piwik no script img

Maren Kroymann zum Holocaust-Gedenktag„Es ist für mich eine große Ehre“

Mary Pünjer wurde von den Nazis ermordet. Sie war lesbisch und Jüdin. Die Schauspielerin Maren Kroymann wird im Bundestag einen Text über sie lesen.

„Das ist doch das viel Wichtigere, dass wir untereinander solidarisch sind“ Foto: Mathias Bothor
Nicole Opitz
Interview von Nicole Opitz

taz: Frau Kroymann, am Freitag wird im Bundestag das erste Mal der queeren Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Sie lesen einen Text über Mary Pünjer, die von den Nazis ermordet wurde. Wie haben Sie reagiert, als Sie dafür gefragt wurden?

Maren Kroymann: Als ich gefragt wurde, hat es mir kurz den Atem genommen, aber ich wusste sofort: Das will ich machen. Es ist für mich eine große Ehre, dass ich diesen Text vortragen darf, der das Leben und Sterben einer Lesbe würdigt, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurde.

Kannten Sie Mary Pünjer?

Ich kannte sie nicht und wusste tatsächlich zunächst auch nicht, was für einen Text ich bekommen würde.

Wie ist Ihre Verbindung zu Mary Pünjer?

Natürlich sind Frauen diskriminiert oder ins KZ gesteckt worden. Pünjer wurde als 'kesse Lesbierin’ gelabelt, das finde ich so bezeichnend. Sie hat sich eben nicht einschüchtern lassen und war nicht die Frau, die sagt: Ich ducke mich weg. Sie hatte Selbstbewusstsein und den gesellschaftlichen Zwang, so zu tun, als sei sie als Lesbe nicht vorhanden, hat sie offensichtlich ignoriert. Das hat die Nazis provoziert, weil sie einfach das gemacht hat, was wir uns alle wünschen: Souverän leben und sagen: „Klar, das bin ich. Na und?“ Das hat sie das Leben gekostet.

Jannik Schümann, der einen Text über Karl Gorath im Bundestag vorlesen wird, hat im Tagesspiegel letzte Woche gefragt: „Warum? Warum gedenkt man erst jetzt?“ Fragen Sie sich das auch?

Ja, natürlich. Deswegen finde ich es großartig, dass Lutz van Dijk mit anderen jahrelang dafür gekämpft hat. Das war eine Sache des Bundestagspräsidenten. Schäuble wollte davon nichts wissen. Das zeigt ja auch, wofür jemand steht, beziehungsweise seine Partei.

Inwiefern?

Bärbel Bas ist Sozialdemokratin und hat gleich die Bedeutung eingesehen. Das hat mit der grundsätzlichen politischen Haltung zu tun. Im Bundestag sind andere Gruppen schon separat gewürdigt worden. Nur die Homosexuellen nicht. Und das ist überfällig gewesen, dass wir – wir, sage ich, ich war natürlich nicht dabei! – auf bestimmte Art unterdrückt, gefoltert, gehasst wurden. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass schwule Männer nochmal besonders ekelhaft gefoltert wurden, noch massiver als andere Menschen, die im KZ waren. Es ist richtig, dass die queeren Menschen ein eigenes Gedenken kriegen. Das war ja ein ganz langer Kampf. Deshalb ist es einfach so ein erhebendes Gefühl, dass das jetzt umgesetzt wird.

Ein erhebendes Gefühl?

Es berührt mich sehr, dass es diese offizielle Gedenkstunde im Bundestag gibt. Es ist so unglaublich widerwärtig und grauenvoll, was die Männer erlebt haben. Diese Erfahrung von Brutalität und von ausgelöscht werden ist in eine Bewegung gemündet, die dafür kämpft, dass das nicht mehr passiert.

Inwiefern unterscheidet das Leid der Lesben das anderer queerer Opfer?

Es gibt wenige Nachweise, dass Lesben auch gefoltert worden sind, getötet worden sind, weil sie ja nicht Gegenstand des §175 waren. Frauen waren nicht als Lesben inhaftiert, sondern als Diebinnen, Hehlerinnen, Prostituierte oder, wie im Fall von Mary Pünjer, als sogenannte 'Asoziale’. Das heißt, das Leid der Lesben war eigentlich unsichtbar, weil es den Begriff „lesbisch“ als Straftatbestand nicht gab. Das heißt, dass Lesben in ihrem Leid nicht als Lesben sichtbar waren.

Sie haben über dieses unsichtbare lesbische Leid schon 2006 in einem Gastbeitrag für die taz geschrieben.

Damals ging es um das Mahnmal. Es sollte ursprünglich nur der männlichen Homosexuellen gedacht werden. Das wäre ein fatales Zeichen, weil das ja das Denken der Nazis reproduziert hätte: Wenn sie sich nicht äußern, dann sind sie nicht da. Weibliche Homosexuelle sind nicht einmal so wichtig, dass sie diskriminiert werden müssen. So ungefähr. Ein ganz patriarchales Denken.

Sie haben damals von dieser Überlebenstechnik gesprochen, die sich weitertragen würde: „Mir kommt es so vor, als ob diese Überlebenstechnik, so zu tun, als ob man nicht da ist, heute immer noch die Basis des lesbischen Ichgefühls in dieser Gesellschaft ist.“ Haben Sie nach wie vor dieses Gefühl?

Mathias Bothor
Im Interview: Maren Kroymann

geb. 1949, ist ein vielfach ausgezeichnete deutsche Schauspielerin und Kabarettistin.

Das hat sich schon geändert. Heute benennen wir viele Identitäten: LGBTIQA+. Es gibt eine Homosexuellenbewegung, die natürlich stark von den Schwulen geprägt ist. Das ist ganz klar mit der Geschichte des §175 verbunden. Aber Lesben stehen ja an erster Stelle dieses Akronyms: LGBT… Finde ich sehr gut. Wie hätte man die Liberalisierung der Gesetze für uns durchgesetzt, wenn wir nicht zu sehen gewesen wären? Das hat im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr Fahrt aufgenommen, dass wir Lesben uns geoutet haben.

Mary Pünjer war auch Jüdin. Macht das für Sie einen Unterschied – den Text einer lesbischen Jüdin vorzulesen?

Ich bin mir bewusst, dass Mary Pünjer zweifach diskriminiert war, auch wenn ihre jüdische Herkunft nicht als Grund genannt wurde für ihre Inhaftierung. Die Frau ist ermordet worden, die Frau ist gefoltert worden und da versuche ich mich einzufühlen. Ich kann sie respektieren, ich kann sie hochschätzen für alles, wofür sie gestanden hat.

Als Sie auf Twitter geschrieben haben, dass Sie in der Gedenkstunde den Text über Mary Pünjer lesen werden, gab es einiges an Kritik – ich weiß nicht, ob Sie von einem Shitstorm sprechen würden …

… ein kleiner Shitstorm.

Manche Kom­men­ta­to­r:in­nen warfen Ihnen vor, das Wort „lesbisch“ zu tilgen, indem queerer Opfer gedacht würde. Wie stehen Sie dazu?

Das Wort queer ist sinnvoll, denn es bezeichnet uns alle. Es bezeichnet Schwule, Lesben, trans Menschen. Die trans Menschen sind inhaftiert worden, ohne dass sie den rosa Winkel hatten. Es gibt verschiedene Kategorien, unter denen wir gefasst wurden. Das Wort queer schließt alle ein. Es ist sehr gut, diesen Begriff zu haben. Soll ich denn sagen, das sei eine Gedenkstunde nur für die lesbischen Opfer? Die lesbischen Opfer gab es ja offiziell gar nicht. Wir müssen sie bei den anderen Anklagekategorien suchen.

Inwiefern?

Pünjer war wie gesagt als 'Asoziale’ eingestuft worden, nicht als Lesbe. Der Begriff queer ist doch gerade deswegen gut, weil er Menschen ganz unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten umschließt. Ich stehe seit vielen Jahren dazu, dass ich lesbisch bin und habe das Wort keineswegs getilgt. Für mich ist es kein Gegensatz, dass ich mich als Lesbe definiere und sagen kann, ich gehöre zur queeren Community. Was soll diese Kluft? Ich kann das sehr gut zusammendenken mit dem Begriff queer und mich zugehörig fühlen als Frau, die Frauen liebt – was man allgemein als lesbisch bezeichnet.

Also ein Gefühl der Solidarität?

Das ist doch das viel Wichtigere, dass wir untereinander solidarisch sind. Deswegen gibt es diese Community. Es ist doch richtig, dass wir uns unterstützen, einander helfen, auch wenn wir nicht dieselben sind. Dieses Aufspalten in einzelne Gruppen geht meines Erachtens in eine falsche Richtung. Ich verstehe schon unter einer Feministin eine Person, die Gleichberechtigung, Sichtbarkeit, Teilhabe und Offenheit will und nicht die Festlegung auf bestimmte Rollenbilder oder eine bestimmte festgelegte Sexualität. Wir müssen doch offen sein für alles, was zwischen den Geschlechtern stattfindet.

Aber der kleine Shitstorm, wie Sie sagen, hat nochmal das Gegenteil bewiesen, wir sind immer noch in dieser Debatte drin.

Das irritiert mich schon, dass es auch von feministischer Seite kommt. Das finde ich kontraproduktiv. Aber nochmal, es hilft nichts, wenn wir Fronten aufmachen. Wir sollen uns unterstützen, so wie wir es mit #ActOut gemacht haben. Alle, die unsichtbar sind, wollen wir sichtbar machen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare