Gerichtsentscheidung zum Vorkaufsrecht: Immobilien-Lobby will weiter klagen
Nachdem ein Gericht das Vorkaufsrecht gekippt hat, sorgen sich Mieter*innen um ihre Bleibe. Vorkäufe von mehr als 600 Wohnungen dürften platzen.
Zudem sind deutlich mehr als 600 Wohnungen aus 32 derzeit laufenden Vorkaufsfällen vom Urteil wohl direkt betroffen. Hier haben Land und Bezirke zumindest bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts den Vorkauf geprüft. Betroffen sind zehn Fälle in Neukölln, acht in Mitte, sieben in Friedrichshain-Kreuzberg, fünf Fälle in Charlottenburg-Wilmersdorf und jeweils einer in Pankow und Treptow-Köpenick.
Dass diese Vorkäufe platzen werden, ist aufgrund des wahrscheinlichen Grundsatzcharakters des Urteils beinahe ausgemacht. Es könnten sogar noch mehr Fälle sein: Laut Senat lagen am Freitag aus vier Bezirken noch keine Informationen vor.
Das kommunale Vorkaufsrecht war eine der letzten wirksamen Schutzmaßnahmen für Mieter*innen in von Wohnungsnot geplagten Städten. Mit dem Urteil vom Dienstag hob das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung des Berliner Oberverwaltungsgerichts von 2019 auf und gab einem Immobilienkonzern recht – mit bundesweiten Auswirkungen. Für das Land Berlin ist das Urteil besonders hart: Bereits im Frühjahr hatte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärt.
Mit dem Vorkaufsrecht konnten Kommunen bislang in Milieuschutzgebieten verhindern, dass Investoren ungehindert Wohnraum aufkaufen können, um anschließend die Preise hochzutreiben und in der Folge ärmere Mieter*innen zu verdrängen. Verpflichtete sich der Käufer in sogenannten Abwendungsvereinbarungen nicht zur Einhaltung sozialer Standards, konnte die Kommune in Milieuschutzgebieten dem Investor die Häuser vor der Nase wegschnappen.
Unklar ist derzeit, was mit den rund 9.300 Wohnungen passiert, bei denen die Käufer*innen eine Abwendungsvereinbarung unterschrieben haben, nachdem sie von Bezirken mit der Androhung von kommunalen Vorkäufen unter Druck gesetzt wurden. In diesen Verträgen bekennen sich Käufer zu Milieuschutzzielen – indem sie zum Beispiel auf Mieterhöhungen, Luxusmodernisierungen und Umwandlung in Eigentum verzichten –, um den kommunalen Vorkauf abzuwenden.
Klar ist schon jetzt: Es wird wohl erneut zu juristischen Verfahren kommen, inwiefern die in den Abwendungen vereinbarten Sozialstandards weiter verpflichtend sind. Ein Eigentümeranwalt drohte bereits im Tagesspiegel mit Aufkündigungen von Abwendungsvereinbarungen sowie Klagen.
Für eine valide juristische Einschätzung ist allerdings die genaue Urteilsbegründung des Leipziger Gerichts abzuwarten. Laut Bundesverwaltungsgericht wird die vollständige Entscheidung in circa zwei Monaten zur Verfügung stehen – bis dahin hängen viele Mieter*innen in der Schwebe.
Großteil der Vorkäufe sind sicher
Immerhin geht der Senat auch ohne ausführliche Urteilsbegründung davon aus, dass der Großteil der in der vergangenen Legislatur vorgekauften Immobilien im Landesbestand bleiben wird. „Bereits rechtskräftige Bescheide zur Ausübung von Vorkaufsrechten bleiben vom Urteil unberührt“, sagte Alexis Demos, Sprecher der Senatsverwaltung für Finanzen von Matthias Kollatz (SPD), der taz. In diesem Bereich werde es keine Rückabwicklungen geben.
