Garnisonkirche in Potsdam: 88 Meter Vergangenheitsbewältigung
Von Versöhnung wird bei der Garnisonkirche immer geschwafelt. Doch wer mit wem durch ihren Wiederaufbau versöhnt werden soll, kann niemand erklären.
S ind Sie bereit für den Wow-Effekt? Nein, ich rede nicht von den fantastischen Taylor-Swift-Fans, die ihr Konzert in Wien einfach selbst gemacht haben. Notgedrungen, weil die drei dort geplanten Auftritte abgesagt wurden, nachdem aufgeflogen war, dass ein 19-jähriger IS-Anhänger einen Selbstmordanschlag geplant hatte.
Aus seiner wahnhaften, misogynen Weltsicht heraus waren die Pop-Konzerte ein ideales Anschlagsziel – fröhliche junge Frauen, die gern singen und tanzen, die fast schon legendär solidarisch untereinander sind und deren politischstes Anliegen „fuck patriarchy“ ist. Nun, der Islamist ist doppelt gescheitert – nicht nur wurde er rechtzeitig festgenommen, viele Swifties ließen sich ihr Konzert trotz Enttäuschung nicht ganz nehmen – und sangen textsicher einfach selbst auf der Straße. Ohne es überhaupt zu erwähnen, lachten sie dem Terror ins Gesicht.
In your face – das finde ich eh die beste Reaktion auf alle, ich nenne sie mal zärtlich „Bullies“, dieser Welt, heißen sie nun Chamenei, Hanijeh, Sinwar oder Putin. „Sie brüllten ihr fürchterliches Brüllen und fletschten ihre fürchterlichen Zähne und rollten ihre fürchterlichen Augen und zeigten ihre fürchterlichen Krallen“, heißt es im aktuellen Lieblingsbuch meiner Tochter – „Wo die wilden Kerle wohnen“. Aber nur bis Max, der kleine Junge, sagt: „Seid mal still!“ – und in ihre gelben Augen starrt, ohne ein einziges Mal zu zwinkern. So geht man mit Monstern um. Wow!
Apropos: Wir wollten ja noch auf den Wow-Effekt – Verzeihung – das Wow-Wahrzeichen zu sprechen kommen. Nein, nicht das, das Terroristen am 11. September 2001 zum Einsturz brachten. Sondern den Zombie eines von den Alliierten getroffenen, von Walter Ulbricht später weggesprengten Kirchturms. Die Rede ist natürlich von der Garnisonkirche in Potsdam. Von Friedrich Wilhelm I um 1730 erbaut, hatten Hitler und Hindenburg hier die Versöhnung Preußens mit den Nazis zelebriert, als sie sich 1933 die Hände reichten. Im Reichstag ging’s leider nicht, aus bekannten Gründen. Die Militärkirche war aber auch ganz passend.
Symbol fragiler Männlichkeit
Die Idee, dieses 88 Meter hohe Symbol fragiler Männlichkeit wieder aufzubauen hatte der rechtsradikale Ex-Bundeswehroffizier Max Klaar, der sich aber alsbald mit der evangelischen Landeskirche zerstritt. Anhänger für den Wiederaufbau gab es da schon genug, allerdings nicht so viele, dass die nötigen 41 Millionen Euro allein für den Turm (vom Kirchenschiff nahm man darum bald Abstand) zusammengekommen wären. Deshalb erbarmte sich der Bund und gab auch noch was dazu.
Jetzt wird das Ding am 22. August eröffnet – nur kurz nach der Eröffnung der ersten Potsdamer Synagoge nach dem Zweiten Weltkrieg übrigens. Wenn die Neonazis dann erst zu ihrem neuen Wallfahrtsort pilgern, bekommt das nur wenige Meter entfernte Zentrum der jüdischen Gemeinden Potsdams bestimmt extrafetten Polizeischutz. Extra-Wow.
Vielleicht ist das genau die „Versöhnung“, von der die Garnisonkirchenfans immer schwafeln. Wer durch den originalgetreuen, architektonisch ungebrochenen Wiederaufbau mit wem genau versöhnt werden soll, konnten sie nie ganz erklären.
Man muss das Ganze wohl einfach als Diorama der deutschen Erinnerungskultur lesen: „Hier, schaut, endlich wieder jüdisches Leben mitten unter ‚uns‘ – aber jetzt lasst ‚uns‘ in Ruhe unserer famosen Geschichte gedenken, wir waren schließlich auch Opfer!“ Ja freilich, und zwar Opfer unserer von uns selbst geschaffenen Diktatur und ihrer Folgen.
Cooler Widerstand gegen Nazikirche
Ich will nicht ungerecht sein, es gab von Anfang an in Potsdam eine der coolsten und kreativsten Widerstandsbewegungen gegen den Wiederaufbau der Nazikirche, die man sich überhaupt vorstellen kann. Am Rande des Eröffnungsgottesdienstes in der Kapelle am diesjährigen Ostermontag (nur für handverlesene Gäste, noch nicht für den Pöbel) etwa organisierten sie ein Punkkonzert samt Zerschlagung eines Pappmodells der Kirche.
Punk ist vielleicht das Stichwort der Stunde: dem Ende der Welt einfach ins Gesicht lachen – und den Bullies jedweder Couleur sowieso.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld