidemie, als innerhalb von drei Monaten 92 Millionen Menschen geimpft wurden.

    In dieser Pandemie fehlt es jedoch am politischen Willen. Die Regierung Bolsonaro hat von Anfang an geleugnet, wie schlimm die Pandemie ist. Sie hat keine Schutzmaßnahmen beschlossen und ist sogar vors oberste Gericht gezogen, um einzelne Gouverneure daran zu hindern, Lockdowns in ihren Bundesstaaten anzuordnen.

    Es fehlt an Testkapazitäten, weshalb viele Infektionen nicht rechtzeitig erkannt werden. Und die Regierung hat die Impfkampagne regelrecht sabotiert: Berichten zufolge wies Bolsonaro im vergangenen Jahr Angebote von Herstellern zurück, die Millionen von Impfdosen liefern wollten.

    Indien hatte weitestgehend die Krise im Griff - bis Massenveranstaltungen mit Millionen von Menschen zu den heutigen katastrophalen Zuständen führte.

    Auch Boris Johnson hatte in UK anfangs die Krise ignoriert und falsch eingeschätzt - was zu mehr als 125.000 Toten führte. -

    Wobei England, Irland & Israel im weiteren Verlauf der Pandemie die Beispiele sind die erklären, das Impfstoffe kombiniert mit klaren Kontaktbeschränkungen die erfolgreichen Massnahmen sind die Pandemie erfolgreich zu bekämpfen.

    Impfstoffe sind mittelfristig wirksam - wie lange sie wirken ist noch nicht bekannt. Kurzfristig helfen nur Lockdowns - bei einem R-Wert von 0,75 verringert sich die Inzidenz innerhalb von einer Woche um die Hälfte.

  • "Was wird das für eine Welt sein, in der die oberen zehn Prozent der Menschheit geimpft und glücklich sind, während der Rest froh sein kann, das Jahr heil zu überstehen?"



    Im Großen und ganzen dieselbe, wie jetzt...

  • ."....Aber ein globales Gesundheitswesen, in dem die Errungenschaften der Medizin allen Menschen zur Verfügung stehen...."

    Es ist natürlich richtig auf die großen Unterschiede hinzuweisen und für deren Beseitigung zu kämpfen.

    Aber, es ist doch ein wenig blauäugig. Es wird nie ein "globales Gesundheitssystem" geben. In fast jeder Nation gibt es ja schon kein einheitliches System. Reiche sind überall besser dran als Arme.

    "Blauäugig" auch deshalb, weil so ein Satz schon ein wenig impliziert, dass die Errungenschaften der Medizin im globalen Norden geschaffen wurden (aus Wurzeln aus dem Süden). Ist nicht der Norden sonst immer das Böse, das sich aus den Angelegenheiten der anderen heraushalten soll? Jedenfalls werden sicher nicht weltweite "Errungenschaften" zum Einsatz kommen.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Vielleicht sollte man hier in Bezug auf Indien hinweisen, das die Probleme hausgemacht sind!

    Ein Kastensystem das arme Menschen besonders benachteiligt gepaar mit einer Bevölkerungsexplosion auf in der Zwischenzeit 1,3 Milliarden und bald 2 Milliarden Menschen in 2050.

    Indien selber hat sehr viel Hochtechnologie, Raumfahrt, Atomwaffen und Atomenergie und auch die Ressourcen massiv einen Wirkstoff selber in Lizenz zu produzieren.

    Es wurden 5 Millionen Impfstoffdosen z.B. nach England geliefert. Drei Atomraketen weniger und die Lizenz wäre finanziert.

    Von daher ist Indien für diesen Artikel ein ehr schlechtes Beispiel.

  • Naja, weil 1.900 Mrd Dollar Schulden gemascht werden in den USA von einer ökonomischen Sanierung zu reden? Fragwürdig!



    Dass mit Bolsonaro und Modi nicht gerade proaktiv denkende Premiers/Presidenten gewählt wurden die die Corona Pandemie weitegehend ignorieren, ist halt auch Teil der Wahrheit.



    Ansonsten natürlich viel verbesserugsbedürftig, insbesondere, wenn Frau Merkel sagt, dass jedes Menschenleben wertvoll ist usw. ...., es sollte aber schon ein Leben sein, das in DE gelebt wird, gell!