Gefangenenaustausch mit Russland: Menschenhandel nach Kreml-Art
Zwischen Russland, den USA und anderen Ländern hat der größte Gefangenenaustausch seit Sowjetzeiten stattgefunden. Dabei: Evan Gershkovich.
Ja, schreibt kurz darauf das Wall Street Journal, Evan Gershkovich sei auf dem Weg nach Hause. Der US-Journalist war im März 2023 in Jekaterinburg verhaftet und erst vor zwei Wochen – in aller Eile – wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Strafkolonie „strengen Regimes“ verurteilt worden. Die Eile lässt sich nun erklären: Gershkovich war genau die Geisel des Kreml, die dieser brauchte, um Wadim Krassikow, den sogenannten „Tiergartenmörder“, einen Killer im Staatsauftrag, aus Berlin freizupressen.
Schließlich bestätigte auch Ankara, wie sich der größte Gefangenen-Deal seit den Sowjetzeiten abspielte: 16 russische und ausländische Bürger waren darunter, die in russischen Strafkolonien einsaßen, darunter auch der Deutsche, der in Belarus zum Tode verurteilt wurde. Im Gegenzug kamen zehn Russ*innen frei, die von westlichen Gerichten zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Insgesamt wurden 26 Gefangene ausgetauscht.
Für den Kreml ist der ausgehandelte Deal ein wahrer Gewinn. So zeigt er nach innen, dass er sich zum einen für die, die ihm treu ergeben sind, einsetzt. Zum anderen macht er deutlich, dass er die, die er für unnötig hält in seinem Land, hinauswirft.
Der Menschenhandel nach Kreml-Art rettet zwar den russischen Polit-Gefangenen regelrecht das Leben. Und doch wird manch einer von ihnen den Austausch als zusätzliche Strafe empfinden. Ohne dass sie es selbst entschieden hätten, werden sie vor vollendete Tatsachen gestellt, werden wie ein nasser Lappen weggeworfen, verlieren all das, wofür sie – trotz allem Widerstand gegen die russische Regierung – gekämpft hatten.
Einsatz für ein freies Russland
Neben Gershkovich fliegt auch Paul Whelan zurück in die USA. Der amerikanische Ex-Infanterist war ebenfalls zu 16 Jahren wegen „Spionage“ verurteilt worden und saß seit vier Jahren in einer russischen Strafkolonie ein. Auch die russischen Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin, die sich seit ihrer Jugend für ein freies, liberales Russland einsetzen und als Oppositionelle im Land bleiben wollten, obwohl der Verbleib für sie immer gefährlicher wurde, stehen auf der Liste der Befreiten.
Sie, wie auch der im Februar in einer Strafkolonie hinterm Polarkreis getötete russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny, wollten in Russland sein, sie wollten ihre Glaubwürdigkeit als Politiker nicht verlieren.
Nawalny bezahlte seinen Kampf mit dem Leben. Kara-Mursa hatte zwei Giftanschläge des russischen Geheimdienstes überlebt, lag zuletzt in einem Gefängniskrankenhaus im sibirischen Omsk. 25 Jahre wegen Hochverrats bekam er im April 2023, ein Urteil wie zu Zeiten Stalins. Er hatte die russische Invasion in der Ukraine im Repräsentantenhaus in Arizona offen verurteilt und musste dafür büßen.
Jaschin hatte in seinem YouTube-Kanal über die russischen Gräueltaten in Butscha berichtet und bekam achteinhalb Jahre wegen „Falschaussagen über die russische Armee“. Mehrmals betonte er, auch bereits aus der Haft, dass er einem Gefangenenaustausch nicht zustimmen werde.
Kanzleramtssprecher Steffen Hebestreit sagte am Donnerstagabend, man habe sich „diese Entscheidung nicht leicht gemacht“. Denn im Gegenzug hätten in Europa inhaftierte „russische Staatsangehörige mit geheimdienstlichem Hintergrund“ freigelassen werden müssen, darunter der in Deutschland wegen des sogenannten Tiergarten-Mordes verurteilte Wadim Krasikow.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde aktualisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich