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Gender-IdentitätEin „Gefühl“ ist das nicht

Wir alle haben eine Geschlechtsidentität – auch cis Menschen. Sie ist ein Grundpfeiler. Sie sind nicht überzeugt? Machen Sie mit mir einen Test.

Identität, das sind nicht immer die andern Foto: Gary Waters/Ikon Images/imago

F ormulierungen wie „fühlt sich als Mann“ oder „empfindet sich als Frau“ sind immer noch sehr verbreitet in Texten über Gender. Diese Formulierungen sind nicht komplett falsch. Aber sie sind irreführend. Geschlecht ist kein Gefühl wie warm, Hunger, einsam. Oft liest man stattdessen den Begriff Gender-Identität oder Geschlechts­identität. Klingt abstrakt, verkopft. Was ist das? Die Definitionen sind nicht ganz einheitlich, es ist ein psychosoziales Phänomen, in etwa geht es um das innere Bewusstsein, um eine intuitive Zugehörigkeit, die uns prägt.

Geschlechtsidentität ist ein Grundpfeiler unseres Selbstbilds. Nicht nur trans Personen haben sie oder agender, nichtbinäre und genderqueere Personen. Alle haben eine Geschlechtsidentität. Wir bemerken sie aber nur, wenn jemand sie angreift oder infrage stellt. Spielen wir das einmal durch. Achtung, das wird vielleicht unangenehm.

Schritt 1: Tragen Sie bitte ihr Geschlecht ein!

„Ich bin _______________.“

Schritt 2: Streichen Sie es durch. Das, was Sie eingetragen haben, ist leider falsch. Meiner Meinung nach haben Sie unrecht. Ich kann mich irren. Aber ich hätte gern Beweise.

Wenn Sie „ein Mann“ eingetragen haben, dann möchte ich, dass Sie mir beweisen, dass Sie ein richtiger Mann sind. Was ein richtiger Mann ist, darüber gibt es Bücher, Websites und Podcasts, lesen Sie sich ein. Und strengen Sie sich bitte an!

Wenn Sie „eine Frau“ eingetragen haben, dann kann ich Ihnen gleich sagen, das wird nichts. Die korrekte Frau gibt es nicht. Frauen sind immer falsch. Sie sind entweder nicht schön genug, oder wenn sie schön sind, dann sind sie nicht moralisch genug, und wenn sie moralisch sind, sind sie zu spröde – und bis sie all das entzwirbelt haben, sind sie zu alt.

Schritt 3: Hatten Sie eben eine emotionale Reaktion? Zum Beispiel Wut oder Trotz? Wollen Sie mir gerne eine klatschen? Ich hoffe es, denn das wäre ein gesunder Selbstbehauptungs­reflex. Ich habe Ihre Geschlechtsidentität angegriffen – ich bitte um Entschuldigung –, das ist demütigend, so sehr, dass wir zu einigem fähig sind, wenn das passiert. Manch ein Mann hat deswegen schon gemordet.

Schritt 4 (optional): Haben Sie oben etwas anderes eingetragen als „Mann“ oder „Frau“? Oder haben Sie das Gefühl, dass Sie diese Übung nicht gebraucht hätten, weil Sie solche Angriffe oft genug im Alltag erleben? Dann sind Sie womöglich trans, agender, nichtbinär oder genderqueer – oder Sie haben mit diesen Gruppen zumindest einiges gemeinsam.

Identität, das sind nicht immer die andern. Geschlechtsidentität haben wir alle, auch cis Menschen. Sie ist kein Gefühl und auch kein Luxusaccessoire. Wenn wir bei trans Personen sagen „fühlt sich als Mann/Frau“, bei cis Personen dagegen „ist ein Mann/eine Frau“, dann klingt das, als wäre unser Erleben von Geschlecht grundverschieden. Dabei ist es ziemlich ähnlich.

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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30 Kommentare

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  • "Hatten Sie eben eine emotionale Reaktion? Zum Beispiel Wut oder Trotz? Wollen Sie mir gerne eine klatschen? Ich hoffe es, denn das wäre ein gesunder Selbstbehauptungs­reflex."



    Es fragt sich eher was das über den Verfasser aussagt, wenn bei einer derartigen Minimalprovokation direkt an körperliche Gewalt gedacht wird.

