Gastkommentar Spanien und Katalonien: Man kann über alles reden
2,3 Millionen Katalanen sind nicht genug, um über das Schicksal von 47 Millionen Spaniern zu entscheiden, sagt die spanische Botschafterin.
Die Katalanen sind genetisch eher mit den Franzosen als mit den Spaniern verwandt, eher mit den Italienern als mit den Portugiesen und noch ein bisschen mit den Schweizern. Seltsam.“(Oriol Junqueras, Ex-Vizepräsident der katalanischen Regierung)
Angesichts der jüngsten Ereignisse in Katalonien fragen sich viele, was da eigentlich los ist. Zunächst einmal steht außer Frage, dass Katalonien mit seiner Sprache und Kultur ein überaus beliebter Teil unseres Landes ist. Gleichzeitig ist Spanien ein Rechtsstaat, der die Rechte aller schützen muss.
Die 40-jährige Erfolgsgeschichte unserer Demokratie gründet auf dem Verfassungstext aus dem Jahr 1978, dem in Katalonien damals 90 Prozent aller Wählerinnen und Wähler zustimmten. Die derzeitige katalanische Regierung hat nun beschlossen, dieses Erbe in Stücke zu hauen – mit Unterstützung von 72 Abgeordneten, die weniger als 40 Prozent der Katalanen vertreten.
Das ging nur, indem sich das Parlament über die eigene Geschäftsordnung hinwegsetzte und die Urteilssprüche des Obersten Gerichts Kataloniens und des Verfassungsgerichts ignorierte. Dieser begründet die Verfassungswidrigkeit mit demselben Argument wie das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der Souveränitätsbestrebungen aus Bayern. Als Nächstes veranstaltete die Generalitat unter Berufung auf dieses Gesetz ein illegales Referendum ohne demokratische Garantien, an dem sich etwa 2,3 Millionen Katalanen beteiligten.
Das sind doch nicht genug, um über das Schicksal von 47 Millionen Spaniern zu entscheiden. Wenn wir so etwas zuließen, wäre das genauso undemokratisch, wie wenn andere populistische Bewegungen allein kraft ihrer Mobilisierung auf der Straße oder an den Urnen ihre Agenda durchsetzen könnten, ob sie nun Front National, Ukip oder AfD heißen. Das wäre ein katastrophales Zeichen für Europa.
Einseitige Unabhängigkeitserklärung
Es sei daran erinnert, dass nach den Regeln der Vereinten Nationen und der internationalen Rechtsprechung die Normen zum Selbstbestimmungsrecht der Völker nur dann ein Recht auf Unabhängigkeit vorsehen, wenn es sich um Kolonialgebiete oder um Völker handelt, die einer Unterjochung, Herrschaft und Ausbeutung von außen unterworfen sind. Das trifft nicht zu auf Katalonien, wo seit 1978 insgesamt 35-mal gewählt wurde.
Ein Ausweg aus der Situation muss die Garantien des Rechtsstaates wahren. Hier und da wird in den internationalen Medien die spanische Regierung zum Dialog aufgefordert. Aber es ist doch so, dass die Regierung zum Dialog bereit ist und aus diesem Grund den Präsidenten der Generalitat in die beiden Häuser des spanischen Parlaments eingeladen hat, um vor den demokratisch gewählten Volksvertretern seine Position darzulegen. Nur hat Ex-Präsident Puigdemont dieses Angebot in den vergangenen 10 Monaten bereits sechsmal abgelehnt.
ist die spanische Botschafterin in der Bundesrepublik Deutschland.
Nun hat sich Puigdemont am Freitag bedauerlicherweise gegen die Demokratie und den Rechtsstaat entschieden. Zuerst hat er sich geweigert, Wahlen in Katalonien auszurufen, trotz der vielen Stimmen – unter anderem der sozialistischen Partei und der baskischen Nationalisten –, die ihn darum gebeten hatten. Dann hat er Freitagabend eine illegale und geheime Abstimmung im katalanischen Parlament einberufen, um die Unabhängigkeit zu erklären. 70 von 135 Abgeordneten haben für eine einseitige Unabhängigkeitserklärung gestimmt – in Abwesenheit der Opposition (Sozialisten, Liberale und Christdemokraten), die sich an einer verfassungswidrigen Abstimmung nicht beteiligen wollte.
Die demokratischen Institutionen haben darauf reagiert, und so hat der Senat für die Anwendung von Artikel 155 gestimmt. 214 von 266 demokratisch gewählten Volksvertretern haben dafür entschieden. In der Folge hat die Regierung für den 21. Dezember Regionalwahlen ausgerufen und den katalanischen Präsidenten abgesetzt. Wichtig ist, dass der Region Katalonien damit nicht ihre Autonomie und ihre Kompetenzen genommen werden. Anders gesagt, eine neu gewählte katalanische Regierung wird alle Kompetenzen der Autonomie wie gewohnt ausüben.
Die Regierung und das spanische Parlament haben wiederholt, dass man über alles reden kann: Zuständigkeiten, Finanzierung, selbst Verfassungsreform. Aber das kann nur nach den Regeln der Demokratie geschehen, schon allein deshalb, weil das Prinzip der Gewaltenteilung es verbietet, dass die Regierung über Angelegenheiten spricht, deren Entscheidung ihr nicht zusteht. Jetzt gibt es nur den Weg von Recht und Gesetz, der uns alle – die Katalanen eingeschlossen – zu freien Bürgern macht. In diesem Rahmen kann man über alles verhandeln.
Ob das allerdings diejenigen interessiert, die ihre Politik auf genetische Theorien stützen und versuchen, sich als „ewige Opfer“ über alles Recht und das Völkerrecht hinwegzusetzen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus