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Gesine Schwan über das Ampel-Ende„Die SPD ist mehr als Olaf Scholz“

Gesine Schwan warnt die SPD, im Wahlkampf nur auf Scholz zu setzen. Die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission lobt die Kommunikation von Pistorius.

Olaf Scholz und Gesine Schwan bei einer Konferenz im Jahr 2019 Foto: Uwe Anspach/dpa
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Frau Schwan, warum ist die Ampel gescheitert?

Gesine Schwan: Die Ausgangspositionen von SPD, Grünen und FDP waren sehr verschieden. Dazu kamen die Herausforderungen des Ukrainekriegs. Drittens hat das fragwürdige Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die 60 Milliarden Euro Coronakredite nicht für den Klima­umbau genutzt werden durften, die inneren Spannungen extrem verstärkt. Die FDP hat die Schuldenbremse und keine Steuererhöhungen als ihren unique selling point gesehen. Zudem hat FDP-Chef Christian Lindner viel getan, um immer wieder mit Vetos gegen die Ampel im Gespräch zu bleiben. Das ergab am Ende eine toxische Mischung.

Stefan Boness/Ipon
Im Interview: Gesine Schwan

77, Vorsitzende der SPD-­Grundwertekommission. Kandidierte 2019 mit Ralf Stegner für den SPD-Vorsitz. 2004 und 2009 Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin.

taz: Gab es eine Abbiegung, welche die Ampel hätte retten können?

Schwan: Ich habe Mitte 2023 den Vorschlag gemacht, dass die drei Parteien zusammen in einer Klausur ein umfassendes Fortschrittsprojekt vorschlagen und in drei Einzelprojekten verwirklichen, das in ihrer jeweiligen Anhängerschaft für Identifikation oder Begeisterung hätte sorgen können. Das hätte die negative Dynamik in der Ampel brechen können. Leider hatte dieser Vorschlag keinen Erfolg.

taz: Es gab die Idee, dass die Ampel nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil im Herbst 2023 eine Art neuen Koalitionsvertrag hätte aushandeln müssen – der erste war ja faktisch hinfällig.

Schwan: Das wäre fast schon zu spät gewesen.

taz: Die FDP hat sich in der Ampel fast nur als Blockademacht verstanden. War das ein Grund für das Scheitern der Ampel?

Schwan: Ja, natürlich. Lindner hat nur einen sehr schmalen Ausschnitt von Liberalismus für die Wirtschaft vertreten. Freiheit und Individualismus wären ja weitere positive Ziele, denen auch ich als Sozialdemokratin viel abgewinnen kann. Die FDP hat all dies extrem verengt. Im Kern hat sie sich auf ein Instrument – den Erhalt der Schuldenbremse – fokussiert. Sie hatte keine Vision. Deshalb war sie so kompromisslos. Wenn man eine positive Vision hat, kann man flexibel sein, Kompromisse eingehen, die das Ziel näher bringen. Die FDP war stur aus Ideenlosigkeit.

taz: Die Ampel ist am Ende nur noch mit Machtkämpfen und Streit identifiziert worden.

Schwan: Diese Machtkämpfe waren verständlicherweise abschreckend. Ich glaube, dass wir als Menschen viel mehr Potenziale und Facetten haben, als normalerweise zum Ausdruck kommen. Das gilt auch für Politik, auch wenn die eher auf Konkurrenz als auf Kooperation aufgebaut ist. Der Neoliberalismus hat die Gesellschaft trainiert, dass es nur Gewinnen und Verlieren gibt, nur Nullsummenspiele. Die Ampel machte den Eindruck, dass es wie im Neoliberalismus nicht mehr um kreative, gemeinsame Lösungen ging, sondern nur noch um Machtkalküle. Das fanden viele langweilig und abstoßend.

taz: Die Ampel sollte laut Scholz ein historisches Bündnis werden: eine Koalition von organisierter Arbeitnehmerschaft, aufgeklärtem Ökobürgertum und liberalem Bürgertum – analog zu der sozial­liberalen Regierung nach 1969. Was bedeutet das vorzeitige Ende der Ampel für die Möglichkeit, künftig Regierungen links von der Mitte zu bilden?

Schwan: Demokratie ist ein Lernprozess. Man kann auch aus abschreckenden Beispielen etwas lernen.

taz: Was?

Schwan: Die SPD kann lernen, dass pragmatisches Managen der Regierung, wie es Scholz lange hinbekommen hat, nicht reicht. Scholz ist kein Visionär. Um jetzt Energien freizusetzen, braucht man Projekte, die anschaulich machen, was die SPD will. Mit Zahlen aus der Rentenformel mobilisiert man niemand.

taz: Ist Scholz der richtige Kandidat für den 23. Februar?

Schwan: Realistisch gesehen wird er der Kandidat sein. Scholz hat Stärken und Schwächen.

taz: Was folgt daraus?

Schwan: Der Wahlkampf sollte nicht ausschließlich auf Scholz fokussiert sein. Ich hoffe, dass Matthias Miersch, der neue Generalsekretär der SPD, der klare Vorstellungen zur Klima- und zur Sozialpolitik hat, die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, und der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte wichtige Figuren im Wahlkampf sein werden. Die SPD ist mehr als Olaf Scholz.

taz: Manche vermissen Selbstkritik beim Kanzler – immerhin ist seine Regierung gescheitert. „Lindner war schuld“ ist ja keine umfassende Antwort.

Schwan: Selbstkritik ist für Individuen die Voraussetzung dafür, dass man nicht von einem Lebensbruch in den nächsten torkelt. In der Politik ist das komplizierter, weil Selbstkritik immer als Schwäche interpretiert wird. In der Politik ist es unklug, oft zu sagen: Das haben wir falsch gemacht. Wichtiger ist es, konstruktive Konsequenzen zu ziehen.

taz: Was halten Sie von ­Boris Pistorius?

Schwan: Er ist kommunikativ barrierefrei. Man kann schnell mit ihm sprechen. Er hat Selbstironie. Das ist, anders als ironiebegabt zu sein, ein Pluspunkt für Politiker. Aber wenn Sie darauf hinaus wollen: Es ist nicht meine Aufgabe, der SPD Kanzlerkandidaten zu empfehlen. Und: Wenn man so niedrig eingeschätzt wird wie Scholz derzeit, kann man ja nur gewinnen.

taz: Die Kanzlerschaften der Sozialdemokraten Brandt 1974, Schmidt 1982 und Schröder 2005 endeten vorzeitig. Jetzt ist das auch bei Scholz der Fall. Warum?

Schwan: Stimmt, das ist auffällig. Die Union ist eher ein Kanzlerwahlverein. Konservative wollen nichts verändern. Merkel konnte jahrelang ohne ihre Partei Politik machen. Die SPD kann das nicht. Sie will als linke Partei immer Fortschritt, die Welt verbessern. Das gilt auch für die Grünen. Dieser Veränderungswille sorgt, was die Machtverwaltung angeht, für mehr Störanfälligkeit. Die Union will ja auch jetzt einfach wieder zurück – und Atom- und Kohlekraftwerke wieder anwerfen. Wenn man keine Ideen hat, an denen man scheitern kann, ist Machterhalt einfacher.

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18 Kommentare

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  • Ehrlich gesagt, ich finde, Olaf Scholz hat in den letzten drei Jahren gezeigt, dass er einfach nicht der Richtige ist, um die Menschen zu motivieren. Er hat sein Amt eher verwaltet, statt klare Führung zu zeigen, und das hat viele – mich eingeschlossen – enttäuscht. Man hätte doch erwarten können, dass er viel früher ein Machtwort spricht und die Richtung vorgibt, auch innerhalb der Ampel. Aber irgendwie war da immer dieses Abwarten, dieses Zögern, und am Ende kam dann doch nichts, was wirklich mitgerissen hätte.

    Meiner Meinung nach wäre es jetzt an der Zeit, jemanden wie Boris Pistorius ins Rennen zu schicken. Er hat eine direkte Art, die die Leute anspricht, und man hat das Gefühl, dass er wirklich weiß, wovon er spricht. Bei Scholz fehlt mir dieses Gefühl komplett. Er wirkt einfach nicht wie jemand, der Menschen begeistern oder die SPD wieder auf Kurs bringen kann. Pistorius könnte genau der sein, den die Partei jetzt braucht – einer, der nicht nur redet, sondern auch handelt.

  • Konservative wollen nichts ändern, die SPD will Fortschritt.



    Gleichermaßen platt und falsch.

  • Tolle Frau!



    Danke für dieses Interview.



    Es ist erfrischend, dass die Sozialdemokratie Antworten und Perspektiven liefern kann.



    Entgegen des vorherrschenden Trends, ist es eben nicht zielführend demnächst Kita-Kinder zur Wirtschaftspolitik zu befragen, sondern Menschen mit Erfahrung.



    Es mag bequem sein, nach der Abgabe des Orientierungssinns das Denken ganz den Pferden (KI) zu überlassen. Wer aber keine bösen Überraschungen erleben will, muss als Mensch für die Menschheit planen, nicht für 's Kapital. In dem Zusammenhang erscheint die potenzielle Zusammenarbeit von schwarz grün völlig abwegig.



    Dem Klimawandel ist mit dem Verbrenner nicht gedient, Der Artenvielfalt nicht mit Atommüll.



    Wer eine soziale Gesellschaft will, der kann sich nicht auf die Grünen verlassen: E Auto Steuergeschenke für Reiche, Heizungsgesetz ohne Sozialausgleich, 30% weniger Unterstützung für soziale Träger in NRW.



    Das Bevölkerungsstärkste Bundesland ist eine Blaupause für den Bund. Hier ist zu erkennen, was mit der cdu NICHT geht!



    Gut, dass es Menschen wie Gesine Schwan gibt, Inhalte sind wichtig, nicht nur die Wahl, sondern das Ziel.

  • Ich finde es verstörend, dass das Urteil des Bundesverfassungsgericht von links wiederholt mit Adjektiven wie "verstörend", "fragwürdig" etc. in Miskredit gebracht werden soll, weil es letztlich das eigene verfassungswidrige Handeln zu Tage gebracht hat. Kein guter Stil und gefährlich dazu.

  • Das stimmt!

  • Die SPD wird an Scholz als Kanzlerkandidat festhalten müssen. Sie kann es sich nicht leisten , bei dieser nicht zu gewinnenden Wahl, eine andere Person zu verheizen. Zum Beispiel muss Pistorius jetzt schon für die Wahl 2028 aufgebaut werden.

    • @Stoffel:

      Inzwischen ist das wohl so. Das Zeitfenster, in dem man entschlossen anders herangehen konnte, ist inzwischen zu. Mit einer solchen Entschlossenheit im Kanzleramt wäre die Regierung entweder längst nicht so alt geworden oder aber geräuschlos bis zum Legislaturende intakt geblieben. Und Merz würde vom Einzug ins Kanzleramt nicht einmal träumen.

  • Ampelkoaltion Lage war mit Kreml Aggression in Ukraine seit 24.2.2022 in Dynamik vergleichbar mit sog Spiegel Affäre „bedingt abwehrbereit“ Nato Fallex Manöver 1962 nach Kuba Krise, sich abzeichnendem US Vietnamkrieg, als es USA mit SPD darum ging Bundeswehr in Nato konventionell aufzurüsten, USTruppen aus Westeuropa abzuziehen, während Adenauer/Strauss westdeutschem Wirtschaftwunder junge Arbeitskräfte sichern wollten sei es durch atomare Teilhabe in Nato, oder an Seite Atommacht Frankreich De Gaulles statt diese als personelle Bundeswehr Aufstockung bis zu 550 000 Mann Arbeitskraftreserve zu parken, auf Arbeitsmigranten aus der Türkei zu setzen. Da verhalf BVG Schuldenbremse Urteil Herbst 2023 von Union bestellt, Ampel abgeholt zum Thundering both Effekt einerseits Bundeswehr Kriegertüchtigung 27.2,2022, wie es SPD Boris Pistorius später nannte, 100 Milliarden € Sondervermögen, an Bundestags Haushaltskontrollrecht vorbei, um gleichzeitg SPD Bundeskanzler Olaf Scholz mit Blick auf hohe Zustimmung für Schwarzer/Wagenknecht Appell Kampagnen „Frieden schaffen ohne Waffen“ für seine Ukraine Support Bremsmanöver Argumente zu liefern, ohne dass deren wahre Indikation kenntlich wird?

  • "In der Politik ist das komplizierter, weil Selbstkritik immer als Schwäche interpretiert wird. In der Politik ist es unklug, oft zu sagen: Das haben wir falsch gemacht. Wichtiger ist es, konstruktive Konsequenzen zu ziehen."