Sollte die genaue Auslegung des Gerichts im Widerspruch zu den Absichten des Gesetzgebers stehen, könne Berlin eine Klarstellung per Bundesratsinitiative voranbringen, so Demos. Bausenator Scheel hat dies bereits angekündigt.
Reiner Wild vom Berliner Mieterverein ist sich sicher, dass bereits abgeschlossene Abwendungsvereinbarungen Bestand haben werden: „Wir halten die Abwendungen für sicher – es sind öffentlich-rechtliche Verträge, denen Eigentümer freiwillig zugestimmt haben. Ich glaube nicht, dass mit dem Urteil die Geschäftsgrundlage dafür wegfällt“, sagte Wild zur taz. Allerdings geht auch er davon aus, dass überall dort, wo noch geprüft und verhandelt wird oder Widersprüche und Klagen laufen, Vorkäufe und Abwendungsvereinbarungen scheitern werden.
Nach der knappen Pressemitteilung des Gerichts nimmt Wild an, dass dem Urteil keine Einzelfallproblematik zugrunde liegt, sondern eine Ausnahmeregelung im Baugesetzbuch das kommunale Vorkaufsrecht ausgehöhlt hat. „Das ist ein Defizit der Gesetzgebung“, betonte Wild und forderte, dass die Ampelkoalitionäre auf Bundesebene das Baugesetzbuch entsprechend ändern – SPD und Grüne sind mit großer Wahrscheinlichkeit dafür, die FDP ist allerdings strikt gegen das kommunale Vorkaufsrecht.
Berlin besonders betroffen
Berlin ist von der Entscheidung besonders betroffen: Auch wenn nicht nur der rot-rot-grüne Senat das kommunale Vorkaufsrecht nutzte, sondern es auch in München, Hamburg und Köln zum Einsatz kam, wurde es in der Hauptstadt am häufigsten ausgeübt: Insgesamt kam das Vorkaufsrecht laut Senat in der vergangenen Legislatur von Dezember 2016 bis Mitte November 2021 insgesamt 94-mal zum Einsatz – damit wurden rund 2.700 Wohnungen gesichert. 82 dieser Vorkäufe sind laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung rechtskräftig abgeschlossen.
Zudem gab es unter Rot-Rot-Grün 369 Abwendungen, mit denen wiederum 9.300 Wohnungen gesichert worden seien. Insgesamt wurden durch Vorkaufsrecht und Abwendungen in Milieuschutzgebieten also rund 12.000 Wohnungen gesichert, die meisten davon in Neukölln (knapp 3.000), Friedrichshain-Kreuzberg (rund 2.800), sowie Mitte (2.400), Tempelhof-Schöneberg (1.800) und Pankow (1.200).
Laut Finanzverwaltung hat das Land Berlin in der vergangenen Legislatur 67 Vorkaufsrechte mit insgesamt 1.857 Wohneinheiten mit rund 55,1 Millionen Euro bezuschusst. Ein Großteil der Summe sei bereits ausgezahlt.
„Wut und Ratlosigkeit“
Richtig mies ist das Urteil für Mieter*innen, die sich aktuell in Mietkämpfen um ihre Häuser befinden, gerade für einen Vorkauf trommeln oder bei deren Vorkäufen noch Widerspruchsverfahren oder Klagen anhängig sind. In der Hermannstraße 48 in Neukölln etwa übte der Bezirk das Vorkaufsrecht zugunsten einer von Mieter*innen mit Hilfe des „Mietshäuser Syndikats“ gegründeten Gmbh „H48“ aus – wogegen Käufer und Verkäufer klagten. Der Vorkauf dürfte abgeräumt werden.
Auch Mieter*innen der Liebig 24 in Friedrichshain waren gerade dabei, sich zu organisieren und mögliche Drittkäufer zu finden – bis das Urteil reinknallte. Nun herrscht eine Stimmung zwischen „Wut und Ratlosigkeit“, wie ein dort lebender taz-Kollege schildert.
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