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Genderneutrales AufwachsenDie Stelle, an der Kinder raunen

Dass alle Kinder sich als Prinzessin Elsa verkleiden dürfen – das ist doch inzwischen selbstverständlich, oder? Leider nein, aber wir arbeiten dran.

Verbreitete Verkleidungsoption: Mädchen als Prizessin, Junge als Pirat Foto: imago

V ergangene Woche hat der Zweijährige ein T-Shirt von seinem Vater angezogen und ist mit wallendem Gewand stolz durch den Flur geschritten. Hin und her und her und hin. Er wollte dann damit rausgehen, aber es war zu lang. Ich habe ihm versprochen, dass er bald ein passendes Kleid bekommt. Er freut sich schon.

Wir versuchen, die Kinder so genderneutral wie möglich aufwachsen zu lassen. Beschränkt durch unsere eigene Muster, die wir dem immer wieder anpassen, aber auch durch die Muster anderer. Denn man kann machen, was man will, im Kindergarten, in der Schule oder auf dem Spielplatz kriegen sie Klischees mit. Je hipster der Stadtteil desto weniger, aber im Grunde ist man davor nirgends sicher.

Bei den Lesungen aus meinem Kinderbuch gibt es eine Stelle, die ich immer vorlese und bei der ich immer wieder eine ähnliche Reaktion aus dem Publikum höre. Es geht dabei um Verkleidungen. Der Textausschnitt lautet: „Du kannst dich etwa als Prinzessin Elsa verkleiden. Dabei ist es ganz egal, ob du ein Mädchen bist oder ein Junge oder keines von beidem. Es ist egal, ob du weiß bist oder Schwarz. Alle dürfen Elsa sein.“ Je älter die Kinder sind, desto lauter ist das Raunen, das dann durch den Saal geht. Manchmal platzt es aus ein paar Jungs dann raus, dass sie aber ganz sicher nicht Elsa sein wollen! Pah!

Es ist eine Stelle, die sie herausfordert. Manchmal finde ich das traurig. Aber andererseits: Was habe ich denn erwartet? „Für Kinder ist Geschlechtszugehörigkeit die zentralste Form der sozialen Identität“, wurde Weertje Willms, Professorin für Neue Deutsche Literatur, vor ein paar Tagen im Deutschlandfunk Kultur zitiert.

Je jünger, desto Einhorndichte

Die Gefühle der Kinder lasse ich meist stehen, wie sie aus ihnen herauskommen. Es soll für alles Platz sein. Vor 150 Kindern ist auch gar nicht der Raum, um behutsam auf Details einzugehen. Das können die Bezugspersonen oder Leh­re­r*in­nen besser. Ich finde es trotzdem schön, dass sie diese Zeilen mal hören. Vielleicht denken sie noch ein wenig darüber nach. Vielleicht denken auch die Erwachsenen ein wenig über die Reaktion der Kinder nach und was das mit ihnen selbst zu tun hat.

Anschließend frage ich oft, als was sich die Kinder zuletzt verkleidet haben. Inzwischen kann ich pseudo-empirisch behaupten: Je jünger die Kinder desto größer die Einhorndichte. Was mir aber auch aufgefallen ist: Dass es zwar Mädchen gibt, die sich als männliche Figuren aus Geschichten oder Filmen verkleiden, aber so gut wie nie Jungs, die sich als weibliche oder feminine Figuren verkleiden.

Das liegt sicher nicht nur daran, dass sie es nicht wollen. Oder, dass es so wenig feminine Hel­d*in­nen in Büchern und Filmen gibt. Es liegt auch daran, dass die Kinder Misogynie bereits verinnerlicht haben. Daran, dass ihnen bestimmte Kostüme ausgeredet werden. Am Ende verstärkt das eine diskriminierende Ordnung, die vorgibt, was die einen Kinder sein dürfen und die anderen nicht.

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Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
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12 Kommentare

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  • Letztlich wird in dem genannten Beispiel aus dem Kinderbuch nur ein antiquiertes Stände- durch ein Gender-Klischee ersetzt. Naja, wer's mag. Meine Tochter hätte auch gelacht.

  • So ein Quark. Meine Jungs konnten anziehen und sich verkleiden, wie sie wollten. Einmal war eine brutalistische Form von Caesar angesagt - mit Holzschwert und Toga - ein andermal Rotkäppchen samt Kappe und Körbchen. Wir hatten Glitzerhaarspangen (weil die halt glitzern und außerdem wurden im Kindergarten immer nur die Mädchen nach dem Mittagsschlaf frisiert; mein Sohn wollte aber auch von der Kita-Tante gekämmt werden) und goldene Stilettos im Laden (die habe ich umgehend verboten, weil man(n) dabei mordsgefährlich umknicken kann, besonders wenn sie fünf Nummern zu groß sind) und wir hatten auch Phasen, in denen man mit Mädchen nicht spielte und "wir" waren eine Weile der einzige Junge auf dem Reiterhof, weil zu Königen und Rittern eben Pferde gehören - da haben die Mädchen einen dann ausgeschlossen und ja, sie haben einen auch böse ausgelacht und gehänselt. Und, was soll ich sagen, was vor Jahrzehnten noch ging und unkommentiert blieb bzw. leicht beäugt wurde, wird heute zu einer Haupt- und Staatsaktion. Genderneutral? Warum nicht einfach ganz tolerant Raum für Individualität lassen?

  • Hallo,



    ich heiße Simma. Ich bin als Junge geboren und habe mich später entschieden, eine Frau sein zu wollen.

    Meinen Eltern war es egal, ob ich mit Autos oder mit Kuscheltieren spielen wollte. Ich habe mit beidem gespielt. Ich habe dann als Teenager mein Interesse an Mädchen und Jungs gehabt und auch da beides ausprobiert.

    Ich hatte es gut. Denn meinen Eltern war es egal. Waren sie damit aber genderneutral? Nein, waren sie nicht! Denn es gab Angebote typisch männlicher und typisch weiblicher Art in meiner Kindheit und in meinem Teenager-Alter. Irgendwann konnte ich die Entscheidung für mich selbst dann treffen.

    Ich verstehe die angestoßene Debatte in dem Artikel einfach nicht. Möchte der Artikel dafür werben, Kinder genderneutral zu erziehen oder ihnen eine genderneutrale Umgebung anzubieten? Beides halte ich für einen Fehler.

    Wir sprechen in der Gesellschaft doch von Vielfalt. Dann behalten wir ein vielfältiges Angebot. Hier hast du typisch männliches Spielzeug, hier typisch weibliches, etc. Wichtig ist doch nur, dass das Kind für sein oder ihr Verhalten nicht bestraft wird, sondern bestärkt wird, den eigenen Weg zu finden. Dabei darf das Kind sich doch an Typologien orientieren. Den eigenen Kurs wird es finden. Das Eine schließt das Andere nicht aus.

    Neutral bedeutet an der Stelle dann für mich, Orientierungslosigkeit anzubieten, einfach nur auf der abstrakten Basis, dass typisch männlich und typisch weiblich lediglich gesellschaftliche Zuschreibungen sind?!?!?!?! An dieser Stelle sei das Experiment von John Money und "Brenda" erwähnt. Lest es euch durch. Traurige Sache. Von wegen Geschlecht sei ein rein gesellschaftliches Konstrukt *facepalm*

    Ich verstehe das alles irgendwie nicht mehr. Oft genug klingen diese Artikel für mich wie extreme Ansichten.

  • Oh mein Gott. Lasst die Kinder doch einfach in Ruhe.

  • Kinder orientieren sich an erwachsenen Rollenvorbildern und weil Geschlecht nun mal identitätsbildend ist, orientieren sich die Jungs an Männern. Die wenigsten Jungen werden ihrwen Vater, ihren Onkel oder irgendwelche Männer auf der Straße im Kleid oder geschminkt oder im Minirock rumlaufen sehen. Da ist das eigentliche Problem: Frauen können alles tragen, Kleid, Rock, Hose, Anzug, können sich schminken oder nicht, wie sie Lust haben. Wenn du als Mann einen Rock trägst oder dich schminkst, dann wird das als feminin angesehen, im besten Fall als Statement zur Genderdebatte, aber niemals als neutral, männlich, individuell. Das ist kein Zeichen von Misogynie - an diesem Punkt ist die Gesellschaft männerfeindlich, weil sie Männern nicht die Freiheit gibt, die Grauen haben, alles zu tragen. Und wenn das für Erwachsene gilt, machen Kinder das auch nicht anders.

  • "Für Kinder ist Geschlechtszugehörigkeit die zentralste Form der sozialen Identität" - vollkommen richtig. Was folgt daraus? Warum wird darauf hingearbeitet, Kinder "genderneutral" aufwachsen zu lassen? Das Gegenteil scheint notwendig zu sein: Ein Kind muss sich seiner Geschlechtszugehörigkeit zeitig sicher sein und vom Umfeld darin bestätigt werden. Es fühlt sich dann am wohlsten, wenn die Eigenwahrnehmung mit der Fremdwahrnehmung zusammenpasst. Ein "genderneutrales" Verhalten der Eltern erreicht da eher das Gegenteil, oder?

    • @Winnetaz:

      Nicht die Genderneutralität, die Freiheit, alles tun (tragen) zu dürfen, sollte Ziel sein. Niemand möchte, dass Kinder nur noch beige tragen, weil eine Farbe oder ein bestimmtes Kleidungsstück ihre geschlechtliche Zugehörigkeit offenbaren könnte.

      Farben und bestimmte Kleidungsstücke sollten die Genderzugerörigkeit der Kinder aber auch nicht in Frage stellen, weil sie in den Augen einer Gesellschaft nur für das eine oder andere oder weitere zur Verfügung stehen..

  • "Es liegt auch daran, dass die Kinder Misogynie bereits verinnerlicht haben."

    Ist die Wortwahl nicht etwas drastisch? Oder ist wirklich schon ein Zeichen von Frauenhass, sich nicht "weiblich" (ver-)kleiden zu wollen?

    • @Fairchild670:

      Ja, das ist drastisch. Aber was will man machen, wenn man einen starker Schluss braucht? Alles andere war ja schon gesagt.



      Ausser vielleicht, was genderneutrales Aufwachsen ist? Ein-und zweijährigen kann man noch verschieden lesbare Kleidungs-, Haltungs- Frisurformen zukommen lassen. Aber weder ist das "neutral", sondern entweder weiblcih oder männlich, noch ist das nachhaltig. Denn kurze Zeit später bestimmen die äusseren Einflüsse und inneren Einstellungen die Kleidungslinien. Es ist unmöglich sich bis, zb in der Pubertät, neutral zu verhalten.

      • @fly:

        genderneutrales Aufwachsen, erlaubt den Kindern, sich ihre Rolle selbst zu erkunden und zu wählen.



        Da waren wir in Deutshcland schon mal weiter. In meiner Kindheit waren Mädchen mit kurzen Haaren normal. Meine Tochter wird nicht selten mit einem Jungen verwechselt. Meinen Sohn dagegen halten alle für meine Tochter (Ok, die langen Haare waren in den 80ern für Grundschüler auch noch nicht standard)



        Neutrales Aufwachsen würde bedeuten, dass die Kinder unabhängig vom eigenen Geschlecht entscheiden dürfen, ob ihnen Blau, Glitzer, Drachen, Einhörner, Rosa oder Löcher in den Hosen gefallen.

        • @Herma Huhn:

          Tatsächlich ist das für mich nicht Genderneutral. Wir als Gesellschaft sollten lediglich aufhören, bestimmten Farben und Kleidungsstücken mehr Eigenschaften zuzuschreiben, als den offensichtlichen.