  • Anderen ist aber egal als was ich mich identifiziere, solange ich nicht so aussehe. In meinem Pass steht auch meine Nationalität, ich wurde sogar damit geboren, interessiert keinen, ich sehe nicht danach aus. Ich kann mich stereotypisch kleiden und auch so benehmen, ändert nichts. Ich kann daran zerbrechen oder einsehen, dass Nationalität, Gender und sogar Ethnien einfach soziale Kunstrukte sind und ihnen mehr oder weniger Bedeutung für das eigene Leben einräumen.

  • Der englische Begriff "Gender Identity" trifft es wesentlich besser. Er heißt nicht umsnst nich "Sexual Identity". Der deutsche Begriff ist ein kruder Mischmasch, da er nicht zwischen biologischen und sozialem Geschlecht trennt. Er sollte abgekoppelt vom biologischen Geschlecht "Sozialgeschlechliche Identität" heiße.

  • Im englischen gibt es sex das ist biologisch XX oder XY mit ganz wenigen Ausnahmen. Dazu kommt noch der Knochenaufbau und einige andere biologische Faktoren.

    Gender hingegen ist schlichtweg gesellschaftliche, viele Gesellschaften hatten mehr als 2 Gender (Eunuchen, etc.). Man unterscheidet die zwei Begriffe und muss dann halt immer entscheiden was relevant ist wer biologisch ein Mann ist kann keinen Gebärmutterhalskrebs entwickeln, muss da nicht zur Vorsorge. Beim Sport muss man schauen ob da durch Biologie Vorteile erwachsen.

  • ist doch ganz einfach-xx oder xy. Alles andere sind Gefühle.

  • Mensch ist Mensch. Mensch kann reden, zuhören, gute oder schlechte Dinge tun, für sich und andere. Mensch kann traumhaft gut kochen, Geige spielen, Lindy Hop tanzen. Mensch kann gut mit kleinen Kindern oder Pferden was zu flüstern. Mensch kann so viel. Oder auch wenig. Mensch ist gut zu anderen Menschen. Oder gemein. All das ist das Entscheidende für das Miteinander. Die Chromosomen sollten dabei nur für Mensch wichtig sein, wenn Mensch das so braucht. Und ja, ich störe mich auch an der Einteilung auf Formularen, wieso ist das wichtig? Name, Adresse, Geburtsdatum sollten ausreichen um Online Einkäufe oder Behördengänge zu tätigen. Alles andere ist Mensch. Denn "Katze" kann das ohnehin nicht.

  • Hunger und Wärme sind auch keine "Gefühle" wie das Wort hier verstanden werden will.

    • @non payclick:

      Bei Hunger wäre das Wort "Appetit" das richtige in Bezug auf "Gefühle", das, was Individuen als Wärme (also angehnehme Umgebungumweltbedingungen) beschreiben, ist von der Gesamtsituation abhängig und ned objektivierbar, also ein "Gefühl".



      Was aber jetzt ned grundlegend die Kernaussage der Kolumne, nämlich daß Geschlechtsidendität keine verschrobene Marotte auf Grund patriachaler Dogmen ist.



      Um Mißverständnissen vorzubeugen; die "patriachalen Dogmen" sind die Einteilung in m/w und wie Peter Weissenburger erwähnt bei Frauen noch ned mal klar definiert: "Die korrekte Frau gibt es nicht.".

  • @Lossy Du bist smart, ich mag deine Kommentare. Dicken Daumen hoch!

  • Ich frage mich bei Behördenformularen oder Anmeldebögen beim Fitnesscenter oder einem Handyvertrag vor allem immer eines: Was geht euch das an und warum ist mein Geschlecht in diesem Kontext wichtig?

    Ab und an gilt das auch für die Angabe zur Nationalität.

    • @Alfonso Albertus:

      Weils halt aufm Ausweis steht, deswegen die andauernde Geschlechtsangabe. Soll ja schomma vorgekommen sein, daß zweieiige Zwillinge den gleichen Vornamen haben...

      • @Hugo:

        Ich weiß nicht, was Sie für einen Ausweis haben. Auf meinem Personalausweis steht das Geschlecht jedenfalls nicht.

  • Ich hab zwei x-Chromosomen. In jeder Zelle. Das ist auch kein Gefühl, bedeutet aber doch einiges. Im Zweifelsfall Entscheidendes.

    • @miri:

      "bedeutet aber doch einiges. Im Zweifelsfall Entscheidendes"



      'Bedeutung' und 'Entscheidendes' sind keine der Natur inhärenten Kategorien. Genau darum geht es hier.

  • Ich habe ein XY-Chromosomenpaar. Das ist mein Körper, mit dem ich zurecht kommen muss. Ich habe keinen anderen.

    • @sollndas:

      Ihr Körper ist lange nicht alles, was Sie als Person ausmacht.

      • @Lossy:

        Ja. Und als Person bin ich erst mal ein... Mensch.

      • @Lossy:

        Ja, aber ohne den Körper gibt es keine Person. Er ist die unabdingbare Voraussetzung.

        • @CarlaPhilippa:

          Die Luft zum Atmen ist ebenso unabdingbare Voraussetzung.



          Mit Luft und mit Körper aber ohne Gesellschaft gibt es auch keine Person. Auch Gesellschaft ist unabdingbare Voraussetzung.



          Die Frage ist: Was tragen diese Feststellungen zum Thema des Artikels bei?

          • @Lossy:

            Der Körper, in dem ich lebe bzw. mit dem ich aufwachse beeinflusst mein Leben, meine Interaktion mit der Umwelt, meine Repräsentation in der Welt. Der Körper bestimmt, welche Möglichkeiten ich habe (z.B. zu groß/klein für bestimmte Aktivitäten). Der Körper bzw. das Aussehen bestimmt, wie mir Fremde begegnen.



            Das alles hat massive Auswirkungen auf die Entwicklung der Persönlichkeit.

            Der Körper ist vielleicht nicht alles, was eine Person ausmacht, aber er ist auch nicht von ihr zu trennen, sondern hat signifikanten Einfluss.

            • @Tiefling-Hexer:

              Unterschreibe ich alles sofort. Und trotzdem verstehe ich nicht, was der Post von Sollndas wirklich zum Thema des Beitrags sagen will.

          • @Lossy:

            Sie können alles mögliche einatmen. Luft ist natürlich der bekömmlichste Stoff, aber auch Opium oder Lachgas geht.

  • Ich bin ich.



    Wozu muss ich mir eigentlich eine der vorgegebenen Kategorien wählen?

    Es wird die binäre Kategorisierung kritisiert und als Alternative gibt es jetzt halt ein paar mehr Kategorien. Aber was ändert das eigentlich grundsätzlich?

    • @Schnurringer:

      An diesen Kategorien hängen, ganz grundsätzlich, die Zuschreibungen der anderen. Und ob wir uns diese Kategorie wirklich aussuchen können, ist die Frage.

      • @Lossy:

        "...die Zuschreibungen der anderen."



        Wenn ich mein Leben von den Zuschreibungen der anderen abhängig machen würde, könnte ich mich gleich in's Grab legen.

        • @sollndas:

          Natürlich hängen wir auch von Zuschreibungen der anderen ab, welche im Übrigen zur Ausprägung unserer Identität beitragen. Wirklich unabhängig entwickelt sich niemand. Zum Beispiel wird ein "süß" aussehendes Kind vom Umfeld wärmer und insgesamt positiver behandelt als ein Kind mit einem "Makel" im Gesicht. Entsprechend entwickeln sich die Kinder unterschiedlich. Ein anderes Beispiel: wir wählen bestimmte Kleidungsstile, welche die Umwelt in bestimmte Zuschreibungen für uns lenken sollen (Frau in Kostüm und eleganten Schuhen versus Frau mit engem, kurzem Kleid mit tiefem Ausschnitt und hochhackigen Schuhen versus Frau in lockerem t-shirt und alter Jeans.......).

          • @resto:

            Falsch. Identität enwickelt sich, indem man sich von Zuschreibungen löst.

            • @sollndas:

              Identität ist zwischen der Zuschreibungen der anderen und der Vorstellung über sich selbst.



              "Ich bin der, den andere für zuverlässig halten - ich selbst sehe mich nicht so"



              Das ist beides Teil der Identität

              • @Tiefling-Hexer:

                "Identität ist zwischen der Zuschreibungen der anderen und der Vorstellung über sich selbst."



                Genau so ist es. Ich kann meine Identität im Rahmen des Gegebenen (mein Körper, meine Geschichte, meine Herkunft, etc.) zu einem gewissen Grad mitbestimmen und gestalten. Aber auch die anderen bestimmen mit, wer ich bin. Und was das Soziale betrifft, die soziale Identität, haben die anderen immer das letzte Wort.

  • Verdammt! Ich hatte ja keine Ahnung...