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Getötete Radfahrerin in BerlinMahnwache und offene Fragen

Der ADFC und Changing Cities haben ein Geisterfahrrad für die verstorbene Radfahrerin aufgestellt. Die Polizei meldet den nächsten Rad-Toten.

Zur Mahnwache für die verstorbene 44-Jährige Radfahrerin kamen mehrere hundert Menschen Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin taz | Mehrere hundert Menschen haben am Sonntagnachmittag an einer Mahnwache für eine getötete 44-jährige Radfahrerin teilgenommen. Die Rad-Lobbyist*innen von ADFC und Changing Cities stellten am Unfallort an der Bundesallee ein Geisterfahrrad auf und verwiesen darauf, dass es sich bereits um die achte Rad­fah­re­r*in­ in diesem Jahr handelte, die durch den Berliner Verkehr gestorben sei. Auch die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch war vor Ort. Der Fall der vergangenen Montag verunglückten Frau hatte großes Aufsehen erregt, weil die Frage im Raum stand, ob eine Blockadeaktion von Klima-Aktivist*innen mitverantwortlich dafür war, dass Einsatzkräfte der Frau nur verspätet helfen konnten.

Die Demonstrierenden legten das vollkommen zerstörte Rennrad der Verstorbenen auf die abgesperrte Fahrbahn und kritisierten, dass eines bei der großen medialen und politischen Aufmerksamkeit an dem Fall viel zu kurz gekommen sei: „Es ist ein Mensch gestorben!“

Aufmerksamkeit hatte der Unfall auch bei weiten Teilen der Öffentlichkeit erregt, die sich sonst eher wenig für getötete Rad­fah­re­r*in­nen interessieren. Allen voran die Bild-Zeitung sowie Spit­zen­po­li­ti­ke­r*in­nen aus Opposition und Regierung hatten die Klima-Aktivist*innen der „Letzten Generation“ mitverantwortlich gemacht für den Unfall, weil ein großes Spezialfahrzeug der Feuerwehr in einem Stau auf der A100 stecken geblieben sein soll.

Das Spezialfahrzeug hätte bei der Rettung aber nicht geholfen, wie mittlerweile klar scheint: Die behandelnde Notärztin hätte laut einem mittlerweile bekannt gewordenen internen Vermerk der Feuerwehr den Rüstwagen ohnehin nicht zur Versorgung hinzugezogen, wie die SZ am Freitag berichtete.

Stau hatte keinen Einfluss auf Versorgung

Der Stau hatte demnach keinen Einfluss auf die Versorgung. Nach Einschätzung der Rettungskräfte vor Ort wäre der Einsatz des Spezialfahrzeugs medizinisch nicht angezeigt gewesen. Der dreiseitige Vermerk ist laut Bericht vom ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes unterzeichnet und soll am Dienstagabend auch an die Spitze der Feuerwehr geschickt worden sein. Offen ist, warum die Feuerwehr nicht darüber informierte. Eine Anfrage dazu ließen sowohl Innenverwaltung als auch Feuerwehr bisher unbeantwortet.

Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft eine Obduktion angeordnet – sie prüft auch „Aspekte fahrlässiger Tötung“ gegen zwei Klima-Aktivist*innen. Die Klima-Aktivist*innen hatten sich ihrerseits schockiert vom Tod der Radfahrerin gezeigt, Verantwortung dafür aber von sich gewiesen und sich nach viel Hetze medienkritisch geäußert. Ihre Blockaden setzten die Ak­ti­vis­t*in­nen auch am Montag unbeirrt fort.

Am Montag teilte die Polizei mit, dass erneut ein Radfahrer verstorben ist – ein 85-Jähriger, der von einem Linksabbieger angefahren wurde. Das Interesse an der Meldung ist deutlich kleiner. Changing Cities kündigte derweil eine Mahnwache für den Toten an.

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12 Kommentare

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  • Nach dem, was man heute weiß und auch nach den Äußerungen der Schwester und der - inzwischen wieder gelöschten Äußerung von Herrn Dr. Tadzio Müller ("Shit happens") -

    kommt es hoffentlich zu einem Umdenken, bei denen, die die Straßen blockieren (vielleicht auch zu einer entschuldigungsähnlichen Äußerung)

    ---aber---

    auch endlich!!! zu mehr Sicherheit für Radfahrerinnen, durch eine _wesentlich_ bessere Schulung _aller_ Autofahrerinnen.

