Gescheiterte Impfpflicht: Bahn frei für die nächste Variante
Die überstandene Infektion ohne Impfung bietet kaum Schutz gegen das Virus. Schon gar nicht gegen Mutanten, die sich munter ausbreiten werden.
D en einen mag es um eine Machtdemonstration gegangen sein, den anderen um die Stabilisierung einer instabilen Koalition. Dass der deutsche Bundestag es nicht hinbekommen hat, sich auf eine Impfpflicht zu einigen, ist aber nicht zuerst ein politisches Desaster. Es ist fortgesetztes menschliches Versagen – und eine komplette Ignoranz den Fakten gegenüber.
Ohne eine hohe Impfquote bleibt ein substanzieller Teil der Bevölkerung ungeschützt vor schwerer Erkrankung und Tod, ungeschützt vor Langzeitfolgen. Die Ungeschützten profitieren keineswegs von einer überstandenen Omikroninfektion, wenn die nächste Welle kommt. Studien haben gezeigt, dass die Immunität nach Omikron anderen Varianten nicht die Wucht nimmt. Das kann sie nur in Kombination mit der Impfung.
Das Virus hat zudem längst andere Varianten hervorgebracht, die jede für sich Evolution betreiben und noch viele unangenehme Eigenschaften dazugewinnen können. Welche dieser Mutanten als Nächstes kommt, ist offen. Aber es wird gewiss kein Omikron sein. Und die aktuelle Durchseuchung weiter Bevölkerungsteile wird wenig nützen. Es ist eher mit einer Variante zu rechnen, die sich abermals ungehindert ausbreiten kann – auch unter Geimpften.
Und bevor nun der abgenutzte Ausruf kommt, na, dann bringe doch diese blöde Impfung nichts: Doch! Sie rettet Leben, mildert Verläufe und sorgt dafür, dass in den Krankenhäusern andere Patienten behandelt werden können als an Covid erkrankte Impfverweigerer. Was die Impfung auch noch bringt, ist Freiheit.
Wenn dem Virus durch eine hohe Impfquote die Zähne genommen sind, wenn eine Infektion ungefährlich ist, braucht es keine Zugangsbeschränkungen im Einzelhandel mehr, keine Quarantäne ganzer Schulklassen, kein 2Gplus in Kultureinrichtungen, keine Masken. Man kann natürlich auf dem Standpunkt stehen, dass diese Freiheit auch ohne Impfung zu haben ist. Das ist das gegenwärtige Erleben: Alles wieder offen, Einschränkungen weg, passt doch.
Aber man trifft die Toten eben nicht im Supermarkt. Am Donnerstag waren es wieder 322, insgesamt hat die Zahl der Covid-Opfer die 130.000 längst überschritten. Dennoch verweigert ein knappes Drittel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland weiter den Luxus eines vollständigen Impfschutzes. Drei kleine Stiche, die Sicherheit bieten könnten – und der Gesellschaft eine große Last nähmen.
Dass die Politik die Fakten ignoriert, um sich zum Preis einer überfälligen Impfpflicht in Machtspielchen zu ergehen, ist deshalb keine Petitesse. Es ist schlimm. Richtig schlimm – für alle.
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