    Das ist der Fehler, den die Grünen gemacht haben. Ehrenwert, aber falsch in unserer Gesellschaft. Zu oft haben sie den reumütigen Sünder in der Öffentlichkeit gespielt - oft sogar da, wo sie gar nicht Schuld waren. Das hat ihnen in der Bevölkerung das Narrativ eingebracht, nix zu können, alles kaputt zu machen und sich nicht um "wahre" Belange der Menschen zu kümmern. Und das wird inzwischen so gedankenlos weitergegeben, wie man Tempo mit Papiertaschentuch assoziiert.

  • Weder war sie unkritisch noch hat sie gerade da Polit-Gemenschel-Theater und -sportberichterstattung/-schlagzeilengeschinde mitgemacht. Danke, Gesine Schwan, die natürlich die bessere Bundespräsidentin gewesen wäre!



    Ich empfinde Olaf Scholz übrigens als so selbstironisch wie wenige vor ihm in diesem Amt. Hanseatisch von unten dabei. Ich werde Merkels kommendes Buch auch mal in diese Richtung lesen.



    Zur Koalition fand ich gerade noch Wissings Interview bei SPON gerade aufschlussreich, in den Andeutungen.

    • @Janix:

      In der Tat sehr aufschlussreich und erstaunlich tiefgründig.

      Ich bin etwas verwirrt, das mir ein FDP-Politiker noch sympathisch werden kann.

  • Die SPD war mal eine Mitte-Links-Partei, heute ist die SPD nicht mehr links. Scholz war als junger Mann links, heute vertritt er definitiv eine andere Linie.



    Das sind nette Worte, aber im Wahlkampf muss Klarheit herrschen, da muss klar sein, wer antritt und für was.



    Deswegen geht es nicht, jetzt einen anderen Kandidaten zu benennen. Die SPD hat den Kanzler auch nicht ausgewechselt, sonder der Kanzler Scholz hat Lindner entlassen und die Zusammenarbeit mit der FDP in der Regierung beendet. Dafür hat er eine Begründun gegeben und die ist nun die Blaupause für den Wahlkampf. Die SPD tritt im Positivem ja fürs Regieren an und die Partei hat auch vieles erreich und gut gemacht. Die CDU/CSU hat einige Ideen, die organisierte Arbeitnehmer schlecht finden, auch das muss die SPD dann herausarbeiten und sie muss klar machen, wollt ihr Scholz oder wollt ihr mit Merz einen neoliberalen Kurs machen, mit einem Oppositionsführer, der hauptsächlich gegen Migration, Asyl und Leistungen für SGB_II-Bezieherin hantiert.



    Eigentlich bietet Merz genug, um das mit Scholz gut zu probieren. Ob das dann links ist?



    Ich glaube nicht, dass ist eher Mitte mit linken Sprengeln.

  • „Wenn man keine Ideen hat, an denen man scheitern kann, ist Machterhalt einfacher.“



    So ist es. Also dann müssten Scholz und die SPD die Wahlen eigentlich doch spielend gewinnen.😉

    • @Abdurchdiemitte:

      Sorry, das war nicht folgerichtig.



      Aus mehreren Gründen.



      1) Die SPD hat ihre zumeist sozialen Punkte von Mieterschutz, Mindestlohn etc. deutlich genannt und zumeist durchbekommen, auch gegen eine FDP.



      2) Machterhalt ist nicht gleich Wahlsieg



      3) Wofür steht der Umfragekönig Merz eigentlich? Außer sich selbst.

      • @Janix:

        "auch gegen eine FDP."

        muss heißen "mit der FDP". Die war da ja noch mit n der Regierung.

        • @Rudolf Fissner:

          Wäre es mal so gewesen!



          Wissing statt Lindner.



          Ein schönes Gedankenexperiment, ohne eine offene Destruktion als Strategieersatz. Ach.



          "mit" wäre zu nett ausgedrückt gewesen.

  • "Wenn man keine Ideen hat, an denen man scheitern kann, ist Machterhalt einfacher."



    Gute Zusammenfassung der Ampel. Und Frau Schwan kommuniziert richtig gut. Kann Ober-Olaf da nicht ein paar Stunden nehmen?

    • @Christian Lange:

      Schonn. Aber Sie sollten vllt doch nochmals etwas genauer lesen - hm?!