Corona-Impfstoff in Lateinamerika: Die Produktion geht schleppend

In Lateinamerika kommt die eigene Herstellung von Impfstoffen gegen Covid-19 nur langsam voran. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerungen ist geschützt.

Wissenschaftler in blauen Schutanzügen in einem Labor

Impfstoffproduktion in Argentiniens Provinz Buenos Aires Foto: Juan Mabromata/afp

BUENOS AIRES taz | Anfang der Woche kündigte US-Präsident Joe Biden eine Spende von 55 Millionen Impfdosen für ärmere Länder an. Davon sollen 14 Millionen Dosen über die internationale Plattform Covax in Lateinamerika und der Karibik verteilt werden. Die Vakzine sind dort höchst willkommen.

Aber ihre Menge ist gering für eine Region, in der mehr als 600 Millionen Menschen leben und die gegenwärtig am meisten unter dem Virus zu leiden hat. Dabei reicht auch die Versorgung mit Impfstoffen aus regionaler Produktion bei Weitem noch nicht aus.

Neben Kuba sind Argentinien, Brasilien und Mexiko die einzigen Länder Lateinamerikas, in denen nicht nur geimpft, sondern Impfstoffe auch hergestellt werden. Schon zu einem frühen Zeitpunkt hatte Argentiniens Präsident Alberto Fernández die Produktion von 250 Millionen Impfdosen angekündigt. „Für die Produktion in Lateinamerika werden Argentinien und Mexiko verantwortlich sein, und dies wird allen Ländern der Region einen rechtzeitigen und ausreichenden Zugang zu potenziellen Impfstoffen ermöglichen“, so Fernández im August 2020.

Gemeinsam mit dem Pharmakonzern AstraZeneca und der Universität Oxford sollte der Impfstoff beim argentinischen Pharmaunternehmen mAbxience in der Provinz Bue­nos Aires hergestellt werden. Anschließend sollte er nach Mexiko geflogen und in den dortigen Labors des Pharmaherstellers Liomont in die kleinen Fläschchen abgefüllt und verpackt werden. Finanziert wurde alles durch eine Kaufgarantie der argentinischen Regierung über 60 Millionen Dosen sowie durch eine Stiftung des mexikanischen Milliardärs Carlos Slim.

Argentiniens Vision hat sich bislang nicht erfüllt

Im Januar bestätigte Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard, dass eine Impfstoffmenge zur Herstellung von 6 Millionen Dosen aus Argentinien eingetroffen sei. Hoffnungsfroh gab sich auch Präsident Alberto Fernández bei seinem Besuch in Mexiko im Februar: „Wir haben die Einrichtungen der Liomont-Labors besichtigt, in denen die Produktion und Verpackung des von der Universität Oxford und AstraZeneca entwickelten Covid-19-Impfstoffs abgeschlossen sind und dessen Wirkstoff in unserem Land hergestellt wird“, twitterte Fernández damals.

Die Vision vom großen Produzenten von Impfstoff für Lateinamerika hat sich nicht erfüllt

Doch die Vision vom großen Impfstofflieferanten für Lateinamerika hat sich bisher nicht erfüllt. Angesichts des sensiblen Themas halten sich beide Seiten mit Schuldzuweisungen zurück. Angeblich bekommt das mexikanische Pharmaunternehmen die Probleme mit der Abfüllung der Vakzine nicht in den Griff.

So landeten vergangenen Montag zwar über eine Million Dosen AstraZeneca auf dem Flughafen bei Buenos Aires, die auch zum Teil in Argentinien produziert wurden. Abfüllung und Verpackung erfolgten aber in einem Pharmalabor im US-Bundesstaat New Mexiko.

Als hätte sie es geahnt, bemühte sich Argentiniens Regierung frühzeitig und erfolgreich um den russischen Impfstoff Sputnik V. Schon am 24. Dezember 2020 erhielt Argentinien die ersten 300.000 Dosen, die bereits tags darauf verimpft wurden. Seither sind mehr als 8 Millionen Dosen aus Russland eingetroffen. Inzwischen wird das Vakzin über ein Lizenzabkommen zwischen dem in Moskau ansässigen Gamaleja-Institut, das das Vakzin entwickelt hatte, und dem argentinischen Pharmaunternehmen Labora­to­rios Richmond in Buenos Aires hergestellt. Erst vor wenigen Tagen gab das Pharmaunternehmen die erfolgreiche Herstellung von 448.625 Dosen bekannt. Die Finanzierung hatte der russische Staatsfonds für Direktinvestitionen übernommen.

Brasilien produziert Impfstoff, der dort nicht zugelassen ist

Wenn US-Präsident Biden wie Anfang Juni sein Land als „Arsenal der Impfstoffe“ preist und eine millionenfache Spende von Pfizer-, Biontech- und Astra­Zeneca-Impfdosen ankündigt, dann hat die US-Administration auch gerade solche Joint Ventures im Visier, zumal auch in Brasilien Impfstoffe russischen und chinesischen Ursprungs hergestellt werden.

Zwar wird in Brasilien vor allem AstraZeneca produziert, aber seit Januar auch der CoronaVac-Impfstoff des chinesischen Pharmariesen Sinovac, der bei der gerade laufenden südamerikanischen Fußballmeisterschaft in jedem Stadion unübersehbar Bandenwerbung für seinen Impfstoff macht.

Und obwohl der russische Sputnik V in Brasilien offiziell gar nicht zugelassen ist, gab das brasilianische Pharmaunternehmen União Química vor wenigen Tagen die Herstellung der ersten 100.000 Dosen bekannt. Diese und alle folgenden Dosen sollen in interessierte Länder in der Region exportiert werden, in denen das russische Vakzin zugelassen ist.

Das sind viele in der Region, und sie stehen bereits Schlange. „Wir sind eine Region mit mehr als 600 Millionen Einwohnern, in der die Infektionsfälle zunehmen, die Krankenhäuser voll sind und die Varianten schnell zirkulieren“, warnte kürzlich die Direktorin der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS) und Regionaldirektorin für Amerika bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Carissa Etienne. „Derzeit ist nur jeder zehnte Mensch in Lateinamerika und der Karibik ausreichend gegen Covid-19 geimpft,“ so Etienne, sprich: mit den dafür notwendigen zwei Dosen.

Paraguay, Argentinien, Uruguay: Die Todeszahlen steigen

Mehr als 35 Millionen Infizierte und über 1,2 Millionen Todesfälle weist die Statistik von One World in Data gegenwärtig für Lateinamerika und die Karibik aus. Der größte Anteil entfällt auf Südamerika. Dabei sorgt Brasilien mit seinen absoluten Zahlen immer wieder für Schlagzeilen. Gerade wurde die traurige 500.000-Marke bei den Sterbefällen überschritten.

Gemessen an der Bevölkerungsgröße sind die Nachbarländer dennoch weitaus schlimmer betroffen. Am 17. Juni wurde in Paraguay der Durchschnittswert der in den sieben Tagen zuvor registrierten Todesfälle mit 17,7 pro einer Million Ein­woh­ne­r*innen angegeben. In Brasilien lag der Anteil am gleichen Tag bei 9,4. „Wir hatten prognostiziert, dass wir bis Juli insgesamt 7.000 Todesfälle melden werden“, sagte Arturo Ojeda, Exe­ku­tiv­di­rek­tor vom Roten Kreuz Paraguay. „Jetzt sind wir in der ersten Junihälfte und haben schon die 11.000-Marke überschritten.“

Auf Paraguay folgt Argentinien mit 12,2 Toten pro einer Million, danach kommt Uruguay mit 11,9. Wie dramatisch die Zahlen sind, zeigt das Beispiel Indien. Dort waren es am 17. Juni 2,11 Todesfälle pro einer Million Einwohner*innen. Und in Deutschland nur einer. Vergleiche solcher Prozentanteile ließen sich fortsetzen. Aktuell fallen sie für Südamerika schlechter aus als für den Rest der Welt.

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