    Ich fahre _sehr_ viel Fahrrad und auch Auto. Wie eng ich teilweise (_auch_ durch LKW) überholt werde.... unglaublich... Fahrräder sind Balancefahrzeuge. Stömungsgeschwindigkeit und Unterdruck ... in Abhängigkeit von der Strömungsgeschwindigkeit... Das muss in der LKW-Fahrer-Ausbildung erlebbar - erfahrbar gemacht werden.. Da fährt kein Rad "stabil".

    Warum gibt es nicht endlich verpflichtend (auch mit der Pflicht zum Nachrüsten) entsprechede Abbiegeassistenen, "Glastüren" und dergleichen

    und

    Warum bringt man Radfahrerinnen nicht endlich bei, besonders an Kreuzungen nicht neben sondern _hinter_ dem LKW zu stehen. Und dem LKW notfalls eine nichtvorhandene Vorfahrt einzuräumen.

    Mit krampft sich der Magen zusammen, bei diesem Bild, bei all dem Leid, was ich mir selber ausmale (und was - im aktuellen Fall - durch Interviewaussagen der Schwester nur angedeutet wurde.

    Ich fühl mich elend und zwar mit Blick auf das berechtigte Ansinnen der Kleberinnen und mit Blick auf den menschlichen Verlust, der stellvertretend für die vielen Verkehrstoten steht.

  • Das Bild zum Artikel zeigt die ganze Wahrheit, die interessierte Kreise kleinmachen wollen. Eine monströse, 35-40 Tonnen schwere Maschine, gesteuert von einem ausgebildeten Fahrer, hat die Frau überrollt. Das zuermalmte Fahrrad zeigt die Gewalt. Welche Chance hatte die Frau? Hielt der Fahrer überhaupt die vorgschriebenen 1,5 Meter Abstand ein? Wir kann die Frau dann (eines der wenigen Details, die man mal las) von im "gestreift" worden sein? Wer berichtet darüber genaueres?



    Die Notärztin wird schon wissen, warum sie das "Rüstfahrzeug" weder brauchte noch wollte...



    Die Aktivist/innen? Man kann das tragisch (im echten Sinne) nennen. Umgebracht haben die Frau die kapitalistischen, also rücksichtslosen Üsancen der Bauwirtschaft, nb auch noch einer der größten Umwelt- und Klimakiller.

    • @Kastriot:

      "Die Notärztin wird schon wissen, warum sie das "Rüstfahrzeug" weder brauchte noch wollte..."

      Guter Punkt und: unendlich trauriger Punkt.

    • @Kastriot:

      Scheinbar hat sich der Unfall anders zugetragen als von den meisten Foristen vermutet, angefangen vom verpflichteten Radweg bis zu den Fake-News der SZ. Es gibt scheinbar gar keinen, von der Notärztin angefertigten, Bericht. Wäre auch ungewöhnlich, bei jedem Unfall einen 3- seitiges Bericht zu schreiben. Es word immer ein Protokoll des Notfalleinsatzes angefertigt, ein Bericht nur auf Anforderung

  • Verkehrsinitiativen weisen darauf hin, dass die Unfallkreuzung seit Jahren als gefährlich bekannt ist. Sie wurde aber nicht entsprechend dem Berliner Mobilitätsgesetz umgebaut. sz.de/dpa.urn-news...1-221106-99-409371 und changing-cities.or...etoetet-mahnwache/

    • @Mika:

      Wie sollte den an einer solchen Stelle der Verkehr anders geregelt werden? Bei einer solchen Weiche kreuzen sich PKW-Verkehr und Radweg immer.

      Keine der von changing-cities aufgezeigten Änderungen hätte den Unfall in dieser Form vermieden.

      Wenn sich dann auch in Zukunft eine Partei nicht an die Vorgaben hält, dann kann es zum Unfall kommen.

      • @DiMa:

        Tempolimit, Fahrverbote, wenn die Sicherheit schwächerer Verkehrsteilnehmer nicht gewährleitet werden kann, alles andere ist Ablenkung von der tödlichen Gefahr, die von Autos ausgeht. Die FDP, CSU und CDU samt SPD zeigen hier keine Vernunft.

  • Warum arbeiten Letzte Generation, Rad-Lobbyist*innen und die Lobby der Fußgänger nicht zusammen?

    Alle wollen im Grunde dasselbe, aber werden es allein nicht erreichen.

    Eine Mahnwache von Rad-Lobbyist*innen und die gerührte Anteilnahme der Politik in Berlin ist ein bekanntes Ritual, das im Alltag der Politik bei der nächsten Gelegenheit verraten wird.

    Das beweist das Ablehnen von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen in Hamburg, was Linke vorschlugen und SPD und Grüne im dazugehörigen Ausschuss ablehnten. Die verscholzte SPD hatte sich wieder einmal durchgesetzt, die Grünen knickten ein, statt sich wie die LG auf die Straße zu setzen.



    Rad-Lobbyist*innen und die Lobby der Fußgänger lügen sich in die Tasche, wenn sie glauben, mit ein wenig Herumradeln, ein wenig Gedenken bei einem tödlichen Unfall, und guten Vorschlägen, schnelle, große Fortschritte im Verkehr zu erreichen, die Klima und Gesundheit nützen. Da steht auch die FDP imd Bund davor.



    Hier hilft nur massenhafter ziviler Ungehorsam wie in die LG vormacht.

    Politik nimmt wissentlich Tote im Verkehr in Kauf, weil sie nicht sofort Tempo 30 in Städten und Dörfern und Tempo 100 auf Autobahnen umgesetzt.



    Vor kurzen starb in Hamburg eine Seniorin, weil sie auf dem Zebrastreifen von einem LKW totgefahren wurde. Das war eine Meldung in der Zeitung und mehr auch nicht. Viele, viele Tote werden ihr folgen.

    Wahnsinn in Deutschland, aber es geht seit Jahren immer weiter so!

    • @Lindenberg:

      Sie arbeiten nicht zusammen, weil sie nicht die gleichen Interessen haben.

      Fußgänger werden auch von Radfahrern totgefahren. In Berlin passiert das im Schnitt ein Mal pro Jahr. (Ja, von KFZ werden mehr totgefahren.)

      Auf Fahrradstraßen, wie der Linienstraße in Berlin, fühlt man sich als Fußgänger nicht wohl, weil es schwierig ist, die Straße zu überqueren.

      Gemeinsame Fuß- und Radwege verunsichern Fußgänger stark.

      Als älterer Mensch oder mit kleinen Kindern hat man da keinen Spaß.

      Radfahrer in Fußgängerzonen sind ein Problem.

      Zivilen Ungehorsam leisten sich Radfahrer jeden Tag - oft zulasten der Fußgänger.

      Bei Fußgängern ist es meist nur Unwissenheit.

      (Ich kenne übrigens alle Perspektiven aus intensiver eigener Erfahrung.)

  • hätte, könnte, wäre ... es geht doch gar nicht darum, ob die Protestaktion der "letzten" Generation den Tod der Radfahrerin mit "verursacht" hat.

    Die Frage ist, ob es verantwortbar ist, wenn die Blockadeaktionen der "letzten" Generation potentiell zusätzliche Staus und Behinderung von Rettungsfahrzeugen verursachen kann. Ich denke diese minimle Risikoerhöhung ist angesichts der vom "Normalverkehr" üblicherweise erzeugten Gefährdung tolerierbar.

    Schutz böte eine Veringerung der Verkehrsdichte, d.h. eine Verringerung der Zahl der Autos in der Stadt. Dazu müssten nur die BerlinerInnen ihren Bezirkverwaltungen Feuer unterm Hintern machen, damit das kostenlosen Anwohnerparken in den Quartieren aufhört. Sozial gerecht wärs nicht, aber wirken würde es sofort.

    • @Newjoerg:

      Wie realistisch ist es, dass die Anwohner ihren Bezirksverwaltungen "Feuer unter dem Hintern machen", dass sie für ihre eigenen Autos keine Parkplätze mehr haben?

  • Liebe Taz, warum heißt es eigentlich "Rad-Toter" und nicht "Auto-Toter" ?