Gegenseitige Fürsorge: Füreinander einstehen wollen, verdient Anerkennung
Die neue Justizministerin Stefanie Hubig möchte eine Co-Mutterschaft erleichtern. Bei der gegenseitigen sozialen Absicherung sieht sie keinen Handlungsbedarf.

W er etwas älter ist, wird lustigerweise öfter als in jüngeren Jahren zu Hochzeiten eingeladen. Da geben sich Menschen jenseits der 60, die nicht unbedingt ein romantisches Liebespaar wie in einer ZDF-Schmonzette abgeben, das sogenannte Jawort. Oder zwei alleinstehende Frauen, die sich als Nachbarinnen seit Jahrzehnten kennen. Selbst Menschen, die als Mutter und Sohn durchgehen könnten, lassen sich plötzlich trauen.
Warum? Weil sie sich gegenseitig absichern wollen. Das nicht nur finanziell, sondern in erster Linie für den berühmten „Notfall“: eine schwere Krankheit, ein Unfall, Unwägbarkeiten des (älteren) Lebens. Sie heiraten also, weil es in Deutschland momentan keine bessere Möglichkeit gibt, sich rechtlich gegenseitig abzusichern.
Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) täuscht sich also, wenn sie glaubt, dass Menschen, die keine klassische Liebesbeziehung miteinander haben, aber füreinander einstehen wollen, keine rechtliche Absicherung brauchen (oder wollen). Jedenfalls sieht sie in einem neuem „Rechtsinstitut“, das dies gewährleisten würde, keine Notwendigkeit. Es gebe dazu keine Rückmeldungen aus Wissenschaft und Gesellschaft.
Ja, wie auch? Wenn denjenigen, die gegenseitig Verantwortung übernehmen wollen, in Ermangelung von Alternativen nichts anderes übrig bleibt, als zu heiraten?

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Blicken wir kurz zurück, die gesellschaftliche Debatte war an dieser Stelle nämlich schon mal weiter. Als Marco Buschmann, FDP-Justizminister in der Ampelregierung, mit der Idee der „sozialen Verantwortungsgemeinschaft“ um die Ecke bog, befürworteten das nicht nur linke Kreise, sondern sogar Kritiker:innen der FDP. Denn dieses notariell beglaubigte Lebensmodell hätte beispielsweise ein Auskunftsrecht im Krankenhaus ermöglicht, ohne dass man dafür einen Ehering gebraucht hätte.
Jetzt werden Freund:innen und Nichtpartner:innen an den Klinikpforten mit dem Satz abgewiesen: „Sie sind nicht miteinander verwandt oder verheiratet, dann dürfen wir Ihnen leider nichts sagen.“
Man muss keine Freundin der FDP sein, um Buschmann mit seinem – durch das Ampel-Aus gescheiterten – Konzept recht zu geben. Denn es erkennt eine längst gelebte Realität an, die einen rechtlichen Rahmen verdient. Immer mehr ältere Menschen leben allein, die Zahl der Alleinerziehenden steigt, aktuell gibt es etwa 1,7 Millionen sogenannte Einelternfamilien mit minderjährigen Kindern. Das Buschmann-Konzept sah zudem vor, soziale Eltern rechtlich zu stärken. Also jene Mütter und Väter mit Kindern, die diese – beispielsweise in neuen Beziehungen – betreuen, aber nicht mit ihnen biologisch verwandt sind.
Die neue SPD-Justizministerin hätte das Buschmann-Konzept weiterführen können, ohne in den Verdacht zu geraten, es zu kopieren oder gar liberal daherzukommen. Das Konzept der automatischen Co-Mutterschaft lesbischer Paare befürwortet sie ja auch. Und das stammt ebenfalls aus der Feder ihres Vorgängers.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahl der Bundesverfassungsrichter:innen
Spahns miese Tricks
Völkerrecht und Demokratie
Gefährliche Gretchenfrage
Zwischenbilanz der Regierung
Merken Sie schon was?
AfD und CDU
Der Kulturkampf hat das höchste Gericht erreicht
Nahostkonflikt
USA sanktionieren UN-Sonderberichterstatterin Albanese
Kompromisse in der Politik
Aufeinander zugehen heißt zu oft Rechtsruck